Eine kleine Geschichte der Wettervorhersage

Hinter allen Wettern auf Erden steckt ein Motor: die Sonne - Das chaotische System richtig vorherzusagen, versucht der Mensch seit Jahrhunderten - Erst die Bauern mit erstaunlich gutem Bauchwissen, heute eine Hightech-Armada

Auch das Wetter hatte Aristoteles beobachtet. Der Philosoph vermutete, dass der Wind bei einem Gewitter Blitz und Donner produziere. Anschaulich schrieb er, dass der Wind mit voller Wucht gegen die Wolken pralle und so das Donnern verursache. Der Neuzeitmensch mag darüber lächeln, aber die letzten Gewitterrätsel sind immer noch nicht gelöst. Geblieben ist die Frage „Wie wird’s morgen?“. Für Millionen Bauern heute ist das die Erntewetterfrage, und sie war eigentlich durch die Jahrhunderte die wichtigste, weil existenziellste.

Mittelalterliche Chronisten berichten: Missernten lösten sofort Hunger und Tod aus. Große Bauern wurden arm, kleine verhungerten oder starben infolge von Unterernährung an Krankheiten. Es gab keinen Welthandel, keine Versicherungen, keine Hilfe vom Staat. Deshalb war die Wetterbeobachtung und die Fähigkeit, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, überlebenswichtig, auch die Überlieferung des Bauchwissens an die nächste Generation.

Beobachtet und kombiniert wurde bis Anfang des 18. Jahrhunderts nur mit Augen und Verstand. Und die Überlieferung der zu Regeln verdichteten Beobachtungen geschah per Reim: „Das Wetter erkennt man am Winde wie den Herrn am Gesinde: Ostwind bringt Heuwetter, Westwind Krautwetter, Südwind Hagelwitter und Nordwind Hundewetter.

Der Berliner Meteorologie-Professor Horst Malberg hat solcherlei Bauernregeln einmal ins wissenschaftliche Kreuzverhör genommen. Aus seinem Prüfbericht: „So holprig sich auch manche Verse anhören: Die Bauernregeln basieren auf einer sehr guten Wetterbeobachtung unserer Vorfahren.“ Beispiele: Die Wetterregel „Morgenrot – Schlechtwetter droht“ zeige an, dass die Luft viel Wasserdampf enthalte. „Wie sich das Wetter an Siebenschläfer verhält, ist es noch sieben Wochen bestellt“ – eine Witterungsregel.

Berücksichtigt man die gregorianische Kalenderreform (1582), lag der heutige Siebenschläfertag (27. Juni) damals einige Tage später. An der Küste liege, so Malberg, die Trefferquote dann bei 50:50, in Berlin treffe sie in zwei von drei Fällen zu und im Alpenland gar in acht von zehn Fällen. Vereinfacht: Setzt sich Anfang Juli das Azorenhoch durch, steigen die Chancen auf hochsommerliches Wetter in Mitteleuropa in den nächsten Wochen enorm.

Wetter ist heute und morgen, aber Klima ist viel mehr. „Viele Wetter machen das Klima“, heißt eine Standardformel, die Meteorologen gerne am Tag der offenen Tür gebrauchen. Dort wird den Menschen auch erklärt, warum es zuweilen so schwierig ist, das Wetter von morgen – richtig – vorherzusagen (siehe Seite VIII / Zeit im Bild). Besonders in Europa, wenn nicht ein Dauerhoch mit Kern über Skandinavien oder eine Nordverlagerung des Azorenhochs für stabile Verhältnisse sorgen. Denn am Himmel über der Alten Welt geht es in der Regel stürmisch zu.

Unvorhergesehenes kann in der Wetterküche, einem chaotischen System, jederzeit passieren. Vereinfacht: Kleinste Unterschiede in den Anfangsbedingungen können große Auswirkungen auf die Dynamik einer Entwicklung haben, weshalb sie auch so schwer vorhersagbar ist. Der Schmetterlingseffekt beim Wetter, atmosphärische Turbulenzen, Verkehrsstaus, neuronale Netze – alles sind chaotische Systeme.

Nicht zuletzt, weil das Wetter in den gemäßigten Breiten Tag für Tag wechselt, ist das Thema „Wie wird’s morgen?“ in Mitteleuropa ein Dauerbrenner. In Kalifornien ist das anders: Gartenpartys werden ohne Rücksprache mit dem Wetterfrosch vom Amt geplant. Denn dort gibt es nur selten eine Abweichung „von dem für ein bestimmtes geographisches Gebiet charakteristischen Ablauf der Witterung“ – Wetter, wie es das Lexikon definiert.

So wetterwendisch Mitteleuropa auch ist: Der Versuch, das Unberechenbare zu berechnen, ist kein Kampf gegen Windmühlen. Die Prognosegüte steigt. Im weltweit führenden Wettervorhersagezentrum in Reading bei London wird unvorstellbar schnell – mit Millionen Rechenoperationen pro Sekunde – und rund um die Uhr gerechnet.

Die britischen Experten taxieren den wirtschaftlichen Globalschaden durch falsch Vorhergesagtes jährlich auf bis zu eine Milliarde Euro. Kapitäne auf See könnten etwa rechtzeitig gewarnt werden, wenn sie unwissend Kurs auf ein Sturmtief über dem Atlantik genommen haben. Aber bereits mit exakt vorhergesagten Winden und Meeresströmungen mehr Knoten zu machen und weniger Energie zu verbrauchen, würde weltweit Millionen einsparen.

Die Ventile der Tropen. Hinter den turbulenten Luftströmungen steckt mit der Sonne nur eine Quelle. Ein Kraftwerk von unvorstellbar – für menschliche Maßstäbe – großer Leistung: Täglich feuert der Stern 4 000 Billionen Kilowattstunden Energie auf die Erde. Eine astronomische Zahl: Pro Minute empfängt die atmosphärischen Außenhaut so viel Energie, wie die Menschheit jährlich verbraucht. Teile des blauen Planeten würden ohne den Tag-Nachtwechsel verbrennen, drehte er sich nicht wie ein Hähnchen am Grill.

Allerdings hängt der Spieß schief im interstellaren Raum: 23,5 Grad ist die Erdachse durchschnittlich geneigt. Diese Ekliptikschiefe ist zugleich die Ursache von Frühling und Herbst, von Sommer und Winter. Würde die Erde kerzengerade rotieren, fänden keine Jahreszeiten statt. So treffen die Salven der Sonne die Erde nicht einheitlich, sondern hier kaum, dort mit geballter Ladung. Zonen mit gegensätzlichem Klima sind die Folge.

Dem ewigen Eis an den Polen stehen die Regenwälder am Äquator gegenüber, wo die aufgeheizten Luftmassen in große Höhen aufsteigen, sich mit Feuchtigkeit aus den Ozeanen vollsaugen und dann energiegeladen in höhere Breiten abdriften. Dort sinken sie wieder ab, trocknen aus und strömen als Passatwinde an der Erdoberfläche zurück.

Ein geschlossener Kreislauf, dem nie die Luft ausgeht. Er hat extreme Vegetationstypen hervorgebracht: Regenwälder im Bereich aufsteigender Luftbewegung, die großen Wüsten dort, wo die Winde absinken.

Alle Wetter auf der Erde haben denn auch nur eine Ursache, das riesige Energiegefälle zwischen Polarzonen und Tropen, sowie ein Ziel, es auszugleichen. Winde, Niederschläge, Wolken, Hochs und Tiefs sind die Werkzeuge der atmosphärischen Zirkulation, nichts anderes als Ventile, durch die der energetische Überdruck in den Subtropen und Tropen abgelassen wird.

Doch die Ausgleichskräfte strömen nicht auf direktem Wege zum Pol. Es gibt einen Faktor, der alles ungeheuer kompliziert. Coriolis nennen Meteorologen die ablenkende Kraft der Erdrotation, die ganz schwach auch in jeder Badewanne wirkt. Auf der Nordhalbkugel fließt das Wasser gegen den Uhrzeigersinn, auf der Südhalbkugel mit ihm in den Abfluss.

Das Gasförmige reagiert ebenfalls: So werden auf der nördlichen Halbkugel alle polwärts gerichteten Winde nach rechts abgelenkt, auf der Südhalbkugel nach links. Deshalb ist Coriolis auch der Vater der Westwindzone, in der alle Wetter meist vom Atlantik kommen und in Richtung Moskau wieder abziehen. Coriolis begleitet auch Ingenieure, wenn sie etwa einen ICE-Zug konstruieren, selbst Kranführer, die große Lasten in großer Höhe schwenken, müssen sich mit dieser unsichtbaren Kraft auseinander setzen.

Für den dynamischen Gleichgewichtszustand der Erdatmosphöre ist die Westwindzone als Ausgleichsfaktor unentbehrlich. Gerade über Mitteleuropa kollidieren die Fronten, trifft arktische Luft auf subtropische, gleicht Kaltes sich mit Warmem aus. Eisiges und Feuriges verwirbeln sich zu Zyklonen und Antizyklonen, die sich reiben, Wetterwendisches produzieren und dabei Energien austauschen. Je stärker die Gegensätze, desto stürmischer.

Hagel wechselt mit Sonnenschein, Regen mit Schnee, gerade bei Jahreszeitenübergängen. Alles spielt sich in der wetteraktiven Schicht zwischen fünf und zehn Kilometer Höhe ab, in der die Frontalzone die Zugbahnen von Hochs und Tiefs steuert. Weiter oben, in zehn Kilometer Höhe, bläst hingegen der Jetstream von West nach Ost. Ein Höhenwind, der mit Tempo 600 und mehr in riesigen Mäandern um die Erde schlingert und für den Energieaustausch in der Vertikalen – zwischen Troposphäre und Stratosphäre – sorgt. Seine Wellenform bekommt er etwa von den Rocky Mountains verpasst.

Riesige Gebirge, die entlang der Längengrade verlaufen, liefern den topographischen Impuls, der Jetstreams mäandern lässt. Im Wetterbericht für den Menschen auf der Straße kommt er nie vor, um so häufiger in jenem für die Kapitäne der Luft. Fliegen sie mit dem Strahlstrom von Boston nach Frankfurt, sparen die Airlines Kerosin. In umgekehrter Richtung weichen die Piloten deshalb nach Norden aus, fliegen Umwege, um das kolossale Gebläse nicht frontal vor dem Cockpit zu haben. Das ist die Regel, denn der Jetstream bläst verlässlich.

Ausnahmen von der Regel heißen „Wetteranomalien“. Das ist immer dann, wenn das Wetter vermeintlich verrückt spielt. Etwas, das eigentlich nicht vorkommen dürfte, aber gelegentlich auftritt: Tennisballgroße Hagelkörner, saharischer Sand im Regen oder Schneeflocken im Mai sind natürliche Auswirkungen extremer Wetterschwankungen, die jedoch die Durchschnittswerte der Statistik kaum erschüttern.

Das Klima ändern sie kaum, eher die Preise an den Börsen für Weizen, Soja oder Kakao. Heute erscheinen extreme Wetter jedoch in einem anderen Licht als vor 18 Jahren. Aus der damals im General-Anzeiger veröffentlichten Serie „Klima in Gefahr“: „Erdrutsche in den Alpen, zu viel Ozon am Boden in Baden-Württemberg und Basel, zu wenig in der Höhe über Antarktis und Arktis, Überschwemmungen in Bangladesh, kein Tropfen Regen in Äthiopien, sintflutartige Niederschläge in den Tropen, vertrocknete Ähren im Weizengürtel der USA. Tote, Verletzte, Millionenschäden. Wetterkatastrophen gab es in den vergangenen Jahren reichlich.

Sollten aus den Warnungen der Klimaforscher Tatsachen werden, sind um das Jahr 2030 ganz andere Schlagzeilen denkbar: “Rekordernte in Sibirien„, “Reiche Weinernte in Schottland„, “Skandinavischer Jahrhundert-Sommer jetzt jährlich„ oder “Die letzten Einwohner haben Sylt verlassen„.“

Damals war die öffentliche Diskussion um den Klimawandel noch zögerlich, wenngleich die Wissenschaftler lauter vor den vom Menschen emittierten Treibhausgasen warnten. Vieles, was sie in der Lufthülle maßen, war schon damals in der Häufung ungewöhnlich. Doch 1989 neigte die korrekte Forschung angesichts bestehender Unsicherheiten noch zu Selbstzweifeln. Tenor: Meldungen von Wetterkatastrophen seien im Zeitalter der totalen und weltweiten Kommunikation etwas Natürliches.

Wurde die Wahrnehmung getäuscht, weil früher früher Fernschreiber und Wettersatelliten fehlten? Heute ist alles anders, weil mehr Gewissheit herrscht. Seit 1850 ist der atmosphärische Kohlendioxid-Gehalt um rund 30 Prozent und die durchschnittliche Erdtemperatur um 0,74 Grad Celsius gestiegen. Aber der Durchschnitt sagt gar nichts. Arktis plus 3,5 Grad Celsius, Alpen plus 1,35, Deutschland plus 0,9. Der Klimawandel ist Realität, und die Abweichungen „von dem für ein bestimmtes geographisches Gebiet charakteristischen Ablauf der Witterung“ haben zugenommen. Alle Wetter auf Erden spielen auf einer wärmeren Herdplatte.

Die Physik erklärt den Rest: höhere Temperatur gleich höhere Verdunstung gleich mehr Regen. Das chaotische System „Wetter“ enthält mehr Energie, im Grunde den Sonnenschein längst vergangener Welten. Nichts anderes wird bei der Verbrennung fossiler Brenstoffe freigesetzt. Der Mensch ist sensibilisiert. Es ist schwerer denn je, Wetteranomalie von Vorboten des Klimawandels zu trennen.

Wetter, Witterung, Klima

Unter Wetter versteht der Meteorologe das kurzfristige Geschehen in der unteren Atmosphäre (Troposphäre). Wetter spiegelt sich in der Temperatur, den Wolken, den Niederschlägen, im Wind und Erscheinungen wie Gewitter und Nebel. Witterung ist dagegen „zeitlich erweitertes Wetter“ und umfasst einen Zeitraum von mehreren Wochen. Ein Witterungsabschnitt kann regnerisch, kühl, frostig oder sonnig und warm sein.

Die Definition von Klima hat sich gewandelt. Heute versteht man darunter vereinfacht den statistischen Durchschnitt aller meteorologischen Faktoren aus rund 30 Jahren Wetter. Alexander von Humboldt hatte 1831 noch arg menschenbezogen definiert: „Das Wort Klima umfasst in seiner allgemeinen Bedeutung alle Veränderungen in der Atmosphäre, die unsere Organe merklich affizieren.“

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