GA-Interview mit ZDF-Moderator Wolf-Dieter Poschmann: "Ich polarisiere gerne"

BONN · ZDF-Moderator Wolf-Dieter Poschmann spricht im GA-Interview über den Wandel der Sportberichterstattung im Fernsehen, eigene journalistische Ansprüche, Reaktionen im Internet, Dopingbekämpfung und Barfuß-Auftritte.

 Kritiker und Mahner: Wolf-Dieter Poschmann im Gespräch mit den GA-Redakteuren Berthold Mertes (links) und Hartmut Eickenberg.

Kritiker und Mahner: Wolf-Dieter Poschmann im Gespräch mit den GA-Redakteuren Berthold Mertes (links) und Hartmut Eickenberg.

Foto: Horst Müller

Vom Rhein ist Wolf-Dieter Poschmann irgendwie nie losgekommen. In Köln geboren, unter anderem für den LC Bonn als Leichtathlet gestartet, hat er in Mainz seine berufliche Heimat gefunden.

Nach 30 Jahren ZDF, davon zehn Jahre als Leiter der Hauptredaktion Sport, geht der langjährige Moderator des Aktuellen Sportstudios nach den Olympischen Spielen in Rio in den Ruhestand. Mit dem 64-Jährigen sprachen Berthold Mertes und Hartmut Eickenberg.

Herr Poschmann, die Fernsehgemeinde war überrascht bis irritiert, als Sie das ZDF spezial zum Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach barfuß moderierten. Machen Sie das häufiger?
Wolf-Dieter Poschmann: Ich bin halt als Enthüllungsjournalist bekannt und bekomme auch keine kalten Füße, wenn ich über Brisantes berichte… Nein, das war Zufall. Ich habe damit nicht gerechnet, dass meine Füße zu sehen sein könnten und auch nicht, dass Menschen angesichts dieses schwerwiegenden Themas auf solche Petitessen achten. Dass daraus eine solche Welle wurde, ist einerseits amüsant, aber auch bezeichnend für den Zustand unserer Medienlandschaft.

Der Grund interessiert uns aber nun doch.
Poschmann: Der ist ganz banal. Ich hatte neue Einlagen für meine Schuhe bekommen und sollte sie ohne Strümpfe einlaufen. Wir hatten wenig Zeit bis zur Sendung, der Moderationstisch war sehr niedrig, übertrieben gesagt fast Kniekehlenhöhe. Ich bin 1,90 m. Bevor nun wieder hektisch umgebaut wurde, habe ich schnell die Schuhe ausgezogen. Das brachte ein paar Zentimeter. Dass trotz der Blende vor dem Tisch meine Füße zu sehen waren, darauf wäre ich im Leben nicht gekommen.

Ihr Auftritt war ein Internet-Hit.
Poschmann: Es gab einige Interview-Wünsche, ich wurde gebeten, eine offizielle Erklärung zu formulieren, selbst in einer unserer ZDF-eigenen Sendungen sollte ich die Szene nachspielen und aufklären. Ich habe gefragt, ob ich ihnen den Puls fühlen müsste.....

Da sind wir beim Thema: Wie hat sich die Fernseh-Landschaft mit den Jahrzehnten verändert?
Poschmann: Grundlegend. Als ich vor 30 Jahren beim ZDF angefangen habe, waren es paradiesische Zustände. ARD und ZDF waren allein auf weiter Flur. Wohin wir auch mit unseren Kameras gekommen sind, wir wurden geradezu dankbar empfangen. Wir hatten die Souveränität, unser Programm ausschließlich nach journalistischen Kriterien, nach der Bedeutung der jeweiligen Ereignisse zu gestalten. Das, was man als Angebots-Fernsehen definieren kann.

Das heißt?
Poschmann: Wir haben ein Programm nach unseren redaktionellen Vorstellungen gemacht, ohne groß nach den Wünschen der Zuschauer zu fragen. Es war die hohe Zeit der Magazine, wie dem Sport-Spiegel, der auch hintergründigen, nachdenklichen Geschichten. Auf die Quote wurde kaum Rücksicht genommen, die hatte man. Das hat sich mit dem Aufkommen des Privatfernsehens radikal verändert.

Und heute?
Poschmann: Sind wir ein Nachfrage-Medium. Wir erfragen über Quoten und Umfragen, was die, die uns Gebühren bezahlen, mehrheitlich sehen wollen. Wir sind also in erster Linie Dienstleister. Und die Erkenntnis ist: Live schlägt alles. Nachbearbeitung, Hintergrundgeschichten sind Garnitur. Das Fernsehen heute ist streng erfolgsorientiert, das Selbstverständnis einer Redaktion tritt zunehmend in den Hintergrund, Unterschiede sind kaum noch wahrnehmbar.

Wie sehen Sie die Entwicklung?
Poschmann: Sehr kritisch. Die Konkurrenz auf dem Markt lässt einen schneller wankelmütig werden, auch in seinen eigenen journalistischen Ansprüchen. Man ist geneigt, neuen Tendenzen, Strömungen zu folgen. Es gab Zeiten, als Spielerfrauen auf der Tribüne oder Hobbys der Profis fast wichtiger als der Sport selbst wurden. Darüber haben wir intern heftig diskutiert und uns gefragt: Wollen wir das mitmachen oder wollen wir uns nicht doch unseren Standpunkt, unseren Stil bewahren und ein Mahner bleiben.

Aber Sie haben sich angepasst.
Poschmann: Ja, viel zu häufig, und das finde ich bedauerlich. Die Berichterstattung im Allgemeinen ist braver, geschmeidiger und weniger kontrovers geworden.

Das gilt auch fürs Aktuelle Sportstudio, das Sie 230 Mal moderiert haben. Die jungen Moderatoren sind nett, aber nicht sehr kritisch.
Poschmann: Das sagen Sie. Sie dürfen nie vergessen, Moderation und Kommentierung unterliegen immer auch subjektiven Einschätzungen, es gibt im Grund genommen keine objektivierbaren Kriterien. Jeder muss wissen, wofür er steht: für welche Werte, für welchen Stil. Vielen ist angenehmer, fröhlich und unterhaltsam daherzukommen und kontroverse Themen zu umgehen, das bietet weniger Angriffsfläche. Aber natürlich ist auch relevant, welchen Rahmen eine Redaktion vorgibt und welchen Anspruch sie hat.

Wer hat Sie geprägt?
Poschmann: Dieter Kürten. Er hat mich geholt. Dafür bin ich ihm ein Leben lang dankbar. Als ich als Deutschlehrer kam, war ich begeistert, wie wichtig für Kürten, Harry Valérien oder Wolfram Esser Sprache war und wie sehr sie sich darum bemüht haben, uns zu vermitteln, den Sportjargon nicht zu übernehmen und Klischees zu vermeiden. Das ständige Erinnern an die Verantwortung, die man vor einem Millionenpublikum hat. Auch in dieser Hinsicht war Dieter Kürten ein wunderbarer Lehrmeister. Er sagte: Nur, wenn du dich in deiner Alltagssprache bemühst, sauber zu formulieren, wirst du das auch in einer Live-Sendung, in der du unter Druck formulieren musst, aktivieren können, Rolf Kramer sprach von der "präsenten Prosa".

Ein missglückter Satz kann in heutiger Zeit im Netz einen Shitstorm auslösen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Poschmann: Wer den Schritt in die Öffentlichkeit wagt, sollte ehrlicherweise niemals die vielen Privilegien vergessen und deshalb auch nicht wehleidig werden. Bedauerlicherweise sind aber Grenzen des Anstands verrutscht, der Ton verroht. Aber klar: Im großen, unergründlichen Netz muss man radikalisieren, übertreiben, beleidigen, um aufzufallen.

Bilder aus der TV-Karriere des Wolf-Dieter Poschmann
11 Bilder

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Treten Sie in Interaktion mit Usern?
Poschmann: Nein, ich bin weder bei Facebook noch Twitter. Ich habe auch nichts gegen seriöse Kritik, wir dürfen ja nie vergessen, wir kritisieren und bewerten doch selbst permanent Sportler, Trainer, Funktionäre. Wenn Dieter Kürten mich nach einer Sendung mal beiseite nahm und sagte: Pass auf, du bist da auf einem schwierigen Weg, da bin ich sehr hellhörig geworden. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Oder wenn mich Telefonanrufer nach der Sendung darauf aufmerksam machen, dass ich mich gesetzt hätte, bevor meine Gäste Platz genommen hatten. Das sei unhöflich. Ja, das darf man annehmen. Berechtigte und begründete Kritik ist doch auch letztlich hilfreich, und über gut formulierte Verrisse kann ich auch schmunzeln...nach 2 Tagen, versteht sich! Nur, wer "Arschloch" ohne "r" schreibt, möge bitte Nachsicht haben, dass ich nicht schwermütig werde, sollte ich zufällig auf seinen Verbaldurchfall stoßen.

Sie haben sich mal mit einer Äußerung bei den WM 2009 über die Hammerwerferin Betty Heidler vergaloppiert.
Poschmann: Ich habe gesagt: Wenn man in Marzahn aufgewachsen ist und das unbeschadet überstanden hat, ist man zu allem fähig. Das war eher launig gemeint, hatte aber durchaus den Hintergrund, sich auch mithilfe des Sports in einem nicht unauffälligen Stadtteil durchgesetzt zu haben. Witzig war, dass sie nach der Äußerung deutschen Rekord warf und Silber gewann. Ein Sturm der Entrüstung, der Besser-Wessi war schnell an die Wand genagelt. Nicht das erste Mal, dass ich die Humor-Toleranz überschätzt habe. Leute - es ist doch nur Sport - kommt von "disportare", zerstreuen....macht Euch locker - bitte !!!

Sie werden 65 Jahre. Sind die Spiele in Rio die Abschiedsvorstellung?
Poschmann: Definitiv. Ein wunderbarer Abschluss. Und langsam ist es ja auch gut, keine Bitterkeit. Ich habe so viel Spannendes und Großartiges erlebt, durfte ein kleiner Teil von großen Sportmomenten sein, habe Generationen von Sportlern kommen und gehen sehen, habe die deutsche Einheit, die im Sport ja irgendwie immer noch nicht richtig vollzogen ist, begleitet. Es fällt mir nicht schwer loszulassen – also jetzt. Wie's im Oktober ist, weiß ich nicht. Aber dann habe ich Zeit, im Netz richtig abzulästern. Und ich werde „Arschloch“ mit „r“ schreiben...

Bei den Sommerspielen 2012 in London haben Sie sich bei der Übertragung des 100-m-Finales in bemerkenswerter Weise zum Dopingkampf in Deutschland geäußert: ineffektiv, zu teuer, die wenigen, die erwischt würden, würden dämonisiert. Das klang für einige wie ein Plädoyer für Dopingfreigabe.
Poschmann: Mir ging's um das Comeback von US-Sprinter Justin Gatlin nach vierjähriger Dopingsperre. In Deutschland gab's Stimmen, die über seinen Start überhaupt Unverständnis äußerten. Ich habe den Standpunkt vertreten, der Sport dürfe kein rechtsfreier Raum sein. Die deutsche Rechtsauffassung sieht vor, dass ein Mensch, der einen Regelbruch begangen hat, nach Abbüßung seiner Sanktion und Sperre das Recht auf Wiedereingliederung und die Chance auf einen Neuanfang hat, es also keinen Grund gibt, einen ehemaligen Sünder zu dämonisieren.

Gatlin war die eine Seite. Die andere der Vorwurf, Kontrollen bringen nichts.
Poschmann: Aufwand und Ertrag bei den Trainingskontrollen stehen für mich in keinem vernünftigem Verhältnis. Mit einem enorm hohen logistischen, personellen und finanziellen Aufwand und einem für mich unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre werden Trainingskontrollen durchgeführt. Die Statistik der Nada beweist jedes Jahr, dass im Verhältnis zu Proben und Kontrollen im Training mehr Dopingfälle im Wettkampf aufgedeckt werden. Wenn man dann die Erkenntnisse der Biochemiker heranzieht, die über mannigfaltige Mittel und Methoden berichten, wie sich die Kontrollen umgehen lassen, wenn man weiß, dass der Anti-Doping-Kampf im Interesse nur weniger Nationen liegt, dann kommen mir Zweifel. Ich halte es für angemessen, das zu äußern.

Der Eingriff in die Privatsphäre wird von vielen Sportlern kritisiert.
Poschmann: Wer Einblick hat in den Ablauf einer Dopingkntrolle, der wird zur Einschätzung kommen, das das unangemessen ist und gegen die Würde des Menschen verstößt. Dass sich Menschen, nur weil sie Leistungssport betreiben, bei Sportverbänden an- und abmelden und ihren Standort definieren müssen, ist ebenfalls unwürdig.

Also kein Plädoyer für die Freigabe von Doping.
Poschmann: Im Gegenteil. Es ist ein Plädoyer für intelligente, raffinierte und international gleichwertige Maßnahmen.

Dennoch gab es von Seiten der Dopingbekämpfer heftige Kritik.
Poschmann: War ja auch nicht anders zu erwarten. Ich habe wie viele als braver, netter Moderator begonnen. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt: Wofür willst du stehen, was ist dein journalistischer Anspruch, was sind deine Werte? Mit der Erfahrung der Jahre und der Kenntnis der Hintergründe habe ich beschlossen, zu benennen, was meiner Meinung nach falsch läuft. Dass ich damit polarisiere, ist mir bewusst. Damit lebe ich gut und gerne.

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