Pressekonferenz in Sotschi Thomas Müller sucht seine WM-Form

Sotschi · Die Tore kämen schon noch, verkündete Thomas Müller auf der ersten Pressekonferenz in Sotschi. Mit dem Spiel gegen Mexiko war der Offensivspieler nicht zufrieden und will analysieren, was sich ändern muss.

Wann er denn nun endlich gedenke, Tore zu schießen, wurde er gefragt. Wie er aus seiner Torkrise herauskommen wolle. Ob ihn die ganze Fragerei nach seinen null Toren nicht nerve, auch das wurde er gefragt. Thomas Müller antwortete dann so wie Thomas Müller eben antwortet, wenn er gefragt wird. Das käme schon noch, sagte er und grinste dabei, als gehe es nicht um das Wohl einer ganzen Nation, sondern um den Freizeitkick in der Bunten Liga. Sich der Trübsal hinzugeben, gehört ohnehin nicht zu den hervorstechenden Eigenarten Müllers, aber: Zu seinen null Toren beim Turnier kamen dann noch null Tore hinzu. Das war vor zwei Jahren bei der EM in Frankreich, und das Land umtreibt nun die berechtigte Sorge, dieser sagenhafte Müller könnte auch bei der WM in Russland zur Randfigur verkümmern.

Diesem Eindruck versuchte der Offensivspieler natürlich entgegenzutreten. Hatte er sich im ersten Spiel gegen Mexiko noch nicht in WM-Form gezeigt, holte er dies auf der ersten Pressekonferenz in Sotschi nach. Der Schalk des Schlakses schaffte sich nicht selten Raum. Das kam natürlich gut an und lockerte vor dem wichtigen Spiel gegen Schweden etwas die Stimmung im ohnehin stimmungsaufhellenden Küstenstädtchen. Die Frage nach einer Grüppchenbildung nahm er mit Humor. Er antwortete: „Wir haben wie immer mehrere Tische zum Essen und keine große Tafel. Ich bin auch dort variabel einsetzbar, versuche überall meine Ohren zu spitzen.“ Bei der EM 2012, erinnerte sich Müller noch, herrschte nicht „die beste Teamchemie“. Damals litt die Mannschaft unter einer Blockade: hier der Bayern-Block, da der Dortmund-Block. Aber heute? Nein, eine Grüppchenbildung sei „gar nicht zu spüren“.

"Thomas Müller spielt immer"

Thomas Müller lässt sich ohnehin nur unter größten Mühen einer Gruppe Fußballer zuordnen. Er ist weder der klassische Stürmer noch die hängend Spitze. Er ist ein Raumwandler und Raumdeuter. Ein Läufer zwischen den Welten. Müller war immer der, der wusste, wo Raum und Zeit und Ball zueinanderfinden. Dann schleicht er sich zwischen die Abwehrreihen, vor das Tor und steht plötzlich da, wo der Ball hinkommt – und sei es, wenn der vom Himmel fällt. Was seinen früheren Münchner Vereinstrainer Louis van Gaal zu der unumstößlichen Aussage verleitete: „Thomas Müller spielt immer.“ Das lag natürlich auch daran, dass alle seine Körperteile für Tore herhielten. Er traf mit dem Knie und dem Nacken, mit der Hüfte und dem Schienbein, zur Not sogar mit seinen dürren Waderln.

Zuletzt jedoch ist diesem Immer-Spieler etwa das untrügliche Gespür für den speziellen Moment abhandengekommen. Seinem Torlos-Turnier in Frankreich ließ er zwar beachtliche sieben Treffer und sieben Vorlagen in 14 Länderspielen folgen, bei den Bayern durfte sich der Dauerbrenner in der abgelaufenen Saison aber an manchen Tagen auf der Bank ausruhen. In der Nationalmannschaft blieb ihm die Zuschauerrolle bislang noch erspart, doch spätestens nach dem schwachen Auftritt gegen Mexiko stellen sich viele die Frage: „Was ist nur mit dem Müller los?“

Es ist dringend anzunehmen, dass sich auch Joachim Löw diese Frage stellt. Für den Bundestrainer geht es jetzt vor allem darum zu erkennen, in welchem Maße Müller in der Lage ist, den Müller aus sich herauszulocken, der er einmal war. Und der war auf dem besten Weg, sogar den unvergleichlichen WM-Torschützenkönig Miroslav Klose (16 Treffer) einzuholen. Torschützenkönig war der der 28-Jährige 2010 mit fünf Treffern, 2014 abermals fünf Tore. In der Partie gegen Mexiko aber war er nicht mal nahe dran an einem Treffer – weder mit dem Fuß, dem Knie, der Hüfte oder dem Po. „Das ist die Crux“, hat er am Mittwoch in Sotschi gesagt, „das man Leichtigkeit nicht trainieren kann.“ Das Spiel gegen die Lateinamerikaner sei nicht so gelaufen, wie „ich mir das vorgestellt habe". Nur beim Aufwärmen habe er einen „super Abschluss“ hinbekommen, "aber da war leider kein Gegner dabei". Da war er wieder, der typische Müller – zumindest abseits des Platzes. Dann, etwas trockener: „Ich war nicht zufrieden und muss analysieren: Was muss ich ändern?"

"Irgendeinen Impuls wird es dann schon geben"

Diese Aufgabe fällt nun vor der Partie am Samstag gegen Schweden (20 Uhr) im Olympiastadion von Sotschi auch Joachim Löw zu. Oliver Bierhoff jedenfalls hat seine Erwartungen an einen zarten Generationswechsel schon einmal angedeutet."Natürlich weiß der Jogi, was er an bewährten Spielern hat, aber wir haben natürlich auch aufstrebende, junge Spieler, die das im Confed Cup gezeigt haben. Das muss jetzt genau überlegt werden“, sagte der Nationalmannschaftsdirektor am Mittwoch. Und: „Irgendeinen Impuls wird es dann schon geben."

Der Bundestrainer dürfte hin- und hergerissen sein, auf wie vielen Positionen er den Müllers, die sich auch Mesut Özil oder Sami Khedira nennen, noch vertraut. Und ob er mit der Hereinnahme von Marco Reus nach dessen ansprechendem halbstündigem Vortrag gegen Mexiko mehr Dynamik ins Spiel bringt. Denkbar wäre auch der Starteinsatz von Confed-Cup-Sieger Leon Goretzka. „Egal wer spielt“, sagte Müller zu der Wechseldebatte, „jeder hat seine eigene Art und Weise, seine Aufgabe zu erfüllen. Hauptsache, er erfüllt sie.“

Dass er selbst gegen Schweden nicht wieder auf die Suche nach Raum und Zeit und Ball geht, ist eher unwahrscheinlich. Denn Müller, der spielt eigentlich immer. Schließlich ist er ja variabel einsetzbar.

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