Annika Beck im Interview Der Tennis-Shootingstar über mentale Stärke und Vergleiche mit Steffi Graf

BONN · Melbourne, Paris, Wimbledon - drei Grand-Slam-Turniere hat Annika Beck schon gespielt, in diesem Jahr tritt sie zum ersten Mal auch bei den am Montag beginnenden US-Open an.

 Zum Fototermin bei BW Duisdorf gesellte sich ein kleiner Fan: Melanie (4) wollte Annika Beck treffen und kam mit ihrem Vater.

Zum Fototermin bei BW Duisdorf gesellte sich ein kleiner Fan: Melanie (4) wollte Annika Beck treffen und kam mit ihrem Vater.

Foto: Max Malsch

Damit hat die Bonnerin das große Quartett des Welt-Tennis komplett - mit gerade einmal 19 Jahren. Vor Annika Becks Abreise in die USA traf Tanja Schneider die Nummer 49 der Weltrangliste auf der Anlage ihres Heimatvereins Blau-Weiß Duisdorf zum Interview.

Frau Beck, müssen Sie sich manchmal kneifen?
Annika Beck: Ja. Speziell, wenn ich nach Grand-Slam-Turnieren zurückkomme. Dann stelle ich fest, dass die Zeit an mir vorbeigeflogen ist. Manchmal muss ich dann schmunzeln, was ich schon erreicht habe.

Wo kommen Sie jetzt gerade her?
Beck: Vom Training. Ich trainiere sechs Mal in der Woche, sechs Stunden am Tag, davon sind fünf Stunden Tennis. Dazu kommen Kraft- und Mentaltraining und so weiter...

Klingt nicht nach Sommerurlaub zu Hause in Bonn.
Beck: Nee. Den gibt's nicht. Die Off-Season ist erst im Winter. Da habe ich die Möglichkeit, eine oder zwei Wochen zu verreisen. In der Turnierphase ist das schwierig.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie auf Dienstreise?
Beck: Etwa 30 Wochen. Den Rest verbringe ich in Bonn. Dann bin ich auch echt froh, wenn ich mal ein Wochenende nichts tun muss.

Haben Sie auch noch Ihre alten Bonner Kontakte.
Beck: Ja, ich finde es sehr wichtig, die außerhalb des Tennis' aufrechtzuerhalten. Sonst wäre man immer unterwegs und trotzdem abgenabelt von der Welt.

Was machen Sie denn, wenn Sie in Bonn sind?
Beck: Ganz normalen Mädchenkram: Shoppen, Kino. Und im Moment mache ich meinen Führerschein.

Werden Sie in Bonn auf der Straße erkannt?
Beck: Nicht besonders oft.

Ist das auch gut so?
Beck: Och, ich habe es mir ja so ausgesucht. Da freut man sich auch, wenn man angesprochen wird.

Sie haben in Bonn angefangen, Tennis zu spielen.
Beck: Ja, bei einem Tenniscamp bei Schwarz-Weiß Bonn, später habe ich dann hier bei Blau-Weiß Duisdorf trainiert.

Ihre Eltern sollen Sie zum Tennis gebracht haben.
Beck: Das stimmt nicht. Sie haben nur, kurz bevor ich eingeschult wurde, vorgeschlagen, dass ich an diesem Sommerferiencamp teilnehmen soll, aber es kam eigentlich von mir. Ich habe gesagt: 'Dazu habe ich Lust, das will ich machen'. Daneben habe ich auch noch Hockey gespielt, Ballett und Leichtathletik gemacht und Geige gespielt. Aber später lief dann alles auf Tennis hinaus.

Haben Ihre Eltern mal gesagt: 'Es ist ein bisschen viel Tennis'.
Beck: Nö, gar nicht. Sie haben mir alle Freiheiten gelassen, aber irgendwann auch gesagt, dass alles gleichzeitig ein bisschen viel ist und ich mich langsam mal für irgendwas entscheiden müsste.

Und dann?
Beck: Habe ich mir meine Gedanken gemacht. Anfangs war ich in der Leichtathletik besser als im Tennis. Hatte aber trotzdem mehr Spaß am Tennis, weil ein richtiger Gegner eine attraktivere Herausforderung ist als eine Stoppuhr oder ein Maßband.

Und haben Ihre Eltern aufgrund ihres mit einem Einser-Abi an der Liebfrauenschule belegten schulischen Talents nie gesagt, 'lern' was Anständiges'?
Beck: Doch, natürlich. Sie haben oft gefragt, ob ich nicht studieren will. Aber für mich stand fest, dass ich die Chance zur Profikarriere, wenn sie sich bietet, nutzen will.

Was wäre denn - im Sinne von "was Vernünftiges" - die Alternative zum Tennis gewesen?
Beck: Die gibt es immer noch. Ich würde unheimlich gerne Medizin studieren, Sportmedizin. Ganz ohne Sport geht es doch nicht. Ich musste allerdings feststellen, dass das neben dem Tennisprofi-Dasein kaum möglich ist. Aber ich bin 19. Da kann ich mir auch noch Zeit lassen und später studieren - wenn ich es immer noch will.

Wann ist in Ihnen aus dem "Ich will mal in Wimbledon spielen" ein "Ich kann..." oder "Ich werde in Wimbledon spielen" geworden?Beck: Das "Ich will mal in Wimbledon..." gab es von klein auf. Ich habe die Spiele der deutschen Mädels oft verfolgt und wollte unbedingt auf den Centre Court. Jetzt war ich schon zwei mal da, aber leider noch nicht auf dem Centre Court.

Was macht dieses Turnier so besonders?
Beck: Es ist Wahnsinn, 'ne tolle Atmosphäre. Der Belag, die Kleiderordnung; alles in Weiß. Es ist echt ein Erlebnis. Ich freue mich jetzt schon auf nächstes Jahr.

Und wann kam dann das Gefühl, das schaffen zu können?
Beck: Relativ spät. Ich wusste ja erst mit 15, 16, dass ich Tennisprofi werden möchte. Das ist noch nicht soooo lange her. Mit 17 wurde dann klar, dass ich ein Ranking schaffe, mit dem man Grand-Slam-Turniere spielen kann. Die ersten Runden zu überstehen, ist ein weiterer Schritt. Aber ich hoffe, dass ich irgendwann um die Titel mitspielen kann.

Seit der Profi-Entscheidung ist einiges passiert. Welche sind Ihre persönlichen Meilensteine in dieser jungen Karriere?
Beck: 2012 habe ich in Moskau mein allererstes Turnier auf 25 000-Dollar-Ebene gewonnen. Das nächste waren die Australian Open, da war ich zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Hauptfeld. Da habe ich gesagt: Jawoll. Du bist dabei. Im Hauptfeld mit Serena Williams und Maria Sharapova. Und dann meine ersten Spiele gegen Top-Ten-Spielerinnen. Etwa gegen Victoria Asarenka auf dem Centre Court in Paris. Ich hätte fast gewonnen. Da waren so viele Zuschauer. Und die meisten haben auch noch zu mir gehalten, dem Underdog. Ich wollte gar nicht mehr runter vom Platz.

Ist die Aura eines Turniers wie Paris oder Wimbledon eine höhere Hürde als manche Gegnerin?
Beck: Ja. Aber das ist ja die Kunst des Tennissports: Auszublenden, was um einen herum passiert. Wenn man sich auf sein Match vorbereitet, ist man natürlich beeindruckt von einem solchen Turnier. Aber wenn ich dann auf dem Platz stehe, bin ich in der Lage zu sagen: 'Okay. Das ist ein Tennis-Match. Da steht eine Gegnerin. Die willst du schlagen.' Sobald der erste Ball gespielt ist, ist die Nervosität weg.

Diese mentale Stärke gilt als einer Ihrer großen Pluspunkte. Trainieren Sie die?
Beck: Ja. Das ist extrem wichtig. Auf dem hohen Niveau gibt es nicht mehr viel an Technik zu trainieren. Bei den letzten zehn bis 15 Prozent geht es nur darum, wer im Kopf stärker ist und in engen Situationen abgebrühter reagiert.

Wie begegnen sich diese Gegnerinnen in den Katakomben von Wimbledon?
Beck: Tennis ist eine Einzelsportart. Jeder geht seinen eigenen Weg. Aber in der Umkleide nach dem Training macht man dann schon seine Witzchen zusammen. Wir Deutschen gehen auch zusammen essen. Alles ganz normal.

Grüßt Serena Williams Sie inzwischen?
Beck: Ich habe sie seit Wimbledon nicht gesehen . . . Ich würde liebend gerne mal gegen sie spielen. Vielleicht klappt es bei den US Open.

Angelique Kerber, Sabine Lisicki, Mona Barthel, Andrea Petkovic, Julia Görges: Unter den Deutschen sind Sie derzeit die Nummer sechs. Für die Olympischen Spiele in Rio 2016 sind pro Geschlecht und Land vier Spieler zugelassen - haben Sie sich schon überlegt, wie Sie da noch vorbeiziehen können?
Beck: Ganz ehrlich? An Rio habe ich noch gar nicht gedacht. Ist auch kein definiertes Ziel. Ich will mich und mein Spiel weiter entwickeln. Und dann sehen wir mal, wo ich in drei Jahren stehe. Entscheiden und nominieren tun ohnehin andere.

Stichwort Steffi Graf - was fällt Ihnen dazu ein?
Beck: Jaja, ich weiß. Meine Beine werden mit ihren verglichen. Kann ich nicht beurteilen. Ich habe sie in ihrer Karriere nicht erlebt. Manchmal sehe ich sie mir auf Youtube an. Beeindruckend. Aber der Vergleich bezieht sich mehr auf die Schnelligkeit als auf das Aussehen. Die gehört zu meinen Stärken, auf denen mein Spiel basiert. Den Vergleich finde ich trotzdem nicht in Ordnung. Steffi Graf war eine absolute Ausnahme. Ich glaube, Deutschland wird nie wieder eine solche Tennisspielerin haben.

Ihr Preisgeld liegt bei etwa 230.000 Euro. Haben Sie sich davon schon mal eine schöne Belohnung geleistet?
Beck: Nein, man hat ja große Ausgaben. Davon muss ich mein Training bezahlen, und die ganzen Reisen für mich und meinen Coach müssen finanziert werden. Jetzt bezahle ich erst einmal den Führerschein. Vom ersten großen Erfolg leiste ich mir dann etwas.

Zum Abschluss eine Zuschauerfrage: Nervt Sie die Geräuschkulisse mancher Gegenspielerin?
Beck: Überhaupt nicht. Im Match gegen Victoria Asarenka zum Beispiel hat mich das gar nicht irritiert. Für die Zuschauer ist es vielleicht was anderes, wenn zwei Spielerinnen, die bei jedem Ballwechsel stöhnen, gegeneinander spielen. Dann kann es echt laut werden. Mich stört das nicht. Das gehört auch zur mentalen Kategorie "Ausblenden".

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