Interview mit Judoka Frank Wieneke „Ich würde ganze Nationen sperren lassen“

Bonn · Der frühere Judo-Olympiasieger und heutige Trainer-Ausbilder Frank Wieneke über Doping, schlechte Bezahlung deutscher Trainer und den größten Moment seiner Karriere.

Interview mit Judoka Frank Wieneke: „Ich würde ganze Nationen sperren lassen“
Foto: Wolfgang Henry

Frank Wieneke kann alles, außer Fußball: DerJudo-Olympiasieger von 1984 leitet in Köln die Ausbildung der Diplomtrainer inden Olympischen Sportarten. Der 53-Jährige lächelt viel, ist ein positiverMensch. Die Stirn runzelt Wieneke aber, wenn die Rede auf Leistungsmanipulationim Spitzensport kommt. Der engagierte Doping-Gegner kritisiert das InternationaleOlympische Komitee (IOC) für sein lasches Vorgehen, wünscht sich lebenslangeSperren für Betrüger - und den Ausschluss dopender Nationen von Olympia. AmRande der Judo-Bezirksmeisterschaften in Swisttal, wo sein 14-jähriger SohnVincent zu den Titelträgern zählte, sprach Wieneke mit GA-Redakteur BertholdMertes auch über die schlechte Bezahlung deutscher Trainer und die Gefahreiner Trainerflucht für den deutschen Spitzensport.

Herr Wieneke, Sie leiten die Diplomtrainer-Ausbildungen an der deutschenTrainerakademie in Köln. Was macht einen guten Trainer aus?
Wieneke: Ein guter Trainer istderjenige, der Athleten dazu bringt, die individuelle Höchstleistung aus ihremKörper herauszuholen. Einer, der sich auch auf unterschiedliche Typeneinstellen kann.

Maßstab in der Außenwahrnehmung sind aber doch einzig Titel undMedaillen
Wieneke: Natürlich geht es imSpitzensport um Erfolg. Dennoch will ich das nicht ganz so stehen lassen. Erfolg ist vor allem, wenn das individuelle Eingehen auf den Athletengelingt. Daraus resultieren in der Regel auch die bestmöglichen Ergebnisse.

Kann man in der heutigen vom Fußball so stark dominierten Zeit nochguten Gewissens einem jungen Menschen raten, das Risiko Höchstleistungssporteinzugehen?
Wieneke: Ich glaube ja, aberdie Talente müssen sich an die richtigen Leute wenden. In meiner Sportart Judozum Beispiel gibt es sieben Stützpunkte in Deutschland. Wer nach oben will, dermuss dorthin - spätestens, wenn er im U20-Bereich ankommt.

Ohne Zentralisierung also kein Erfolg?
Wieneke: Genau. Ab einembestimmten Punkt gibt es drei Wege: Entweder geht man zum Bundesgrenzschutz,zur Sportfördergruppe der Bundeswehr, oder man studiert. Letzteres istmittlerweile deutlich schwieriger geworden durch die Bachelor-Studiengänge. Mitder Unterstützung durch die Olympiastützpunkte ist Hochleistungssport aber nochguten Gewissens zu empfehlen.

Auch unter materiellen Gesichtspunkten?
Wieneke: Ich bin imGutachterausschuss der Deutschen Sporthilfe und kann sagen, dass die Athletenheute schon einigermaßen verdienen.

Auch ein Judoka?
Wieneke: Ja. Wer in den B-Kaderkommt, ist schon mit 400 bis 500 Euro Unterstützung pro Monat dabei. Ermuss also nicht arbeiten gehen. Natürlich wollen wir nicht zehn Jahre lang denB-Kader fördern - das ist eine Durchgangsstation zum A-Kader.

Wo fängt der Spitzensport für Sie an?
Wieneke. Das sind Athleten, dieirgendwann bei einer EM, WM oder bei Olympia eine Medaille machen. Dazu mussman die entsprechenden Fachleute fragen.

Nochmals: Reicht das, um als Trainer glaubwürdig motivieren zu können?
Wieneke: Selbstverständlich machtLeistungssport nicht reich - in den wenigsten Sportarten jedenfalls. Man kannseinen Lebensunterhalt damit finanzieren, seine Wohnung, sein Studium,vielleicht sogar sein Auto. Wenn man dazu den einen oder anderen kleinenWerbevertrag hat, hilft das.

[kein Linktext vorhanden]Ihr Sohn Vincent ist 14 und macht Judo.
Wieneke: Ich würde mich freuen, wenner ein bisschen weiterkommen würde. Weil dadurch seine Persönlichkeit besserentfaltet wird, als wenn man nur studiert oder den einfachen Weg geht.

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Wie haben Sie Ihrem Sohn gesagt, dass er Judo machen soll und nicht Fußballoder Handball?
Wieneke: Erst mal ist das seineeigene Entscheidung. Wegen meiner eigenen Erfahrungen versuche ich, ihnfür eine Individualsportart zu begeistern. Ich habe früh gemerkt, dass ichnicht in einer Mannschaft sein wollte. Bei meinem Sohn ist das ähnlich,obwohl er auch gerne Basketball spielt. Aber er will auch für seinenErfolg persönlich verantwortlich sein und sich nicht auf andere verlassenmüssen. Das schließt nicht aus, auch in einem Team arbeiten zu können.

Werden die Trainer im deutschen Spitzensport angemessen bezahlt?
Wieneke: Immer noch nicht, auchwenn es ja immerhin eine Aufstockung der Fördermittel von der Regierung gab.

Wie stark wirkt sich die konkret aus?
Wieneke: Schwer zu beantworten,weil es ja bei den Fachverbänden liegt, ob sie nun eine neue Trainerstelleschaffen oder die alten Gehälter irgendwo aufstocken.

Ist die Bezahlung denn jetzt angemessen?
Wieneke: Ich glaube noch nicht,dass es reicht. Durch meine Arbeit an der Trainerakademie in Köln bin ich mitfast allen Spitzentrainern irgendwie verbunden. Wenn man hört, wasBundestrainer so verdienen, sind das teilweise nur 2000 oder 3000 Euro brutto.Das steht im krassen Kontrast zu der Meinung in Teilen der Öffentlichkeit.

Einige haben Arbeit im Ausland gefunden, nicht zuletzt auch in Katar.Ist das ein Problem für den deutschen Sport?
Wieneke: Ich glaube schon, weilzum Beispiel im Wintersport unser Know-how-Vorsprung in puncto Technik und Material schmilzt - im Zweifel findet man einige unserer bestenTrainer im Osten wieder.

In Russland beispielsweise.
Wieneke: Genau. Dortwerden enorm hohe Summen verdient. Ein Trainer sagt selbstverständlich immer:es ist eine interessante Aufgabe. Aber natürlich liegt es häufig am Geld, wenner Deutschland verlässt.

Ist das für Sie nie infrage gekommen?
Wieneke: Ich hatte ein Angebot,da drehte es sich tatsächlich um 10.000 Euro monatlich.

Warum haben Sie nicht angenommen?
Wieneke: Weil ich mir undmeiner Familie hier eine Zukunft aufbauen wollte.

Was tut die neu formierte Trainer-Kommission des DOSB, um denTrainerberuf attraktiver zu gestalten?
Wieneke: Wir sind die Stimmeder Trainer in Deutschland. Der DOSB will auch, dass wir Einfluss haben.Die Frage ist: Was kann man alles tun, um am Ende die Athleten nach vorne zubringen.

Olympia 2016 in Rio ist nicht mehr weit weg. Rechnen Sie mit einerFortsetzung der Talfahrt des deutschen Sports?
Wieneke: Alle im deutschenSport arbeiten daran, den Abwärtstrend im Medaillenspiegel zu stoppen.

Stagnation wäre in diesem Fall also schon ein Fortschritt?
Wieneke: Es ist ja etwaspassiert: Es gibt höhere Gelder, realistischere Zielvereinbarungen. Aber daskann nicht so schnell messbare Erfolge zeitigen. Zudem sind die Sportartenschwer zu vergleichen: Im Wasserspringen gewinnen meistens die Chinesen, aberdann ist für uns wenigstens öfter Silber oder Bronze drin. In derLeichtathletik als Gegenbeispiel ist der Weg dorthin viel weiter.

Wie wichtig ist die Olympia-Bewerbung mitHamburg für den deutschen Sport?
Wieneke: Sehr wichtig. Nicht alleine, weil immer im Rahmen einer solchenBewerbung Gelder frei gemacht werden. Vor allem in den Köpfen der Menschenwürde etwas passieren: Deutschland würde wieder ja zum Leistungssport sagen -auch außerhalb des Fußballs.

Nur wegen einmal Olympia?
Wieneke: Man muss im Anschlussnatürlich aufpassen, dass nicht alles wieder absackt.

Schaffen die Briten das nach ihrem erfolgreichen Heimspiel 2012?
Wieneke: Man muss abwarten, obsie in Rio wieder so erfolgreich abschneiden wie in London. Davor haben sieRiesenprojekte gemacht. Sie haben sich auf gewisse Sportarten konzentriert. ImJudo zum Beispiel wurde ein tolles System entwickelt, soweit ich das vonenglischen Trainern gehört habe. Aber auch in den Raddisziplinen, in denen sieja megaerfolgreich waren.

Soll Deutschland das britische Erfolgsmodell nachahmen?
Wienicke: Vor allem brauchenwir noch kürzere Wege zur Finanzierung. In England gab es zentral einenAnsprechpartner, der sich mit den Verbänden unterhalten hat. Und wenn derBedarf da war, flossen sehr schnell die benötigten Mittel. Bei uns gibt esimmer noch zwei, drei Schritte dazwischen. Wir müssen die Prozesse verschlanken.

Thema Doping: Auch der Judosport ist alles andere als eine Insel derSeligen. In London wurde der Amerikaner Nicholas Delpopolo überführt. Sogar derOlympiasieger von 1996, der Franzose Djamel Bouras, wurde zu einem späterenZeitpunkt als Sünder entlarvt.
Wieneke: Das war für mich eineunfassbare Situation.

Halten Sie die Strafen für ausreichend?
Wieneke: Ich denke da einbisschen extrem. Ganz ehrlich: Wer eindeutig überführt wird, gehört für michlebenslänglich gesperrt. Aus folgendem Grund: Jeder Sportler kommt irgendwannbei einem wichtigen Turnier an einen Scheideweg. Gewinnt oder verliert er? Nurdavon hängt ab, ob er Spitzensportler wird oder nicht. Wenn ich dann gegeneinen gedopten Athleten kämpfe, dann beendet er meine ganzeLebenskarriere. Ich empfinde das als eine derart unfaire Geste, dass zwei JahreSperre für mich gar nichts sind. Man sieht das ja teilweise bei den Sprintern.

Kein Endlauf ohne ehemals gesperrte Athleten…
Wieneke: Genau. ich würde ganzrigoros vorgehen. Ich akzeptiere Doping überhaupt nicht. Egal in welcherHinsicht.

Viele tappen aber auch durch verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel ineine Falle.
Wieneke: Ich muss sagen, dasist teilweise Dummheit. Selbst zu meiner Zeit war ich schon so starksensibilisiert darauf, dass ich mir nie so etwas gekauft hätte. Heute istdie Gefahr doch bei jedem im Bewusstsein. Wenn heutzutage noch einer erwischtwird, dann hat er es wirklich selbst zu verantworten und kann nichtsagen: Das wusste ich nicht.

Wie erklärt man diese Null-Toleranz-Haltung ehrgeizigen jungenAthleten?
Wieneke: Indem man einintelligentes Training praktiziert. Und die Thematik offensiv angeht.

Wie beispielsweise?
Wieneke: Gewichteheber-Bundestrainer Frank Mantek zum Beispiel geht direkt auf Länderzu, in denen nachweislich immer mal wieder gedopt wird. Er macht Politik gegendie, damit die Athleten sehen, dass auch der Bundestrainer sich einmischt. Dasist besonders wichtig in den Sportarten, in denen hauptsächlich gedopt wird.

Was könnte man noch tun?
Wieneke: Ich würde ganze Ländersperren. Ich verstehe nicht, warum das IOC nicht Nationen sperrt, in denen sichDopingfälle häufen und damit Indizien für systematisches Dopingvorliegen. Zum Beispiel: Wenn China in einer Sportart nachweislich immerwieder und wieder positive Fälle hat, würde ich dieses Land in der betroffenenSportart von internationalen Wettbewerben ausschließen.

Lassen Sie uns einen Blick zurück auf Ihre Erfolge werfen. 1984 landeteIhr Finalgegner, der große Favorit Neil Adams, nach rund fünf Minuten völligperplex auf seiner Schulter. Es war ein klassischer Außenseitersieg, oder?
Wieneke: Er war der bessere,zur damaligen Zeit eindeutig der weltbeste Judoka - nicht nur in derGewichtsklasse, sondern insgesamt. Aber ich hatte einen wichtigen Antrieb: Wennich in der fünften Minute noch stehe, sagte ich mir, dann werde ich ihn hintenraus schlagen. Weil ich von meiner konditionellen Stärke überzeugt war. Ich war so ein bisschen wie Rocky. Nach vier Minuten stand ich immer noch, esdrohte die erste Wertung gegen mich. Also musste ich die Flucht nachvorne antreten.

Was ist dann passiert?
Wieneke: Ich bin sehr aggressivauf ihn zugegangen, gerade noch im Rahmen der Regeln. Damit habe ich ihn so ausdem Konzept gebracht, dass ich ihn werfen konnte. Das war mit der Brechstange.Dagegen war er technisch perfekt und es war das erste Mal für ihn, dasser durch einen Wurf vorzeitig verloren hat.

Und dann hüpften Sie wie ein Gummiball über die Matte. Das muss derschönste Moment in Ihrem Sportlerleben gewesen sein, oder?
Wieneke: Auf jeden Fall, weiles so überraschend kam. Es war der schönste, aber zugleich auch derschwierigste Moment.

Warum das?
Wieneke: Danach habe ich erstmal zwei Jahre lang fast nur verloren. Habe mir Gedanken gemacht, ob meinOlympiasieg Zufall war. Ob meine Trainer irgendetwas gemacht haben, um dieanderen zu bestechen. Ich bin wirklich häufiger nachts aufgewacht und habegedacht, das kann nicht wahr sein.

Ihr Trauma währte nicht so lange wie das von Ulrike Meyfarth, zwischenderen Olympiasiegen zwölf Jahre lagen.
Wieneke: Dennoch kam es mir wieeine Ewigkeit vor. Erst zwei Jahre später habe ich alles ablegen können, binEuropameister geworden und habe mich in der Weltspitze etabliert für drei, vierweitere Jahre. Am Ende stand das Olympia-Silber von Seoul als Bestätigung. Eswar übrigens das beste Turnier, das ich je gekämpft habe.

Und warum sind sie vier Jahre nach dem Überraschungscoup im Finalegescheitert, obwohl diesmal Sie gegen den Polen Waldemar Legienfavorisiert waren?
Wieneke: Ich war nicht mehr100-prozentig davon überzeugt, dass ich den Sieg unbedingt wollte. Zweiter zuwerden ist einfach.

Aber wenn man im Finale ist, will man doch gewinnen.
Wieneke: Das sagt man soeinfach. Es ist ein Unterschied, mit voller Überzeugung in einen Kampfreinzugehen und gewinnen zu wollen, oder zu sagen: Wenn ich verliere, habe ichimmerhin Silber sicher. Dann schleicht sich so eine gewisse Gemütlichkeit indie Gedanken. Das war mein Fehler. Den verzeihe ich mir nie. Ich hätte wiederErster werden können in der Welt.

Mit zweimal Gold wären sie eine lebende Legende des deutschen Sports.
Wieneke: Ja, so bin ich esnicht.

Als Trainer von Ole Bischof haben Sie einen weiteren Olympiasiegmiterlebt. Wie unterscheidet sich die Gefühlswelt des Trainers von der desAthleten?
Wieneke: Der Trainer ist nochviel aufgeregter, er muss sich auf den Athleten verlassen. Das ist enormaufregend.

Sie waren in der gleichen Ära Bundestrainer wie Jürgen Klinsmann bei denFußballern. Glauben Sie nicht, dass der Trainer der Nationalelf mehrDruck empfindet als Sie?
Wieneke: Eine Gegenfrage:Glauben Sie, dass der einen Puls von 260 haben kann und ich nur von 220? DerPuls ist genauso hoch und der Druck auch, ob ich die Männernationalmannschaftim Fußball habe oder einen Judoka und ein Olympia-Finale coache - das ist schonsuper aufregend.

Warum haben Sie sich dann aus dem Trainerberuf verabschiedet und dieLeitung der Sportakademie in Köln übernommen?
Wieneke: Ich habe mit 46 aufgehört, Bundestrainer zu sein,weil ich mir nicht vorstellen konnte, bis 65 als Trainer zu arbeiten. Das istzu nervenaufreibend. Man muss irgendwann die Entscheidung für sich treffen.

Ihnen fehlt nichts?
Wieneke: Ich bin sehr glücklich darüber, dass ichdie Trainer-Ausbildung in Köln machen darf, weil mein Horizont sich noch einmalenorm erweitert. Es gibt ja nicht nur Judo. In meinen Kursen waren oder sindbeispielsweise Martin Schmitt, Ronny Ackermann, Boris Henry. Viele ehemalsgroße Athleten sind meine Studenten. Das ist doch klasse.

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