Gehirnerschütterung Nicht nur im Football eine Kopfsache

Bonn · Tommy Pretkowski von den Gamecocks erlitt beim Football eine Gehirnerschütterung. Die Verletzung ist aber in vielen anderen Sportarten ebenfalls zu Hause.

 Tommy Pretkowski von den Gamecocks.

Tommy Pretkowski von den Gamecocks.

Foto: Gamecocks

Hängende Köpfe bei den Gamecocks aus Bonn - Jubel dagegen bei den Elmshorn Fighting Pirates. An die schmerzhafte Niederlage im Keller-Duell der 2. Football-Liga vor über einem Jahr kann sich Thomas Pretkowski noch gut erinnern. Nicht, weil die Bonner überraschend gegen das Tabellenschlusslicht den Kürzeren zogen. Viel mehr, weil sich der heute 24-Jährige damals verletzte. Und ausgerechnet seine Erinnerung ihm einen Streich spielte. "Ich weiß nur noch, dass mein Gegenspieler die Schulter runtergenommen hat und wir mit den Helmen aufeinandergestoßen sind", sagt Pretkowski. "Meine Erinnerungen nach dem Zusammenprall sind ein wenig schwammig", sagt Pretkowski. Er klagte über Schwindel und: "Als ich mir das Video angeschaut habe, war da schon eine Schräg-Position im Gehen zu sehen." Die Diagnose: Gehirnerschütterung.

"Die Gehirnerschütterung entspricht einer gedeckten Schädel-Hirn-Verletzung der leichtesten Form", sagt Dr. Jan Frenzel-Callenberg, Oberarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie im Johanniter Waldkrankenhaus. "Durch einen Aufprall oder einen Schlag gegen den Kopf stößt das Gehirn von innen gegen den Schädelknochen." Es kommt zu einer vorübergehenden Funktionsstörung. Neben der Beeinträchtigung des Gleichgewichtsorgans und Gedächtnislücken gehören auch Kopfschmerzen, Übelkeit und Sehstörungen zu den Symptomen. Selbst eine mehrminütige Bewusstlosigkeit kann vorkommen.

Seit Jahren wird die Gehirnerschütterung im Sport immer wieder im Zusammenhang mit American Football genannt. Zu Unrecht, wie Pretkowski findet. "Im Kampfsport ist die Gefahr doch mitunter viel größer", sagt der ausgebildete Rettungssanitäter. "Aber die komplette Aufmerksamkeit liegt auf dem Football." Tatsächlich kommt die Gehirnerschütterung in vielen anderen Sportarten ebenfalls vor. Laut der Initiative "Schütz deinen Kopf! Gehirnerschütterungen im Sport" der Hannelore-Kohl-Stiftung werden im Jahr mehr als 40 000 Gehirnerschütterungen diagnostiziert, wobei die Dunkelziffer deutlich höher liege - auch weil die Verletzung dem Sportler, aber auch Trainer nicht immer bewusst ist. Dabei gibt es Tests, die direkt vor Ort angewandt werden können, die die Wahrscheinlichkeit einer vorliegenden Gehirnerschütterung anzeigen. Wie zum Beispiel das Sport Concussion Assessment Tool (SCAT), ein Fragebogen, der unter anderem von der Stiftung "Schütz deinen Kopf" kostenlos angeboten wird. In der Stiftung haben sich namhafte Organisationen und Verbände zusammengeschlossen, um Sportler, Ärzte, Trainer, Betreuer, Lehrer und Eltern für dieses Thema zu sensibilisieren.

Unvergessen ist Fußball-Nationalspieler Christoph Kramer, der im WM-Finale 2014 mit dem Argentinier Ezequiel Garay zusammenstieß und bereits nach 31 Minuten ausgewechselt wurde. Laut einer Studie seien gerade Defensivspieler im Fußball besonders gefährdet.

Die bis vor wenigen Jahren noch unterschätzte Verletzung wird immer ernster genommen. "Gerade die Masse dieser Schädel-Hirn-Traumata wurde im Sport jahrelang bagatellisiert und verdrängt", so Frenzel-Callenberg. "In aller Regel heilt eine Gehirnerschütterung folgenlos aus." Wenn man ihr denn auch genug Ruhe gönnt. Ein zweites Hirn-Trauma innerhalb weniger Tage sei laut Experten unbedingt zu vermeiden. Der ehemalige NHL-Spieler Stefan Ustorf musste 2013 seine Karriere aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas beenden. Bis heute leidet er unter den Folgen. Und nicht nur das. Der Tageszeitung "Neues Deutschland" verriet Ustorf, dass die Wahrscheinlichkeit einer Chronisch-Traumatischen Enzephalopathie (CTE) beim ehemaligen Nationalspieler sehr sehr groß sei. CTE ist eine neurale Funktionsstörung, die je nach Stufe bis zu einer ausgeprägten Demenz führen kann, verursacht durch wiederholte Stöße gegen den Kopf. Boxer wie Joe Lewis litten unter CTE.

Umso erstaunlicher, dass man bei den Box-Wettkämpfen bei den Olympischen Spielen in Rio auf den sonst obligatorischen Kopfschutz gänzlich verzichtet hat. Im Football wird mittlerweile viel gegen Gehirnerschütterungen getan. Die Regeln wurden angepasst. Das direkte Aufeinanderstoßen von Helmen ist beispielsweise untersagt. "Der Kontakt mit den Helmen ist ein No-Go und wird empfindlich bestraft", sagt Pretkowski. Betreuer und Trainer werden zudem besonders geschult. Auch Pretkowski hat als Jugendtrainer erst kürzlich an einem Lehrgang teilgenommen. Ein wichtiger Bestandteil der Schulung ist die Diagnose von Gehirnerschütterungen sowie der richtige Einsatz des Körpers. Aktuell freut sich der Linebacker auf sein Comeback. Mehr als ein Jahr stand er nicht mehr auf dem Platz. Nicht wegen der Gehirnerschütterung, die keine Rolle mehr spielt. Wegen eines Kreuzbandrisses - leider eine typische Footballer-Verletzung.

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