Solarworld in Bonn 800 Millionen Dollar und ein Brief

Bonn · Im Rechtsstreit der Bonner Solarworld AG mit ihrem US-Lieferanten Hemlock geht es nicht allein um Geld. Eine Gerichtsakte legt überraschende Details offen.

In Bonn sitzt die Solarworld AG in beschaulichen Lagen mit Blick auf den Fluss. Die Mitarbeiter des Unternehmens arbeiten in Büros am Rande der Rheinaue und in Grau-rheindorf. Vor der Kulisse des Bonner Containerhafens präsentiert Firmengründer Frank Asbeck gerne in gediegenem Rahmen die Vorzüge seiner Produkte, berauscht von der Technik, die aus Sonne Strom macht. Hier wettert er gegen die nach seiner Ansicht unfaire Konkurrenz aus China. Hier am Rhein schafft es der eloquente Firmengründer – Markenzeichen Trachtenjacke –, viele Aktionäre gewogen zu halten, auch wenn manche damit einen Großteil ihrer Ersparnisse in den Sand gesetzt haben.

Doch die Weichen werden derzeit auf einem anderen Kontinent gestellt. Thomas L. Ludington heißt der Richter des Bezirksgerichts im US-Bundesstaat Michigan, das dem US-Unternehmen Hemlock am Dienstag (Ortszeit) knapp 800 Millionen Dollar Schadenersatz durch Solarworld zugesprochen hat – und damit Ängste vor einer erneuten Finanzklemme des Bonner Konzern schürte.

Nachdem schon im Jahr 2013 nur ein großzügiger Verzicht der Anteilseigner und eine Finanzspritze aus dem Wüstenstaat Katar das Unternehmen vor dem Aus gerettet hat, droht Solarworld nun wieder Gefahr: Müssten die 800 Millionen wirklich gezahlt werden, so geht aus dem Geschäftsbericht des Unternehmens hervor, steht Solarworld vor der Pleite.

Wie aus einer US-Gerichtsakte hervorgeht, die dem General-Anzeiger vorliegt, wird Asbecks legendäres Verhandlungsgeschick gefragt sein, wenn es darum geht, sein Unternehmen aus dem Dickicht der unternehmerischen Interessen halbwegs schadlos zu befreien. Denn es geht um mehr als die Siliziumlieferungen von Hemlock an Solarworld, die dem Streit zugrunde liegen. Es geht auch um Frank Asbecks Rolle als unermüdlicher Lobbyist. Sein Ziel, die Märkte gegen chinesische Billigimporte abzuschotten, um sein Unternehmen zu schützen, könnte ihm nun zum Stolperstrick geraten sein.

Kaum eine Branche ist so stark von politischen Entscheidungen abhängig wie die Solarindustrie: Wie hoch subventionieren Regierungen die Einspeisung von Solarenergie? Wie unterstützen Länder ihre heimischen Industrien durch Zölle? Was bedeuten Umstellungen wie die Energiewende in Deutschland für den Solarmodul-Markt? Auf die Rahmenbedingungen war in den vergangen Jahren selten Verlass. Das spürte auch Solarworld.

Im Jahr 2005, als die Bonner Lieferverträge mit dem US-Konzern Hemlock aushandelten, war der Solarmodul-Grundstoff Silizium knapp und teuer. Man einigte sich auf eine Zusammenarbeit bis zum Jahr 2019, wie aus den Gerichtsunterlagen hervorgeht. Solarworld wollte seine langfristige Versorgung sicherstellen. Dann kam alles anders: Die Siliziumpreise auf dem Weltmarkt brachen ein, und die vermeintlich sicheren langfristigen Verträge entpuppten sich für Solarworld als teuere Fehlentscheidung. Im Jahr 2009 sorgten Billigimporte aus China für einen deutlichen Nachfragerückgang bei Herstellern wie der US-Tochter von Solarworld, Deutsche Solar, schreibt das US-Gericht. Es zitiert aus Emails von Solarworld aus dem Jahr 2010, die Verträge mit Hemlock seien „nicht mehr das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden“.

Im Oktober 2011 reiste Frank Asbeck laut Unterlagen in die Solarworld-Fabrik in Hillsboro im US-Bundesstaat Oregon zu einem Treffen mit den Vertretern von Hemlock. Sein Ziel: niedrigere Preise aushandeln. Und damit hatte der Firmenchef offenbar Erfolg. Anfang 2012 wehrten sich die Amerikaner allerdings gegen weitere Rabattforderungen.

Wenig später ging es nicht mehr allein um Geld. Hemlock waren offenbar die von Asbeck auch in den USA propagierten Handelsbeschränkungen mit China ein Dorn im Auge. Als Gegenleistung für Änderungen der Lieferverträge sollte der deutsche Lobbyist bei den amerikanischen Handelsbehörden für genau das eintreten, was Asbeck bisher vehement bekämpft hatte: Handelserleichterungen mit China. Den Vordruck für Asbecks Eingabe an die US-Behörden schickte Hemlock den Bonnern gleich mit ins Haus: Dem „Dear Mr. Undersecretary“ sollte Asbeck laut Gerichtsunterlagen mitteilen, er fordere, die Untersuchung von Dumping-Vorwürfen an die Chinesen beizulegen. Sie behinderten offenbar Geschäfte von Hemlock in Asien.

Die Forderung muss starker Tobak für die Bonner gewesen sein. Den Unterlagen zufolge ging Asbeck jedoch zumindest zum Teil auf den Wunsch seines Lieferanten ein. Ein Solarworld-Manager in den USA teilte im November 2012 mit, man habe den vorformulierten Brief an die US-Behörden mit „nur ein paar geringfügigen Wortänderungen“ versandt. Schon einen Tag später folgte die verärgerte Rückmeldung von Hemlock, die Änderungen seien „maßgeblich und enttäuschend“. Der Deal war gescheitert. In der Branche wird nun gemunkelt, Hemlock wolle Solarworld in die Pleite treiben, um einen unliebsamen Lobbyisten aus dem Weg zu räumen.

Heute gibt sich Asbeck auf Nachfrage prinizpientreu: Die Dumpingklagen gegen China und die Verträge mit Hemlock zu verknüpfen sei „völlig unzulässig“ teilt er mit. „Deswegen werden wir uns auch weiterhin für Maßnahmen gegen Preisdumping aus China einsetzen.“ Ob Solarworld und Hemlock mittlerweile wieder verhandeln, lässt Asbeck offen. Nur so viel: Man sei „zuversichtlich, sich zu einigen“.

Gleichzeitig schimpft der Solarworld-Chef: „Die Forderung von Hemlock ist absurd.“ Seine Argumentation: „Schon die von uns bereits an den Siliziumlieferanten geleisteten Anzahlungen in Höhe von etwa 100 Millionen übertreffen einen etwaigen Ausfall. Darüber hinaus ist eine Durchsetzung der Klageforderung in Deutschland schon aufgrund des europäischen Kartellrechtes nicht möglich.“ Solarworld werde gegen den US-Richterspruch in Revision gehen. In diese Strategie passt auch, dass Solarworld keine Rückstellungen für eventuelle Zahlungen gebildet hat. An der Risikoeinschätzung des Unternehmen ändere sich durch den Richterspruch nichts, so Asbeck weiter.

Experten teilen die demonstrative Sorglosigkeit nicht. „Wie die Gerichte in solchen Fällen entscheiden, ist kaum seriös vorhersehbar“, sagt Roland Klose von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Sven Diermeier, Aktienanalyst bei Independent Research warnt vor einem Imageschaden für Solarworld: „Ein langjähriges Verfahren könnte dazu führen, dass Kunden sich um den Wert ihrer Produktgarantien sorgen“, sagt er. Bis zur Entscheidung der nächsten Instanz dauert es laut Solarworld rund ein Jahr.

Fest steht: Die Bonner Aktiengesellschaft hat sich nach ihrem Neustart im Jahr 2013 noch nicht so gut erholt, dass der Konzern die Geschehnisse in den USA unbekümmert aussitzen könnte. „Solarworld liegt noch hinter Plan“, sagt Analyst Diermeier. „Obwohl die Produkte technisch einen sehr guten Ruf haben.“

Auf das Konto von Firmengründer Asbeck gehen bisher Überraschungserfolge wie der Kauf der Bosch-Solartochter mit einer üppigen Mitgift von angeblich 130 Millionen Euro oder die Anwerbung der Investoren aus Qatar. Er steht aber auch für schillernde Projekte wie die gescheiterte Übernahme von Opel durch Solarworld im Jahr 2008 und den kuriosen Plan, ein Löwen-Freigehege in der Rheinaue einzurichten. Ein Visionär – in jeder Hinsicht. Auf ihn kommt es jetzt an: „Ich hoffe auf das legendäre Verhandlungsgeschick von Herrn Asbeck“, sagt Aktionärsschützer Klose.

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