90-Jährige ehemalige Leichtathletin Else Jores über den Sport in Bonn in den Nachkriegsjahren

BONN · Die Frau hat Geschichte miterlebt. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das erste Mal wieder die deutsche Fahne bei der Siegerehrung eines Sportfests gehisst wurde, war Else Jores dabei.

 Das Gronau-Stadion, in dem über Jahrzehnte das Herz des Bonner Sports schlug. Auch Else Jores bestritt hier Leichtathletik-Wettkämpfe. 1989 musste die Anlage, zu der auch drei Aschenplätze gehörten, der Deutschen Welle und dem Post-Tower weichen.

Das Gronau-Stadion, in dem über Jahrzehnte das Herz des Bonner Sports schlug. Auch Else Jores bestritt hier Leichtathletik-Wettkämpfe. 1989 musste die Anlage, zu der auch drei Aschenplätze gehörten, der Deutschen Welle und dem Post-Tower weichen.

Foto: Heinz Engels

Die nun 90-Jährige aus Bonn saß 1949 auf der Teilnehmertribüne, als der aus Simmern im Hunsrück stammende Johann Friedrich Oertel in Meran bei den ersten Sport-Wochen der International University Sports Federation (FISU), dem Vorläufer der Universiade, den Stabhochsprung mit 3,70 Metern gewann. "Wir haben uns zugeflüstert: Ist euch bewusst, dass es das erste Mal nach dem Krieg ist, dass die deutsche Fahne gehisst wird?", erzählt die Seniorin.

Als Mitglied der deutschen 4 x 100-Meter-Staffel, die in 52,1 Sekunden Zweite wurde, durfte die Bonnerin später selbst zur Siegerehrung. Zwei Jahre später gewann Jores in Luxemburg sogar den Weitsprung mit 5,46 Metern. Höhepunkt und Abschluss ihrer Karriere war die Verteidigung ihres Titels 1953 in Dortmund mit 5,55 Metern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im stark zerstörten Bonn schnell wieder Sport getrieben. Natürlich unter primitiven Bedingungen. An der Sportanlage in der Gronau waren keine Umkleide- und Geräteräume mehr erhalten. Die Notlösung: "Unsere Geräte, Kugeln, Disken und Speere, haben wir nach dem Training in der Weitsprunggrube verbuddelt", erzählt Jores.

Speere waren kurz nach dem Krieg als Wurfgeräte durch die Alliierten erst einmal verboten. "Die galten als Waffe", berichtet die ehemalige Dozentin an der Bonner Pädagogischen Hochschule.

Obwohl es eine schwere Zeit war, erinnert sich Else Jores gerne an den Sport in den Nachkriegsjahren zurück. Zu den Wettkämpfen nach Köln oder dem beliebten Saisonabschluss-Sportfest nach Ahrweiler fuhr man mit einem Lastwagen. "Da wurden Bänke reingestellt und die Planen an den Seiten runtergemacht, damit uns niemand sieht." Und los ging's.

Besonders gefreut habe sie sich, wenn bei dem Wettkampf auch ein befreundeter Speerwerfer dabei war, der zu Hause eine Landwirtschaft hatte, erzählt sie: "Denn von dem habe ich immer ein Butterbrot bekommen."

1949, nach Währungsreform und Gründung der Bundesrepublik, habe man die schlimmsten Entbehrungen hinter sich gelassen. International war der deutsche Sport aber noch längst nicht rehabilitiert. Die Olympischen Spiele 1948 in London fanden ohne deutsche Beteiligung statt. Ebenso die Fußball-Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien.

Auch die Einladung der deutschen Studenten zu den FISU-Sportwochen in Meran war ein Versehen. Eine Telegrafistin schickte die Einladung für den Staat Monaco an die Stadt Monaco (italienisch für München), wo sich die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hochschulsportreferenten befand. Doch nur die Holländer zogen aus Protest ihre Delegation zurück.

Ein Abenteuer blieb die Reise für Jores und 76 weitere Sportler trotzdem. Als sich das Team in München traf, sei man von den Offiziellen "vergattert" worden: "Wenn ihr als Mannschaft ins Stadion einmarschiert und es kommen Buh-Rufe, keine Reaktion, ruhig weitergehen." Doch genau das Gegenteil trat im deutschsprachigen Südtirol ein, erzählt Jores: "Wir kamen auf die Aschenbahn, und ein Sturm der Begeisterung brach los. Bei dem Gedanken bekomme ich heute noch Gänsehaut."

Zur Person

Else Jores, geboren am 4. März 1925 in Köln.

Vereine: Bonner FV und KT Südstern Bonn.

Als eine von vier Frauen unter rund 100 Studierenden begann Else Jores zunächst in Bonn Physik zu studieren. Nach dem Vordiplom schwenkte sie aber auf ein Lehramtsstudium um (Physik, Mathematik, Sport).

Die Einladung zu Vorbereitungslehrgängen für die Olympischen Spielen 1952 in Helsinki lehnte sie wegen ihres Referendariats ab. 1955 nahm sie die Berufung als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Bonn an, wo sie bis zu ihrer Pensionierung lehrte

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