Fotobücher Wesen nicht von dieser Welt

Meisterwerke des Fotojournalismus in einem Buch über das New York Times Magazine

 Wie ein Gemälde von Edward Hopper: Julianne Moore in der Serie „Dream House“ von Gregory Crewdson. FOTO: GEGORY CREWDSON, SCHIRMER/MOSEL

Wie ein Gemälde von Edward Hopper: Julianne Moore in der Serie „Dream House“ von Gregory Crewdson. FOTO: GEGORY CREWDSON, SCHIRMER/MOSEL

Foto: GEGORY CREWDSON, SCHIRMER/MOSEL

Kino trifft Fotografie – eine an David Lynchs „Twin Peaks“ erinnernde Bildästhetik begegnet einer neuen Spielart des Journalismus: „Dream House“ nannte sich ein spannendes Fotoessay von Gregory Crewdson aus dem Jahr 2002. Wir sehen Tilda Swinton mit aufgerissenen Augen neben einem Auto mit aufgeblendeten Scheinwerfern in einer unwirklich wirkenden Szenerie. Licht erhellt das Gesicht der Filmschauspielerin und ein schemenhaftes Haus, ansonsten herrscht diffuse Abenddämmerung. Man kann sich alles Mögliche bei diesem Foto vorstellen. Fragt sich zum Beispiel: Was sieht diese junge Frau, was macht ihr Angst?

Crewdson arbeitet bei seiner Serie mit der Sprache des Kinos, nutzt die Spannung und Suggestionskraft bewegter Bilder. „Bei Tilda Swinton hat man wirklich den Eindruck, dass sie ein Wesen aus einer anderen Welt ist“, meint der Fotograf, der für seine wunderbare Serie weitere Stars – etwa Gwyneth Paltrow, Philip Seymour Hoffman, William H. Macy und Julianne Moore – in ein unbewohntes Haus in Rutland im US-Bundesstaat Vermont einlud und vor der Kamera agieren ließ.

Wie ein Regisseur hatte er sich eine Geschichte, eine Situation ausgedacht, er bestimmte sogar die Kleidungsstücke. Gwyneth Paltrow etwa steht in Unterwäsche da, begegnet dem kritischen Blick ihrer Mutter. Julianne Moore sitzt im Nachthemd auf der Bettkante, ihr Blick ist absolut rätselhaft. „Ich wusste, dass Julianne Moore einige Monate zuvor ein Kind bekommen hatte“, erinnert sich der Fotograf, „sie schaut auf ihren Finger, an dem ein Tropfen Milch hängt. Das Bild hat einen biografischen Bezug, geht aber auch darüber hinaus.“

Crewdson, der ein Schauspielerensemble vor seine Kamera holte, das jeden Hollywoodfilm Oscarchancen eingeräumt hätte, präsentierte seine fantastische Serie im New York Times Magazine. Es war nicht der erste umwerfende Fotoessay in diesem Blatt, wie ein opulenter, bei Schirmer/Mosel erschienener Bildband zeigt, der Höhepunkte des Fotojournalismus aus drei Jahrzehnten zwischen zwei Buchdeckel gepackt hat. Gilles Peress‘ Serie „A Vision of Iran“ (1980) zählt mit ihren suggestiven Schwarz-Weiß-Fotos zu den Ikonen dieses Genres, das reportagehafte und narrative Elemente verknüpft. Sebastião Salgado fotografierte 1991 „Kuwaiti Inferno“ mit den Hinterlassenschaften der irakischen Truppen nach ihrem Abzug 1991. „Obamas’s People“ versammelte 2009 die Figuren aus der Regierung des neu gewählten Präsidenten.

666 Bilder von 141 Fotografen – ein Who’s who nicht nur von Pressefotografen, sondern auch Vertretern künstlerischer Fotografie und Werbung – sind hier versammelt. Celebrities und Politstars, Bilder von Krisen und Kriegen, packende Reportagen und Studien voller Atmosphäre. Spannend und sehr informativ auch der Einblick in das Layout des Magazins im Wandel der letzten Jahrzehnte.

The New York Times Magazine. Photographien 1978-2011. Schirmer/Mosel, 448 S., 666 Abb, 49,80 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort