Freiburg-Boss: "Keine Angst vor Zeigefingerbürgern"

Freiburg · Ein kleines Denkmal für Trainer Christian Streich im Fall des Klassenerhalts in der Fußball-Bundesliga? "Wenn ich ihn das fragen würde, würde er mich fragen, ob ich noch ganz dicht bin", sagte SC Freiburgs Präsident Fritz Keller lachend der Nachrichtenagentur dpa in einem Interview.

 Freiburg-Chef Fritz Keller ist Winzer. Foto: Patrick Seeger

Freiburg-Chef Fritz Keller ist Winzer. Foto: Patrick Seeger

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Der Winzer, Weinhändler und Gastronom spricht über den Fall Matthias Ginter, Zeigefingerbürger und den Circus Maximus.

Herr Keller, der SC Freiburg hat drei Spieltage vor Schluss acht Punkte Vorsprung auf Relegationsplatz 16. Haben Sie sich für den Klassenverbleib schon eine besondere Flasche Wein ausgesucht?

Fritz Keller: Ich trinke nicht selten eine besondere Flasche Wein, aber wenn wir drinbleiben, holen wir was ganz Edles aus dem Keller, einen richtig schönen Festtagswein. Die Leistung in dieser Saison mit all den Rückschlägen ist für mich sogar höher einzuschätzen als in der vergangenen, diese Erfahrungen geben dem ganzen Verein Chuzpe. Wir haben jetzt alles selber in der Hand. Sollten wir eine sechste Saison in der Bundesliga vor uns haben, wollen wir den Rekord ausbauen: Das siebte Jahr in der Bundesliga hintereinander.

Was für ein Tropfen wäre der SC in dieser Saison?

Keller: Der SC Freiburg wäre ein Wein, der viel Geduld braucht. Er ist sicher kein "Everybody's Darling", der einfach und gefällig ist, sondern ein guter, großer Wein, der in der Reifung Berg und Tal hinter sich hat. Aber wenn er dann gereift ist, ist er ein ganz besonderer Genuss.

Was empfinden Sie, wenn Freiburger Fans schon früh die eigene Mannschaft auspfeifen?

Keller: Unter 24 000 Zuschauern sind das vielleicht gerade mal 30 oder 40 Leute, die meinen, sich Luft verschaffen zu müssen. Aber das ist einfach kontraproduktiv, wir sind hier nicht im Circus Maximus. Fans, die nur das fehlerlose Event suchen, sind bei uns falsch. Die müssen zuhause bleiben oder in die Oper gehen, da weiß man in der Regel, wie es ausgeht. Gerade im Fußball gibt es ja so viele Unwägbarkeiten, aber umso mehr Leidenschaft.

Wie sehr trifft das Klischee vom Bundesliga-Idyll Freiburg zu, indem die Spieler mit dem Fahrrad zum Training kommen?

Keller: Wir sind hier keine Wellnessecke, aber wir legen sehr viel Wert auf soziale Kompetenz. Mir ist es egal, ob jemand mit dem Fahrrad zum Training kommt oder mit einem großen Auto. Unsere Spieler denken praktisch. Wenn ich ein oder zwei Kilometer vom Trainingsgelände entfernt wohne und das Wetter schön ist, warum soll ich dann mit dem Auto herkommen und nicht mit dem Rad? Wir müssen uns aber von dieser Neidgesellschaft entfernen und dürfen auch keine Angst vor Zeigefingerbürgern haben. Ich bin der Meinung, dass jemand, der viel Geld verdient und es nicht ausgibt, asozial ist, weil er erst durch das sinnvolle Ausgeben Menschen Arbeit und Brot gibt.

Neu-Nationalspieler Matthias Ginter wird heftig umworben. Gibt es Gespräche über einen möglichen Transfer? Und wie sehen Sie die Chancen, dass er im Breisgau bleibt?

Keller: Wir führen Gespräche. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass ihm ein weiteres Jahr bei uns gut tun würde. Die Variante, ihn zu verpflichten und dann gleich wieder an uns auszuleihen, würde ich für alle Beteiligten für sehr gut halten. Einen Aderlass an hochkarätigen Spielern wie in der vergangenen Saison wird es in diesem Sommer aber nicht geben.

Trainer Christian Streich dürfte das freuen. Mussten Sie ihm nach dem Duell gegen Dortmund, als er eine Verschwörung der Referees gegen sich witterte, ins Gewissen reden?

Keller: Er reflektiert von sich aus und wusste schon am nächsten Tag, dass er ein falsches Bild gewählt hat. Wenn es einem aber nicht gut geht und einem etwas nicht passt, dann muss man es auch ins Gesicht sagen dürfen. So bin ich auch. Das ist vielleicht nicht diplomatisch, aber ich mag diese Grundehrlichkeit an ihm. Christian Streich ist nie hinterhältig oder bösartig, er ist emotional und dazu steht er auch. Ich glaube, die Bundesliga und auch die Schiedsrichter kennen ihn mittlerweile so. Vielleicht hat er eine schlechte Angewohnheit, die ihm hin und wieder so manches erschwert: Er kann nicht lügen.

Hätte sich Streich im Fall des Klassenverbleibs ein kleines Denkmal verdient?

Keller: Wenn ich ihn das fragen würde, würde er mich fragen, ob ich noch ganz dicht bin. (lacht)

Haben Sie in Ihrer Rolle als SC-Präsident etwas für Ihren Beruf in der Gastronomie lernen können?

Keller: Wenn man auf einem Spitzenweingut in einem Dorf wie Oberbergen mit 1000 Einwohnern aufwächst und die eigenen Eltern ein Sterne-Restaurant haben, dann ist man zwar geerdet, man kriegt aber nur ein bestimmtes Klientel mit, das vielleicht besonders gebildet ist oder höhere Einkünfte hat. Ohne den Fußball hätte ich nie eine weitere Dorfkneipe aufgemacht. Dort gibt es für jeden Essen in bester Qualität zu erschwinglichen Preisen. Und ohne den Fußball hätte ich auch nie einen Wein für einen Discounter gemacht. Mein Vater hat schon gesagt: Wein ist ein Lebensmittel, das jeder bekommen sollte. Ohne den Fußball hätte ich den Bedarf für so etwas gar nicht gesehen. Essen und Trinken ist ja auch eine Bildungsfrage. Man muss es lernen, genauso wie man sich in Musik, Fotografie oder Bildende Kunst vertiefen muss.

ZUR PERSON: Fritz Keller (57) zählt zu Deutschlands angesehensten Winzern. Seit Herbst 2010 ist der gebürtige Freiburger Vorstandschef des SC. Keller ist verheiratet und hat drei Söhne. Er lebt in Oberbergen im Kaiserstuhl.

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