"Tempohasen" Ballonläufer halten beim Bonn-Marathon das Tempo hoch

BONN · Wer sich eine bestimmte Zeit zum Ziel gesetzt hat, muss einfach dem entsprechenden Tempomacher folgen. Rolf Hollain und Michael Irrgang spielen beim Deutsche Post Marathon die Hasen.

Im professionellen Marathongeschäft geht es nicht ohne die „Tempohasen“. Gemeint sind jene Läufer, die dafür abgestellt sind, den Favoriten ein schnelles Rennen zu ermöglichen. Dies bedeutet: Sie halten das Tempo hoch, bieten Windschatten, nehmen mitunter auch die Trinkflasche an der Versorgungsstation auf und reichen sie weiter. Somit sind sie auch Wasserträger.

Im Bereich der Hobbyläufer ist eine abgespeckte Form dieser Dienstleistung mittlerweile weitverbreitet. Citylaufveranstalter bieten sie an. Und von den Startern, die sich zum Ziel gesetzt haben, eine bestimmte Zeitmarke zu unterbieten, wird sie gerne angenommen. Ob es nun um drei Stunden geht, dreieinhalb, vier oder fünf Stunden.

Weithin sichtbar

Diese Hasen-Spezies ist beim Deutsche Post Marathon Bonn weithin sichtbar. Aufgemalt auf einen großen roten Heliumballon, schwebt die jeweilige angepeilte Zielzeit über den Köpfen der Läufer und dient als Orientierung. Rolf Hollain und Michael Irrgang gehören zu diesen „Ballonläufern“. Beide stammen aus der Region und haben jahrelange Erfahrung über die Marathondistanz. „Das erste Mal als Ballonläufer gestartet bin ich 2003 in Köln. Im Jahr 2008 habe ich dann erstmalig in Bonn Tempo gemacht“, erzählt Hollain.

Michael Irrgang startete bereits in den 1990ern in Köln. Als 1997 der erste Marathon in der Domstadt mit einer stundenlangen Fernsehübertragung begleitet wurde, sah er zu. „Ich war von der Atmosphäre fasziniert und ging beim zweiten Kölner Marathon dann selber an den Start“, erzählt Irrgang. Ein besonders Jubiläum feiert Hollain in diesem Jahr in Bonn: zum 25. Mal will er im April die 42,195 Kilometer bezwingen. „Mein erster Marathon war ganz schön anstrengend. Es war der erste richtig warme Tag des Jahres und nach 30 Kilometern habe ich sehr gelitten“, sagt Hollain, der bereits in der Jugend regelmäßig Wettkämpfe lief.

Anfängerfehler: Zu schnell zu viel

Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln erklärt einen typischen Anfängerfehler in der Marathonvorbereitung: „Zu schnell zu viel! Genau wie bei allen anderen Belastungen braucht der Körper auch beim Laufen eine gewisse Zeit, um sich anzupassen. Bänder, Sehnen, Muskeln und Knochen, aber auch das Herz-Kreislauf-System brauchen Zeit, um sich auf das neue Training einzustellen.“

Als Tempoläufer ist es besonders wichtig, gleichmäßig zu laufen. Gleichmäßige Dauerläufe sind Kerninhalt im Training eines Ballonläufers – um das Gefühl für die Geschwindigkeit zu optimieren. „Die Aufgabe eines Tempomachers geht aber über das Einhalten einer bestimmten Geschwindigkeit hinaus. Er muss Leute ablenken, unterhalten und motivieren“, erklärt Irrgang. Außerdem müsse am Wettkampftag ein Gespür für weitere Einflüsse wie zum Beispiel das Wetter vorhanden sein. Froböse rät für den Tag des Marathons: „Vorbereitung ist alles. Beachten Sie die Wettervorhersage, um die geeignete Laufkleidung zu wählen, schlafen Sie ausgiebig, schneiden Sie Ihre Zehennägel, kleben Sie empfindliche Stellen mit Pflaster ab und seien Sie pünktlich am Start.“

Gnadenloser als die Uhr

Tempomacher profitieren von ihrer Rennerfahrung und der Ortskenntnis – und müssen gelegentlich gnadenloser sein als die Uhr. „Da in Bonn der Start recht spät ist und es oft warm wird, muss man versuchen, bis Kilometer 30 ein kleines Zeitpolster herauszulaufen, damit man im Anstieg in der Rheinaue ein bisschen das Tempo drosseln kann und die Gruppe zusammenbleibt“, beschreibt Hollain seine Taktik. Optimal ist es, wenn eine Gruppe sich im Laufe eines Rennens zu einer verschworenen Einheit entwickelt. Wenn geredet wird und man sich gegenseitig Mut macht – vor allem in Schwächephasen. Häufig werden auch Zwischenzeiten diskutiert und man beratschlagt sich, ob schneller oder langsamer gelaufen werden soll. Dramen und Tragödien spielen sich ebenfalls ab.

Hollain erinnert sich an einen Läufer, der seinen Chip für die Zeitmessung vergessen hatte: „Er entschied sich, trotzdem mitzulaufen – ohne offizielle Wertung. Im Ziel schaffte er es erstmalig unter drei Stunden. Hollain: „Ich habe ihm nachher seine Zeit auf die Startnummer geschrieben und unterschrieben. So gab es doch noch eine kleine Form der Bestätigung“.

Sein Kollege Irrgang kennt hingegen auch das Rennen am Ende der Zeitmessung. Als Besenläufer am Ende des Feldes musste Irrgang knifflige Entscheidungen treffen. „Als Letzter hat man wirklich eine anspruchsvolle Aufgabe. Man läuft mit dem letzten Läufer ein Stück und muss dann einschätzen, ob er oder sie noch eine Chance hat, rechtzeitig ins Ziel zu kommen“, erzählt er. Besenläufer haben es nicht leicht. Sie müssen genau auf die Uhr schauen, die Zielschlusszeit im Blick haben – und, wenn nötig, weiterlaufen. Dabei bleiben schon mal Sportler sprichwörtlich auf der Strecke.

Freude über die Aufgabe am Sonntag

Glückliche Zielankünfte sind aber die Regel. „Einmal war das wirklich ein schönes Erlebnis“, erzählt Irrgang: „Auf der zweiten Hälfte habe ich eine Handvoll Leute aufgesammelt, die verletzt waren, schlecht trainiert oder sich innerlich bereits aufgegeben hatten. Ich habe sie alle überredet, weiterzumachen und wir sind dann kurz vor Zielschluss gemeinsam angekommen.“

Beide „Ballonläufer“ freuen sich auf ihre Aufgabe am Sonntag. Hollain wird versuchen, eine Gruppe unter drei Stunden zu ziehen. Irrgang ist zuständig für die Gruppe, die sich unter 4:30 Stunden bleiben will. Fest steht: Auf die Erfahrung der „Ballonläufer“ können sich die Marathonis verlassen. Für sie gilt: Kopf freimachen und einfach dem Tempomacher folgen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort