Lena Schöneborn Folge 1: Rein in den Tunnel

BERLIN/Bonn · Die Tage von Lena Schöneborn sind lang und anstrengend. Die Moderne Fünfkämpferin aus Niederkassel arbeitet hart für den Traum eines zweiten Olympiasieges

Es ist kurz vor Weihnachten. Die Wolken über dem Olympiastadion sind dunkelgrau. Sie hängen tief. Doch Lena Schöneborn lächelt viel, auch an einem harten Arbeitstag wie diesem. Morgens stand Schwimmen auf ihrem Trainingsplan, danach Physiotherapie. Im Anschluss an das Mittagessen macht und tut die 28-Jährige zwei Stunden in einer Sportmarketingagentur, bevor sie zum Interviewtermin samt Foto-Shooting erscheint.

Es folgt eine Lektion Fechten. Und dann Laufen, zwölf Kilometer durch die Dunkelheit. Anschließend, im ermüdeten Zustand, wird noch das Schießen geübt. Olympiakandidaten haben lange und anstrengende Tage. Erst recht im Modernen Fünfkampf, der so viele unterschiedliche Fähigkeiten verlangt. Konzentration, Selbstsicherheit und Ausdauer. Lena Schöneborn bringt all das mit, dazu eine sehr positive Einstellung.

Kurz nach halb fünf am Nachmittag: Die Dunkelheit ist schon über dem Adlerplatz vor dem Olympiastützpunkt in Berlin hereingebrochen. "Manchmal ist es nicht leicht, loszulaufen", räumt Schöneborn angesichts von derzeit 70 Kilometern verteilt auf sechs Läufe pro Woche ein: "Da ist es gut, wenn man nicht alleine ist." Sagt's, und entschwindet mit ihren Schwestern in die Finsternis.

Erst mit Verspätung haben die acht Jahre jüngeren Zwillinge Rabea und Debbie Schöneborn ihre Liebe für den Modernen Fünfkampf entdeckt - trotz des besten Vorbilds in der eigenen Familie. Triathlon hatten sie probiert, jetzt studieren beide in Berlin und eifern Lena nach. Die mutmaßt: "Vielleicht ist es anfangs nicht gerade cool, was die ältere Schwester macht."

Es sind die dunkelsten Tage des Jahres und es fällt schwer, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Da tut es gut, die Feiertage im engen Familienkreis zu verbringen, um die Seele zwischen all den harten Trainingseinheiten aufzuhellen. "Heiligabend in Niederkassel sind es nur wir fünf: meine Eltern, meine Schwestern und ich", sagt Lena. Seit ihrem 15. Lebensjahr startet sie für die SSF Bonn. Bis dahin hatte sie nur Schwimmwettkämpfe bestritten, zunächst für die SpVgg Lülsdorf-Ranzel, später für den SV Hellas Siegburg.

SSF-Fünfkampftrainer Kersten Palmer begeisterte Schöneborn für die antike olympische Sportart, zunächst stieg sie ins Laufen und Schießen ein. Es folgten Lektionen im Fechten, später erste Reiterfahrungen. Was sie fasziniert? "Die Vielseitigkeit fordert nicht nur Körper und Geist, sondern lässt auch keinerlei Langeweile im Training aufkommen", sagt Schöneborn. Und: "Die Zeit, die anderen für eine einzige Disziplin zur Verfügung steht, kann ich auf fünf verschiedene aufteilen."

Es war ihr auch immer wichtig, nicht alles auf die Karte Sport zu setzen. Ihr Studium hat sie mit dem Master in internationalem Marketing-Management abgeschlossen. Danach arbeitete sie parallel bei der Deutschen Post in Berlin und Bonn. Ganz ohne Kopfarbeit kann Schöneborn nur schwer, deshalb erledigt sie auch jetzt, eineinhalb Jahre vor Olympia, noch einen Nebenjob. Doch mit der Zeit der Trainingslager ab Januar 2015 gilt eine ganze Weile die komplette Konzentration dem Sport. Der Tunnelblick ist wichtig. Gerichtet auf das ganz große Ziel.

Der Tunnel, durch den sie läuft, endet im August 2016 in Rio de Janeiro. Noch 18 Monate sind es bis zu den Olympischen Sommerspielen in Brasilien. "Lenas Erfolge sind schon jetzt einzigartig. Über einen so langen Zeitraum hat sich noch keine Athletin in der absoluten Weltspitze gehalten", sagt Bundestrainerin Kim Raisner über ihre Musterschülerin, die in diesem Jahr Europameisterin wurde. Insgesamt hat die Niederkasselerin bereits zwölf WM- sowie elf EM-Medaillen gesammelt.

Raisner, 2004 selbst Olympiafünfte in Athen, begleitet Schöneborn seit Karrierebeginn - gemeinsam waren sie 2005 in Warschau noch Team-Weltmeister.

Noch vor der Laufeinheit, auf der Planche in der OSP-Sporthalle: Direkt nebenan, nur abgetrennt durch drei quer auf den Kunststoffboden gelegte Turnbänke, spielen Nachwuchs-Fünfkämpfer Hockey. Wild. Sie lachen viel.

Lena Schöneborn konzentriert sich trotz des Lärms. Sie hat die Fechtmontur angelegt, die Bundestrainerin trägt schwere Schutzkleidung. Die braucht sie auch, denn die liebe Lena kennt kein Pardon. Der Degen biegt sich aufs Äußerste, als sie - im extremen Ausfallschritt - Raisner an der linken Schulter erwischt. "Das Fechten ist sehr wichtig", sagt Schöneborn: "Es macht bestimmt 30 Prozent am Gesamtergebnis aus."

Fast so wichtig ist das Laufen - inzwischen ihre große Stärke. Früher, auch noch bei ihrem Olympiasieg 2008 in Peking, mussten zum Abschluss 3000 Meter zurückgelegt werden. Inzwischen - im Ablauf dem Biathlon ähnelnd - fünfmal 800 Meter, dazwischen wird mit einer Laserpistole geschossen.

Den geringsten Einfluss auf das Gesamtergebnis hat das Schwimmen. Seit Peking steht ihre persönliche Bestzeit über 200 Meter Freistil bei 2:16,91 Minuten. Dieses Niveau will Schöneborn wieder erreichen. Die Kunst aber ist es, das Training so zu verteilen, dass in der Summe die Topleistung möglich wird.

Wenn Lena Schöneborn auf ihren Olympiasieg zu sprechen kommt, spiegeln ihre glaskaren Augen Nachdenklichkeit. "Vielleicht habe ich zu früh Gold gewonnen", sinniert sie. Gerade 22 war sie, und schon auf dem Gipfel. Meister werden ist nicht schwer, Meister bleiben dagegen sehr. Das erfuhr sie 2012 in London, als sie im Fechten versagte und nach zwei Disziplinen aussichtslos zurücklag. Platz 15 stand am Ende. Der Druck hatte sie gelähmt, auch wenn sie es zuerst nicht glaubte. "Ich hatte nicht das Gefühl", sagt sie. Aber auch: "Vielleicht habe ich es in Rio wieder etwas leichter."

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