Interview mit Lena Schöneborn "Ein Schnitt? Das wäre jetzt dumm"

29 Grad. Und es wird heißer. Schon vor dem Mittag liegt die Hitze wie eine schwere Glocke über Bonn. Doch Lena Schöneborn lässt die Hitze Hitze sein. Sie nimmt Termine wahr, treibt Sport - auch während des Heimatbesuchs bei ihren Eltern in Niederkassel.

 Hat viel zu erzählen: Lena Schöneborn im Gespräch mit Guido Hain.

Hat viel zu erzählen: Lena Schöneborn im Gespräch mit Guido Hain.

Foto: Wolfgang Henry

Die gebürtige Troisdorferin ist immer in Bewegung. In puncto Zeitmanagement macht der Olympiasiegerin im Modernen Fünfkampf von 2008 kaum einer etwas vor. Training, Termine, Studium. Das alles bekommt die 27-Jährige blendend unter einen Hut. Auch ein Gespräch mit dem GA ist ihr nicht nur lästige Pflicht. Und das dauerte weit länger als eine Fußball-Halbzeit. Mit Lena Schöneborn sprach Guido Hain kurz vor Beginn der WM in Taiwan.

Frau Schöneborn, waren Sie heute schon beim Bäcker?
Lena Schöneborn: Wieso?

Dann würde ich Sie fragen, ob Sie Brötchen oder Schrippen bestellt haben. . .
Schöneborn: Das ist witzig. Genau darüber habe ich vor Kurzem mit Freunden diskutiert. Zuletzt in Berlin habe ich beim Bestellen Schrippe gesagt. Das kann aber auch daran gelegen haben, dass vor mir in der Schlange alle Schrippe gesagt haben. Da war es besser, die Leute erkennen einen nicht gleich als Zugezogene.

Die Rheinländerin steckt also noch tief in Ihnen, obwohl Sie seit 2005 in Berlin leben. Haben Sie sich inzwischen an die Millionen-Metropole gewöhnt?
Schöneborn: Berlin ist natürlich anders. Es ist eine faszinierende und pulsierende Stadt. Aber auch anonymer. Es ist dort schwieriger, in eine Gruppe aufgenommen zu werden als im Rheinland. Daher ist es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen. Hier kenne ich mich aus, kenne viele Leute. Ich habe auch noch engen Kontakt zu meinem Verein SSF Bonn, bei dem ich ja eine Patenschaft über das neue Perspektivteam übernommen habe. Ich würde gerne öfter hier sein als zuletzt.

Das lassen Ihre vielen Termine und die umfangreichen Trainingszeiten nicht zu.
Schöneborn: Ja, leider, ich schaffe es höchstens, alle zwei Monate nach Hause zu kommen. Und in den nächste Wochen sieht es nicht besser aus. Ich habe viele Termine. Und jetzt steht die WM in Taiwan auf dem Programm.

Sie sind Olympiasiegerin, mehrfache Welt-, Europa- und deutsche Meisterin. Wäre alles andere als eine Medaille in Taiwan eine herbe Enttäuschung?
Schöneborn: Ich würde niemals in einen Wettkampf gehen mit der Einstellung, auf jeden Fall eine Medaille zu erreichen. Ich will zunächst einmal eine gute Leistung abliefern. Denn in unserer Sportart gibt es zu viele Unwägbarkeiten. Die Tagesform ist sehr entscheidend.

Das war bei der EM im Juli zu beobachten, als Sie im Einzel auf Rang acht landeten.
Schöneborn: Das war ärgerlich. Bei der EM hatte ich vier gute Disziplinen, nur die sechs Abwürfe im Reiten haben mich zurückgeworfen. Da habe ich zu viele Fehler gemacht.

Dabei hatten Sie als Vorbereitung auf die EM erstmals einen reinen Reit-Wettkampf bestritten.
Schöneborn: Der diente aber eher der Abwechslung zum Training und hat Spaß gemacht. Es war bestimmt nicht mein letztes Reitturnier. Ich reite sehr gerne. Aber als gezielte Vorbereitung für einen Wettkampf darf man das nicht sehen.

Zumal Sie wie jetzt bei der WM ein Ihnen fremdes Pferd zugelost bekommen.
Schöneborn: Es ist schwierig, sich auf ein neues Pferd einzustellen. Fehler passieren so natürlich immer. Das in diesem Jahr neu eingeführte Reglement geht daher nicht in die richtige Richtung.

Was läuft falsch?
Schöneborn: Durch die neuen Regeln soll die Qualität des Reitens erhöht werden. Aber die guten Reiter werden dadurch nicht belohnt. Für einen Abwurf gab es bisher 20 Punkte Abzug, jetzt sind es 40. Für eine Verweigerung des Pferdes gibt es ebensoviele. Diese stellt aber einen größeren Ungehorsam des Pferdes dar als ein Abwurf. So wird der Glücksfaktor beim Reiten erhöht.

Eine andere Regeländerung war 2009 die Zusammenlegung des Laufens und Schießens in ein sogenanntes Combined. Hat sich wenigstens diese Innovation gelohnt?
Schöneborn: Ich finde diese Zusammenlegung sehr interessant. Aber es war anfangs sehr schwierig, mich auf diese neue Belastung einzustellen.

Der Weltverband erhofft sich dadurch eine Aufwertung des Modernen Fünfkampfs, hat zudem sehr viel in Marketingmaßnahmen investiert. Warum wird die Sportart in Deutschland dennoch kaum wahrgenommen?
Schöneborn: Das ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich müsste mehr in die Basis investiert werden. In der Verbandsarbeit steckt noch viel Potenzial. Es gibt zwar sehr viele Ehrenamtliche, die sich einbringen. Aber es müssten mehr Leute im Nachwuchsbereich tätig werden, die diese hohe Belastung auf sich nehmen. Und die Wettkämpfe müssten mehr Eventcharakter erhalten, damit sie auch für die Zuschauer attraktiver werden. Es fehlt allerdings häufig ein Rahmenprogramm. Oft sind nicht mal Fressbuden vorhanden. Es ist eine Frage der finanziellen Mittel.

Können Sie vom Sport leben?
Schöneborn: Ich kann mich nicht beklagen, habe die höchste Stufe der Förderung erreicht und kann davon leben. Ich hatte aber nicht von Beginn auf der Agenda stehen, mit dem Sport Geld zu verdienen. Das stand für mich nie an erster Stelle. So bin ich nie an den Fünfkampf herangegangen. Meine Motivation kommt von innen.

Fällt es Ihnen deshalb leichter, die Strapazen auf sich zu nehmen?
Schöneborn: Manchmal muss ich über Grenzen gehen, wenn ich keine Lust habe. Bei dem Aufwand, den ich betreibe, bleibt nicht viel Platz für Freizeit. Möglichkeiten gibt es in Berlin genug, aber die Zeit muss man sich nehmen.

Sie bekommen den Spagat gut hin, zumal Sie gerade Ihr Masterstudium in International Marketing Management abgeschlossen haben. Sie gelten als Expertin für Zeitmanagement.
Schöneborn: Ich betreibe einen relativ hohen Aufwand, absolviere 23 Trainingswochenstunden - ohne Vor- und Nachbereitung wie etwa Physiotherapie. Ich putze und striegele die Pferde selbst. Wenn also fünf Stunden Training am Tag geplant sind, kommen manchmal insgesamt zehn zusammen. Wenn ich den Sport alleine betreiben müsste, wäre ich nicht unbedingt noch dabei. Ich trainiere etwa mit Laufpartnern. Soziale Kontakte sind mir sehr wichtig.

Haben Sie einen großen Freundeskreis?
Schöneborn: Die meisten Freunde kommen natürlich aus dem Sport. Aber auch über das Studium sind viele Kontakte entstanden.

Haben Sie dennoch das Gefühl, etwas verpasst zu haben?
Schöneborn: Nein, ich habe viel richtig gemacht. Habe Erfolg gehabt und viel gesehen. Auch wenn man als Teenager schon mal zu hören bekommt: Warum kommst du denn schon wieder nicht mit? Meine Freunde in der Schule hatten damals nicht zu 100 Prozent Verständnis dafür. Das hat sich mit der Zeit aber gelegt.

Verzichten mussten Ihre Freunde in den vergangenen Monaten wieder häufiger auf Sie.
Schöneborn: Stimmt. Durch den Abschluss meines Studiums hat aber auch der Sport gelitten. Die Winterarbeit fehlt mir nun. Im Schwimmen werde ich bei der WM daher keine Bestzeit erzielen. Aber über 200 Meter will ich eine Zeit unter 2:20 Minuten erreichen. Und im Fechten Schusselfehler vermeiden, wie ein nicht fixiertes Handgelenk.

Viele ihrer Sportkollegen sind bei der Bundeswehr. Warum haben Sie sich für das Studium entschieden?
Schöneborn: Ich brauche als Ausgleich zum Sport auch etwas für den Kopf, um eine gewisse Balance herstellen zu können. Ich wollte mich nicht nur auf eine Sache fixieren. Der Leistungssport birgt ein großes Risiko, wenn der Erfolg ausbleibt. Und die Bundeswehr war nicht mein Ding.

Was erwartet Sie nach der WM? Steigen Sie ins Berufsleben ein?
Schöneborn: Die Schwierigkeit besteht darin, dass man durch den Arbeitsalltag im Sport nicht sonderlich flexibel reagieren kann. Es ist auch schwierig, das Richtige zu finden.

Ihre sportlichen Ziele verfolgen Sie aber weiterhin. . .
Schöneborn: Ja, insbesondere ab 2015 steht die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2016 im Mittelpunkt. Rio ist mein großes Ziel. Mit einem Vollzeitjob ist die Vorbereitung nicht möglich. Und derzeit gibt mir der Sport so viel, da bin ich bereit, mich richtig auszukotzen. Es wäre dumm, wenn ich jetzt einen Schnitt mache.

Ihre beiden Schwestern Rabea und Debbie haben sich ebenfalls dem Modernen Fünfkampf verschrieben. Können Sie in ihre Fußstapfen treten?
Schöneborn: Sie hatten ganz andere Voraussetzungen, sind später in den Sport eingestiegen. Sie verfügen nicht wie ich über das Schwimmen als Grundlage. Aber sie haben Potenzial und verbessern sich stetig. Zu einer Teilnahme an den Olympischen Spielen gehört aber viel dazu, da wollen andere Mädels auch hin. Man muss auch Glück haben und zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein.

Zur Person
Die Schließung des Bades in Lülsdorf-Ranzel war ein Glücksfall für sie. So kam Lena Schöneborn, geboren am 11. April 1986 in Troisdorf, über das Schwimmen zum Modernen Fünfkampf. In Bonn, bei den SSF. Nach dem Abitur am Kopernikus Gymnasium in Niederkassel zog es sie 2005 nach Berlin. Neben dem aufwendigen Sport schloss sie dort das Studium in Business Administration mit dem Bachelor ab. Vor Kurzem folgte der Master in International Marketing Management.

Das hindert den leidenschaftlichen Karnevals-Jeck nicht daran, eine der weltbesten Fünfkämpferinnen zu sein: Olympiasiegerin 2008, Weltmeisterin (mit der Staffel), Europameisterin, deutsche Meisterin.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort