Interview mit Historiker Michael Wolffsohn "Die Toleranz soll weggebombt werden"

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn hat Verständnis für Juden, die nach den Anschlägen von Paris aus Frankreich auswandern. Mit Wolffsohn sprach Kai Pfundt.

 Michael Wolffsohn, 1947 in Tel Aviv geborener Sohn einer 1939 vor den Nazis nach Palästina geflohenen jüdischen Kaufmannsfamilie, ist einer der führenden Experten für die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Wolfssohn ist Autor zahlreicher Bücher und Schriften und engagiert sich in der Israelitischen Kultusgemeinde in München.

Michael Wolffsohn, 1947 in Tel Aviv geborener Sohn einer 1939 vor den Nazis nach Palästina geflohenen jüdischen Kaufmannsfamilie, ist einer der führenden Experten für die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Wolfssohn ist Autor zahlreicher Bücher und Schriften und engagiert sich in der Israelitischen Kultusgemeinde in München.

Foto: MW

Nach den Anschlägen von Paris verlassen viele französische Juden das Land. Müssen sich Juden auch in Deutschland bedroht fühlen?
Michael Wolffsohn: Es ist keineswegs so, dass sich Juden in Deutschland sicher fühlen können. Seit Jahrzehnten gibt es auch in Deutschland immer wieder Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Nur wird dies in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weil die Anomalität im deutsch-jüdischen Verhältnis Normalität ist. Es besteht kein Bewusstsein für die Alltäglichkeit der Gefährdung und Bedrohung.

Verschärft sich diese latente Bedrohung nach den Anschlägen in Frankreich? Schließlich finden ex-treme Strömungen im Islam auch in Deutschland starken Zulauf.
Wolffsohn: Es gab schon in der Vergangenheit Wellen antijüdischer Gewalt, und die wird es auch in Zukunft geben. Wir sollten aber auch die Gefahrenherde klar benennen. Das sind nicht nur die radikalen islamischen Gruppen, die nachweisbar Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Frankreich, Deutschland oder anderen Ländern ausgeübt haben. Auch linksextreme und rechtsextreme Gruppen stellen eine Gefahr dar. Das heißt: Es gibt drei große und ständige Gefahrenquellen für die jüdische Gemeinschaft weltweit - und damit auch in Deutschland.

Wie können mögliche Anschläge - auch von Trittbrettfahrern - verhindert werden?
Wolffsohn: Indem jüdische und israelische Einrichtungen noch besser geschützt werden. Aber wie Paris gezeigt hat, sind alle Einrichtungen gefährdet, die sich für Demokratie und gesellschaftliche Vielfalt einsetzen. Die Toleranz in der Gesellschaft soll weggebombt werden, und zwar von diesen drei Gruppen, die auch die jüdisch-israelischen Einrichtungen bedrohen. Der Staat muss für die Sicherheit seiner Bürger sorgen, darum immerhin ist es in Deutschland besser bestellt als in Frankreich - aber längst nicht perfekt. Die jüdische Gemeinschaft ist der Seismograf für die Gefährdung der offenen Gesellschaft.

Haben Sie Verständnis für französische Juden, die jetzt das Land verlassen? Oder ist das nicht ein völlig falsches Signal, eine Kapitulation vor der Gewalt?
Wolffsohn: Was sollen die Leute denn machen? Ein Gewehr in die Hand nehmen und 24 Stunden am Tag Wache halten? Das ist absurd, das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Jeder hat nur ein Leben und will dieses in der Regel friedlich verbringen. Wenn der Staat nicht in der Lage ist, das zu gewährleisten, fragen die Menschen sich, ob sie in diesem Staat bleiben. Die syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland fliehen, kommen nicht wegen des gesunden Klimas, sondern weil sie in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten müssen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die weltlichen und religiösen Autoritäten der muslimischen Welt aufgefordert, sich gegen Extremismus und Gewalt im Islam stark zu machen. Ist die Reaktion muslimischer Organisationen in Deutschland ausreichend?
Wolffsohn: Es ist ermutigend, dass sich die muslimischen Organisationen ohne Wenn und Aber von Gewalt distanzieren. In einer zunehmend religiös geprägten Minderheit wie der muslimischen wäre es aber vor allem eine Aufgabe der Geistlichkeit, gegen Radikalisierung vorzugehen. Hier ist in der islamischen Welt insgesamt viel aufzuarbeiten. Der Schock von Paris scheint jedoch auch hier zu der Erkenntnis zu führen, dass der Westen nicht bereit ist, auf fundamentale Errungenschaften zu verzichten und eine Verschärfung der westlichen Politik gegenüber den islamischen Staaten zu erwarten ist, als Reaktion auf islamistischen Terror. Es ist ein vernünftiger Schritt der Deeskalation, wenn die islamische Welt nun aus Selbstschutz erkennt, dass Selbstkritik und Wende notwendig sind.

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