Kanurennsport Max Rendschmidt will zu den Spielen nach Tokio

Bonn · Der Bonner Doppel-Olympiasieger Max Rendschmidt greift im Kanu wieder an. Sein großes Ziel: Ein Start im Einzel bei den Sommerspielen 2020 in Tokio.

Es bringt schon etwas Beruhigendes mit sich, die Gedanken einfach mal in ferne Kindheitstage schweifen zu lassen. Kein Druck, kein Alltagsstress. Kleine Fluchten in große Wehmut. Jeder hat so seine speziellen Bilder dann vor Augen, mit denen der sich einen Moment der Sorglosigkeit gönnt. Max Rendschmidt dürfte es ebenso ergehen. Seit Jahren schon hat er einen Traum: Einmal von dieser Fähre in den Rhein zu springen, das wäre schon was. Vielleicht kam dem Bonner dabei auch dieses wunderbare Buch von Mark Twain in den Sinn. Eine gemütliche Floßfahrt auf dem Mississippi – und, schwupps, Huckleberry Finn springt ins Wasser. Kleine-Jungs-Träume eben.

Rendschmidt lässt seinen jetzt Realität werden. Der Rennkanute startet am Sonntag beim Bonner Triathlon. Mit eher geringen Erwartungen, Zeiten spielen keine Rolle. „Ich will durchkommen“, sagt der 23-Jährige, „und Spaß haben.“ Schließlich wollte er schon immer einen Triathlon absolvieren. Gleich zu Beginn kommt sein großer Moment, sein vielleicht größter Spaß bei diesem deftigen Dreikampf. Von der Fähre vor dem Kameha-Hotel wird er ins Wasser hechten – nicht in den Mississippi zwar, aber immerhin in den Rhein. Dann geht der wilde Ritt los: 3,8 Kilometer Schwimmen im braunen Strom, 60 Kilometer Radfahren durchs Siebengebirge, 15 Kilometer Laufen entlang der Rheinpromenade. Klingt anstrengend, ist es auch. Vor allem aber dürfte die Belastung für den zweifachen Kanu-Olympiasieger ungewohnt sein; Rendschmidt ist eher die kurzen Intervalle gewohnt. „Es wird hart“, sagt er, „ich hoffe, ich kann mich am nächsten Tag bewegen.“

Auch seine sportartspezifische Bewegung hat zuletzt etwas gelitten. Der Kanu-Könner schloss im Februar seinen Ausbildung bei der Bundespolizei als Polizeimeister mit Auszeichnung ab. Und das Kürzertreten im Boot im nacholympischen Jahr hatte er schon kurz nach den Spielen in Rio de Janeiro angekündigt. Und deshalb klappt es jetzt endlich mit dem Triathlon, auch „weil kein Wettkampf an diesem Wochenende ist“.

Der Alltag ist wieder eingekehrt

Bei diesem Wettkampf allerdings, davon ist auszugehen, zählt für ihn das olympische Credo mehr denn je: dabei sein ist alles. Vor einem Jahr allerdings (ein Jahr ist es schon her!), da hatte er sich schon einmal einen dieser Kleine-Jungs-Träume erfüllt. Er war nicht nur dabei in Rio, sondern mittendrin – und erfolgreich: Mit zwei Goldmedaillen kehrte der Bonner zurück, der inzwischen in Düsseldorf lebt und dort im Bundesleistungsstützpunkt trainiert. In der Heimat gab es den großen Bahnhof. Hier ein Auftritt als Ehrengast, dort ein Eintrag ins goldene Buch. Einladungen, Interviews. Unzählige. Selbst heute noch gibt er Autogrammstunden in Kindergärten oder Schulen, auf Feiern, spricht über seine Erfahrungen. Dennoch, der Alltag ist – mit kleineren Unterbrechungen – nach seinen Goldspielen wieder eingekehrt. Sein Stammplatz in diesen Tagen ist wieder im Kanu. Die Vorbereitung auf die Europameisterschaften in Plowdiw (Bulgarien/12. bis 16. Juli) und die Weltmeisterschaften im tschechischen Racice (23. bis 27. August) ist in vollem Gange. Und gleich bei seinem ersten Start vor wenigen Tagen im Weltcup im ungarischen Szeged hat er aufhorchen lassen. Im Vierer paddelte er über die 500-Meter-Strecke mit seinen Kollegen zur Weltrekordzeit. Ebenso gewann der Vierer das Weltcuprennen im serbischen Belgrad.

Nur, das Gemeinschaftsboot, in dem Rendschmidt als Schlagmann den Takt vorgibt, scheint ihm nicht genug zu sein. Nach einer persönlichen Findungsphase hat er ein neues Ziel in Angriff genommen: Auch im Einer will der Weltklassesportler an die Rio-Erfolge anknüpfen – in der Königsdisziplin des Kanusports also. Ein großes Ziel. Denn auf dem Weg zu den Sommerspielen in Tokio 2020 muss er sich zunächst auf nationaler Ebene für das Soloboot qualifizieren; der Erfolgszweier von Rio mit seinem Partner und Freund Marcus Groß ist aufgelöst worden.

Sein Kontrahent für den Einer, nachdem der Kölner Max Hoff dafür nicht mehr vorgesehen ist, heißt: Tom Liebscher. Noch hat der Dresdner, der hinter Rendschmidt auch im Vierer sitzt, die Nase vorn. Zwei bis drei Sekunden, schätzt der Bonner, fehlen ihm noch zur Weltspitze über die Einzelstrecke. Um den Rückstand zu verkürzen, daran arbeitet er. Jetzt wieder intensiver nach einem halben Jahr, das „etwas lockerer“ war. Er sagt: Ich muss noch was draufpacken.“

Die Atempause hat nun ein Ende

Der Konkurrenzsituation mit Liebscher steht er gelassen gegenüber. Schließlich sei man ja auch im Vierer aufeinander angewiesen. „Klar, jeder von uns beiden will schneller sein“, sagt Rendschmidt, „das ändert aber nichts an unserer Freundschaft.“ Die Atempause hat also ein Ende. Für Rendschmidt steht knüppelharte Arbeit an. Eine, deren finanzieller Ertrag nicht mit dem riesigen Aufwand übereinstimmt. Bis auf die Siegprämie in Höhe von 20 000 Euro für die beiden Goldmedaillen ist nicht viel herumgekommen. Neue Sponsoren blieben aus. Rendschmidt beklagt das. Was ihn jedoch nicht daran hindert, seinen Träumen weiter nachzujagen. Und wie das geht, das weiß er ja inzwischen.

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