Interview mit Fred Schladen Anabolika in der Kugelstoßer-Szene

BONN · Anabolika-Enthüllungen: Der frühere Bonner Kugelstoßer Fred Schladen fühlt sich von Verband und ehemaligen Kollegen hintergangen. "Ich war nie Teil dieser Doping-Mafia."

 Kugelstoßen und Diskuswurf: Disziplinen, in denen Fred Schladen zur Spitzenklasse in Deutschland zählte.

Kugelstoßen und Diskuswurf: Disziplinen, in denen Fred Schladen zur Spitzenklasse in Deutschland zählte.

Foto: MLH

Im Garten des Hauses in Lessenich steht eine Skulptur. Sie zeigt einen Diskuswerfer der griechischen Antike, eine große, perfekt modellierte Statue. Sie symbolisiert Kraft, Eleganz – und mit ihrer glatten, weißen Oberfläche scheint sie auch die Reinheit und Fairness des Sports zu verkörpern. Eine Illusion, der Fred Schladen jahrzehntelang erlegen war. Der 2,03 Meter Hüne aus Bonn war in den 60er- und 70-er-Jahren einer der besten deutschen Kugelstoßer. Mit 20,40 Meter stieß er 1972 sogar deutschen Rekord. Jetzt fühlt er sich hintergangen und um Meistertitel betrogen, von ehemaligen Werfer-Kollegen und dem Deutschen Leichtathletik-Verband. „Es gab nie einen fairen Wettkampf”, erregt sich der heute 77-Jährige. „Die meisten alle vollgepumpt. Und der Verband wusste es.”

Schladen bezieht sich auf die Dissertation des Krefelder Pharmawissenschaftlers Simon Krivec, der 121 westdeutsche Leichtathleten zu ihren Dopingpraktiken befragt hatte. 31 von ihnen, einige anonym, andere überraschend offen, gaben zu, in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren Anabolika zu sich genommen zu haben. Vor allem Werfer und Stoßer hatten demnach gedopt. Hilfe bekamen die Sportler dabei von Trainern, Funktionären und Ärzten, die Mittel wie Dianabol und Stromba wurden teilweise sogar über die Krankenkassen abgerechnet. Die Studie räumt mit dem Mythos auf, dass damals nur im Osten Deutschlands gedopt wurde. „Das ganze System war verlogen”, echauffiert sich Schladen. „Ich hätte das in der Form nie für möglich gehalten. Vor allem will ich nicht mit denen in einen Pott geworfen werden. Ich war nie Teil dieser Doping-Mafia.” Darauf würde er einen Eid schwören.

Schladens sportliche Biografie ist völlig atypisch. Erst 1958, mit 19 Jahren, kommt der Sohn eines Landwirts aus Buschdorf mit Sport in Berührung. Wegen seiner Größe hatte er Haltungsprobleme und Rückenschmerzen, der Arzt riet ihm zur Leichtathletik. Er fuhr in die Gronau und schaute den Athleten des KTV Bonn zu. „Auf Laufen hatte ich keine Lust. Kugelstoßen interessierte mich. Ich habe mir die Kugel geschnappt und ohne jede Technik gleich weiter gestoßen als alle Kugelstoßer des Vereins”, erinnert sich Schladen. Seine enorme Armspannweite prädestinierte ihn auch fürs Diskuswerfen. „Schauen Sie sich diese Hände an”, sagt Schladen. „Keiner hat so große Hände wie ich.” Eine Diskusscheibe mit ihren 22 Zentimetern Durchmesser kann er mit einer Hand umfassen.

Nach nur drei Jahren bestritt der Bonner seinen ersten Länderkampf in Rom gegen Italien und landete mit 54 Metern im Diskuswurf gleich im Vorderfeld. Einen Trainer hatte er nie, Schladen war Autodiktat. „Ich habe mir alles selbst beigebracht. Ich habe stundenlang im Sportwissenschaftlichen Institut auf dem Venusberg verbracht, Fachliteratur über den Muskelaufbau gelesen, mich über Ernährung informiert und mir meinen eigenen Trainingsplan erstellt.” Auch der Blick auf andere Sportarten brachte ihn weiter. „Bei den Eiskunstläufern habe ich mir abgeschaut, wie sie aus den Pirouetten den Schwung mitnehmen. Diese Technik habe ich aufs Diskuswerfen übertragen. Das brachte zwei bis drei Meter.” Er experimentierte viel. Sein Vorteil: Als Hallenwart im Sportpark Nord standen ihm alle Trainingsmöglichkeiten jederzeit zur Verfügung.

Schladen fühlte sich nicht anerkannt

Schladen konzentrierte sich später aufs Kugelstoßen. Er stieß Anfang der 70er-Jahre regelmäßig über 19 Meter, für damalige Verhältnisse internationales Topniveau. Anerkannt fühlte er sich nicht. „Bei Lehrgängen haben sie mich spüren lassen, dass ich der Provinzler aus einem kleinen Verein war. Ich fühlte mich ausgegrenzt. Ich hatte keine Lobby.“

Vielleicht war es auch Misstrauen. Schon zu dem Zeitpunkt, Anfang der 70er-Jahre, muss in der Stoßer- und Werferszene die Einnahme von Anabolika weit verbreitet gewesen sein. „Ich habe mich darüber gewundert, wie kurz die Regenerationszeiten bei manchen Kollegen waren. Ich konnte nur über einen engen Zeitraum meine Topleistung bringen. Sie aber ständig“, sagt Schladen, der von 1962 bis 1979 Mitglied der Nationalmannschaft war. Wie aus der Krivec-Studie hervorging, konsumierten manche deutsche Athleten bis zu 1000 Tabletten Dianabol pro Jahr. „Die hatten eine Apotheke in Mainz, wo sie das Zeug abholten”, erfuhr Schladen später. Grotesk dabei: Zur Dopingprobe nach Wettkämpfen wurde meist Schladen geschickt – „angeblich ausgelost“, so der Bonner: „Die wussten ja, dass ich negativ war.“

Vermutlich hätte er mit Doping ein bis zwei Meter weiter stoßen können, das wäre zu der Zeit im Weltrekordbereich gewesen. Für ihn sei es nie ein Thema gewesen. „Mein Trainingskamerad Wolfgang Knüll war angehender Mediziner. Er hat mich über die Risiken aufgeklärt. Und dass es Lebensjahre kosten würde.” Wie das Beispiel Ralf Reichenbach zeigte. Der Berliner war Schladens Konkurrent und starb 1998 mit 47 Jahren einen plötzlichen Herztod, vermutlich als Folge des unkontrollierten Anabolika-Dopings, das er seit seinem 19. Lebensjahr praktiziert hatte, wie er später zugab. Reichenbachs makaberes Credo: Lieber zehn Jahre früher sterben, dafür einmal Olympiasieger werden. Er starb, ohne sein großes Ziel je erreicht zu haben.

Schladen, den der Verband unter fadenscheinigen Gründen trotz seines deutschen Rekords nicht für die Olympischen Spiele 1972 in München nominierte, geht es gesundheitlich gut. Er trainiert noch jeden Tag, ist inzwischen Vegetarier und startete im fortgeschrittenen Alter eine zweite Karriere. Fast 100 Mal spielte er im Theater im „Tapferen Schneiderlein” mit – natürlich den Riesen. Nach dem Tod seiner Frau vor gut fünf Jahren fiel er in ein psychisches Loch, ehe er zufällig in einem Café seine neue Partnerin kennenlernte. Ironie des Schicksals für den Kugelstoßer: Sie kommt aus der Pharmabranche.

Dem heutigen Spitzensport begegnet er mit Argwohn. „Die Leistungen sind für mich nur mit pharmazeutischer Hilfe möglich. Schuld ist der Verband mit seinen unsinnigen Nominierungskriterien. Wer sie schaffen will, ist fast gezwungen zu dopen. Es ist traurig, dass die Moral im Sport so auf der Strecke geblieben ist.”

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