ATV Bonn Bundesliga einmal anders beim Prellball

BONN · Selbst unter den Randsportarten führt Prellball ein Nischendasein. Kaum jemand kennt diese urdeutsche Sportart noch. Ein Besuch beim Erstligisten ATV Bonn.

 ATV-Kapitän Dennis Kanne (Mitte) in Aktion: Der Ball wird auf bis zu 100 Stundenkilometer beschleunigt.

ATV-Kapitän Dennis Kanne (Mitte) in Aktion: Der Ball wird auf bis zu 100 Stundenkilometer beschleunigt.

Foto: Wolfgang Henry

Dennis Kanne kennt die Reaktionen, wenn er von seinem Sport erzählt. Das reicht von einem verständnislosen „Hä?“ bis zu abenteuerlichen Beschreibungsverrenkungen. Brennball, Völkerball, Faustball – irgendwie alles schon mal gehört oder früher mal in der Schule gespielt. Aber Prellball? „Damit kann kaum jemand etwas anfangen“, sagt der 24-jährige Bonner. Er ist einer von vielleicht noch 5000 Prellballern in Deutschland, Tendenz fallend. Wenn es eine rote Liste für in ihrem Bestand gefährdete Sportarten geben würde, Prellball wäre vermutlich in der Spitze zu finden.

Kanne ist Kapitän der Bundesligamannschaft des ATV Bonn. Der Turnverein richtet an diesem Tag den zweiten Spieltag in der ersten Liga aus, außer den Bonnern bevölkern elf weitere Mannschaften aus ganz Nordrhein-Westfalen die Sporthalle in Tannenbusch. Man kennt sich. Vor der Halle stehen Spieler aus Meinerzhagen mit Kollegen aus Altenessen und Bad Lippspringe zusammen. Es wird gefachsimpelt und die letzte Zigarette geraucht, bevor der Ball fliegt. Auch das eine oder andere Bier macht die Runde. Es geht allem sportlichen Ehrgeiz zum Trotz familiär zu.

Regeln als Mischung aus Tischtennis und Volleyball

Auch die ATV-Prellballer sind ein kleiner Familienbetrieb. Carola Schriever, die Abteilungsleiterin, führt an diesem Hochkampftag das Regiment hinter der Kuchentheke, ihr Mann Matthias, Trainer der Bundesligamannschaft, ist gleichzeitig Organisationschef. Vier Felder, jedes 16 Meter in der Länge, acht in der Breite, müssen abgeklebt, das Band, das jedes Spielfeld in zwei Hälften unterteilt, auf 40 cm Höhe gespannt werden. Auch die Spielleitung liegt in seiner Hand. Bei zwölf Mannschaften muss das Timing stimmen.

Wie auf dem Feld. Die vier Spieler eines Teams haben genaue Positionen, zwei Außenspieler, ein Zentraler, dazu der Schlagmann. Und die Regeln? „Wie eine Mischung aus Tischtennis und Volleyball“, so Schrievers Schnellkurs. „Der Ball muss erst auf der eigenen Seite des Feldes und dann auf der anderen aufprellen.“ Das natürlich möglichst so, dass der Gegner Schwierigkeiten bei der Annahme hat.

Könner unter den Schlagmännern feuern ihre Angaben mit bis zu hundert Stundenkilometern über die flache Leine ins gegnerische Feld. Der Ball von der Größe eines Volleyballs, aber mit rund 380 Gramm erheblich schwerer, kann da schon zu einem gefährlichen Geschoss werden. Gespielt werden darf mit Faust oder Unterarm. Ähnlich wie beim Volleyball kann der Ball auch innerhalb der eigenen Hälfte von Spieler zu Spieler weitergespielt werden. Allerdings muss er jedes Mal auf den Boden geprellt werden.

Bei den Bonnern läuft’s gut an diesem Tag. Sie sind als Bundesliga-Spitzenreiter in den zweiten Spieltag gegangen. Auftaktgegner Winterhagen wird zum dankbaren Sparringspartner, auch die zweite Mannschaft aus Meinerzhagen ist nach anfänglicher Gegenwehr in der zweiten Halbzeit der 2x10-minütigen Spielzeit dem Schlaggewitter hilflos ausgeliefert. Die einzige Niederlage in fünf Spielen des Tages kassieren die Bonner gegen die Meinerzhagener Erste, eine ausgefuchste Mannschaft aus Routiniers, und für ATV-Trainer Schriever der Topfavorit auf den Gruppensieg in der Bundesliga Mitte. Ziel der Bonner ist ein Platz unter den ersten vier und damit die Qualifikation für die deutsche Meisterschaft. Nach diesem Spieltag sind sie Tabellenzweiter.

Prellball gerät an Schulen in Vergessenheit

Dennis Kanne, Schlagmann und Kapitän, findet mit seinen präzisen Cross-Schlägen knapp über die Leine immer wieder Lücken in der gegnerischen Deckung. Seine Taktik: „Ich schaue mir den Gegner schon beim Aufwärmen und Einspielen an und suche Schwachstellen.“ Offenbar mit Erfolg. Als ehemaliger Fußballer besitzt er viel Ballgefühl. Der Zeit, als er noch Stollenschuhe trug, trauert er nicht nach. „Fußball spielt doch jeder. Das hier ist außergewöhnlich, exotisch. Und das Teamgefühl ist viel größer.“ Den Weg von der Asche in die Halle fand er über eine AG des Tannenbusch-Gymnasiums. Matthias Schriever hatte sie geleitet. Kanne fand’s cool und blieb dabei, nun schon seit acht Jahren.

Doch Nachwuchs für diesen urdeutschen Sport zu rekrutieren, ist zu einem mühseligen Geschäft geworden. 20 Spieler umfasst die Schrieversche Prellballabteilung im ATV Bonn, acht davon gehören zur Bundesligamannschaft. „In den Schulen wird es nicht mehr gespielt, kaum ein Lehrer kennt heute noch Prellball“, sagt Matthias Schriever, der vor 25 Jahren als Jugendtrainer beim ATV begonnen hat. Es ist ein hartnäckiger Kampf gegen das Vergessen. Ein bisschen Zulauf kommt über die Kinderturnabteilung des ATV oder über Freunde der Spieler.

Ansonsten ist das Interesse gering. Auch bei Spielen, wie an diesem Tag, ist man praktisch unter sich. Zuschauer verirren sich nur selten in die Halle. Dabei ist Prellball dynamisch und kann problemlos bis ins gesetzte Alter gespielt werden. Dennis Kanne jedenfalls kann sich keinen anderen Sport mehr vorstellen. „Wer einmal dabei ist, der bleibt auch dabei.“

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