Interview mit Michael Gabriel Fan-Arbeiter: "Auch die Politik hat Verantwortung"

Wenn man so will, ist Michael Gabriel Deutschlands oberster Fan. Der Sportwissenschaftler leitet die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt. In der Diskussion um Fußball und Gewalt vermisst er nachdenkliche Stimmen aus der Politik.

Herr Gabriel, werden sich die 36 Profiklubs der DFL heute zu dem umstrittenen Sicherheitskonzept bekennen und es verabschieden?
Michael Gabriel: Ich gehe davon aus. Das Papier ist deutlich entschärft worden, die Perspektive der Fans wurde besser berücksichtigt. Der Tenor ist in der überarbeiteten Fassung bei Weitem nicht mehr so wie in der ersten Fassung.

Ist da noch etwas, was Sie nachhaltig stört?
Gabriel: Nein. Das Konzept legt jetzt Wert auf nachhaltigen Dialog zwischen Fan-Organisationen und Vereinen. Das ist der Kernpunkt. Alles steht und fällt mit dem Verhältnis der Vereine zu ihren Fanszenen. Wenn ein Verein sich glaubwürdig für seine Fanszene interessiert und diese zuverlässig einbindet, ist das die Basis, um Einfluss zu nehmen.

Wird sich diese Ansicht auch in Politiker- und Polizeikreisen durchsetzen?
Gabriel: Wohl eher in Polizeikreisen. Bei den Innenministern der Länder bin ich skeptisch. Die Innenminister, die gerade Wahlkampf haben oder sich profilieren müssen, demonstrieren bei diesem Thema gerne Härte. Da wird dann vorurteilsbehaftet über Fußballfans geredet und eine kleine Minderheit für das Ganze genommen. Viele Maßnahmen werden auf die Minderheit zugeschnitten, die Interessen der Mehrheit fallen hinten runter.

War das Fußballjahr 2012 gewalttätiger als 2011, oder hat sich nur die Stimmung hochgeschaukelt?
Gabriel: Ich glaube nicht, dass 2012 gewalttätiger war. Aber die Kluft zwischen dem Fußball und seinen Fans ist größer geworden. Wie auch die Distanz der jungen Menschen in der Kurve zur Politik.

Die Politik hat die DFL aufgefordert, künftig zehn statt drei Millionen Euro für Fanprojekte zur Verfügung zu stellen. Halten Sie das für sinnvoll?
Gabriel: Die Fanprojekte brauchen dringend mehr Geld, aber es wäre nicht sinnvoll, wenn der Fußball die Fanprojekte zu 100 Prozent finanzieren würde. Das würde unsere Arbeit, die zurecht auch von der öffentlichen Hand finanziert wird, massiv gefährden, weil die für einen Zugang in die Szenen notwendige Unabhängigkeit gefährdet wäre. Die Politik darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen und ein gesellschaftliches Problem quasi dem Fußball in die Schuhe schieben. Die Fankurven sind die größten Jugendhäuser der Stadt, für die Jugendlichen, die sich dort versammeln, hat auch die Politik Verantwortung.

Die Politik fordert auch immer wieder, dass sich der Fußball an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligen solle.
Gabriel: Die Gesetzesgrundlage gibt das ja gar nicht her. Außerdem hieße das, das Sicherheit käuflich würde. Also: Wer Geld hat, kann sich Sicherheit kaufen, und wer kein Geld hat, kann das nicht. Eine gesellschaftlich fatale Forderung. Ohnehin sind die Vereine ja schon für die Sicherheit in den Stadien verantwortlich, da wird viel Geld in die Hand genommen. Wer sonst als die Polizei sollte im öffentlichen Raum für die Sicherheit zuständig sein?

Wie haben Sie reagiert, als Sie hörten, dass in Holland ein Linienrichter totgeprügelt wurde?
Gabriel: Hoffentlich wird es nicht mit der Debatte hier vermischt, weil es unterschiedliche Phänomene sind. Hier geht es um ein jugendkulturelles Massenphänomen beim Fußball. Der gewaltsame Tod des Linienrichters verweist vielmehr auf eine grundlegende Gewaltproblematik in der Gesellschaft und ist eher mit den brutalen Überfällen in der U-Bahn vergleichbar.

Angenommen, man einigt sich auf das Sicherheitskonzept - entweicht dann ein wenig Druck aus dem Kessel?
Gabriel: Das glaube ich schon. Aber alles steht und fällt mit dem Dialog und ob die Vereine es ernst meinen. Die Innenpolitik hat erreicht, dass sich DFB und DFL bewegen. Jetzt wäre es sinnvoll, wenn die Politik dem Fußball Luft zum Atmen und zum Handeln geben würde.

Die KOS
Die Koordinationsstelle Fanprojekte ist bei der Deutschen Sportjugend in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise gleich neben dem DFB angesiedelt. Sie hilft beim Aufbau und der Etablierung von Fanporjekten.

Finanziert wird die KOS von den Vereinen der Deutschen Fußball Liga sowie den Kommunen und Ländern.

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