Ausstellung Knochen, die die Welt veränderten

Das Bonner LVR-Landesmuseum erinnert an den Neandertaler-Entdecker Hermann Schaaffhausen, der vor 200 Jahre geboren wurde. Er kaufte den Skelettfund an und schenkte ihn dem Museum

Die Brisanz der Ausstellung verbirgt sich unter einem guten Dutzend Knochen und in der Deutung dieses Fundes, den Mitte August 1856 italienische Steinbrucharbeiter im Neandertal 20 Kilometer östlich von Düsseldorf machten. Über den Besitzer des Steinbruchs gelangten die Knochen zu dem Theologen und Naturforscher Johann Carl Fuhlrott, der das Skelett einem Individuum „aus vorhistorischer Zeit“ zuschrieb. Und sich dabei auf einer Wellenlänge mit dem Bonner Anthropologen Herrmann Schaaffhausen befand. Der hatte sich 1853 mit der Evolutionslehre befasst und den Aufsatz „Über Beständigkeit und Umwandlung der Arten“ geschrieben, in dem er Umweltfaktoren für die Entwicklung der Menschheit annahm.

Schaafhausen vermutete eine 100 000 Jahre umfassende Evolutionszeit des Menschen und ging von einer Koexistenz von Mensch und Mammut sowie der Existenz einer frühen, inzwischen ausgestorbenen Art aus – beides für die Mitte des 19. Jahrhunderts recht steile Thesen. Sechs Jahre später erst veröffentlichte Charles Darwin seine Evolutionstheorie „Von der Entstehung der Arten“. Darwin kannte Schaaffhausens Schrift, nannte sie „an excellent pamphlet“.

Da hatte Schaaffhausen bereits den Beleg für seine These eines ausgestorbenen Vorläufers des heutigen modernen Menschen auf dem Tisch – womöglich auf der Schreibfläche seines Sekretärs, der früher in der Bad Honnefer Villa Schaaffhausen stand und jetzt ein spektakuläres Exponat in der am Dienstagabend eröffneten Bonner Schaaffhausen-Ausstellung ist.

Am Dienstag vor 200 Jahren wurde er in Koblenz geboren, 1893 starb der Mediziner und Anthropologe in Bonn und wurde auf dem Alten Friedhof begraben. Die kleine Ausstellung feiert ihn als mutigen, unerschrockenen Forscher, der sich mit seiner Evolutionstheorie gegen den sturen deutschen Wissenschaftsbetrieb stellte, was ihn letztlich eine ordentliche Professur in Bonn kostete und die Verachtung der Kollegen einbrachte. Schaaffhausen erscheint dennoch als exzellent vernetzter Zeitgenosse, als Musikfreund, der nicht nur das erste Beethovenfest, das Beethoven- und das Schumanndenkmal förderte, sondern von Beethovens Totenmaske und Schumanns Gehörknöchelchen eine pathologisch angelegte musische Disposition ableiten wollte – was nicht gelang.

Und er war ein großer Gönner des damaligen Provincial- und heutigen LVR-Landesmuseums. Im Foyer des Altbaus an der Colmantstraße hing einst eine Tafel, auf der Schaaffhausen als „Grosser Anthopologe, erfolgreicher Erforscher rheinischer Altertümer und hochherziger Stifter“ gefeiert wurde. Sein Hauptgeschenk an das Museum und Bonn war dort ausgestellt: das Skelett-Fragment des Neandertalers.

Fuhlrott hatte Schaaffhausen die Untersuchung der Knochen übergeben. Dieser fand hier eine Bestätigung seiner Thesen, ordnete die Knochen anderen Funden einer urtümlichen Menschenform zu. Er diagnostizierte erlittene Verletzungen des Neandertalers, beschrieb und publizierte die anatomischen Besonderheiten und ging damit in die wissenschaftliche Diskussion. Ein Hexenkessel. Insbesondere der brillante und sehr einflussreiche Berliner Pathologe Rudolf Virchow versuchte eine intensive Neandertalerforschung zu unterbinden: Es sah in ihm nicht einen Vorfahren des Menschen, sondern einen krankhaft veränderten Kretin. Virchow tippte auf eine rachitische Erkrankung. In einem Brief schrieb der Arzt Franz Pruner-Bey an Schaaffhausen: „Ihr Neanderthaler ist wahrscheinlich ein Idiot, keltischer Herkunft sicher.“ Die wissenschaftliche Anerkennung, die Schaaffhausen in Deutschland versagt blieb, wurde ihm jedoch in England zuteil.

Als Fuhlrott, Eigentümer des Knochenfundes, 1877 starb und die Witwe Angebote aus England und den Niederlanden abwog, sprang Schaaffhausen ein und zahlte die geforderten 1000 Goldmark aus dem eigenen Vermögen. Er stiftete den Neandertaler dem heutigen Landesmuseum und sicherte ihm so sein spektakulärstes Exponat.

Die Summe, die mehr als das Doppelte des Museums-Jahresetats betrug, schenkte nicht nur Bonn ein herausragendes archäologisches Prachtstück, sondern beließ auch Schaaffhausens liebste Obsession im Lande. Bis zu seinem Tod wurde er den Neandertaler nicht los.

LVR-Landesmuseum; bis 16. Oktober. Di-Fr und So 11-18, Sa 13-18 Uhr

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