Sportunfälle Foul: Wenn die Verletzung den Job kostet

Bonn · Jan Schmidt läuft noch nicht rund. Wenn sich der 21-Jährige über den Sportplatz am Wesselheideweg bewegt, sind die Folgen seiner schweren Knieverletzung nicht zu übersehen.

 Dominik Stommel musste den Traum von einer Profikarriere aufgeben. Heute ist er für den SSV Berzdorf aktiv.

Dominik Stommel musste den Traum von einer Profikarriere aufgeben. Heute ist er für den SSV Berzdorf aktiv.

Foto: Manfred Christoph

Gleich zwei Kreuzbandrisse zog sich Schmidt zu. Auch seelisch leidet der Juniorentrainer des 1. FC Hardtberg noch unter seiner Verletzung - schließlich liegt die fußballerische Karriere auf Eis. Immerhin braucht er sich beruflich keine Sorgen zu machen. "Selbst nach meinem zweiten Kreuzbandriss war mein Arbeitgeber rücksichtsvoll und hat mich unterstützt, dass ich schnellstmöglich wieder fit werde", sagt Schmidt.

Glück im Unglück. Denn nicht immer spielt der Arbeitgeber mit. Oder die Verletzung beendet abrupt die Träume von einer Karriere und verhagelt auf diese Weise die Perspektive einer Berufsspieler-Laufbahn. Wie beim gebürtigen Bonner Dominik Stommel, als er gerade vor einem Profi-Job bei Schalke 04 stand.

Ein besonders dramatischer Fall ist Frederick Damrosch. Bei Hertha Buschhoven spielte der heute 27-Jährige, bis er innerhalb von zwei Jahren drei Kreuzbandrisse erlitt. Der Handwerker fiel monatelang aus. Damroschs damaligem Arbeitgeber war der zweite Kreuzbandriss zu viel. Man habe ihm "extrem nahe gelegt, sich eine andere Sportart auszusuchen", da er sonst "nicht mehr tragbar" sei, so Damrosch. Der Arbeitgeber ging sogar noch einen Schritt weiter und stellte dem Spieler ein Ultimatum - entweder Job oder Fußball.

Damrosch entschied sich für das Arbeitsverhältnis. "Den Fußball aufzugeben, war extrem schwer", sagt der ehemalige Amateurkicker. "Man muss sich immer überlegen: Wie hoch spiele ich? Kann ich davon leben? In der A-Klasse reicht es nicht, um eine Familie zu gründen", so der 27-Jährige.

Die Folgen seiner Entscheidung spürt Damrosch noch heute: "Man distanziert sich. Ich habe den Kontakt mit den Mitspielern abgebrochen". Auf den Platz will er vorerst nicht mehr zurückkehren - selbst als Zuschauer nicht: "Ich kann mir keine Spiele mehr angucken."

Auch Thomas L. (Name von der Redaktion geändert) spielt heute nicht mehr Fußball. Aus Altersgründen. Der 48-Jährige war im Verein aktiv, so lange er denken kann. Selbst, nachdem ihm der damalige Arbeitgeber mit der Kündigung drohte, falls er weiterspiele. L. trat erneut gegen den Ball, heimlich. Bis er einen Trümmerbruch im Mittelfuß erlitt.

"Der Arbeitnehmer darf grundsätzlich über seine Freizeit frei disponieren, dies gewährt ihm sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 des Grundgesetzes", sagt Rechtsanwältin Stephanie Witt von der Kanzlei Schmitz Knoth: "Ein Verbot, eine oder mehrere Sportarten nicht auszuüben, darf der Arbeitgeber also nicht aussprechen. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem ausgeübten Sport um eine besonders risikoreiche Sportart handelt."

Heute arbeitet Thomas L. für ein anderes Unternehmen. Aus anderen Gründen, sagt er. Eine Entlassung habe es nach der erneuten Verletzung nicht gegeben. Aber das Verhältnis sei zerstört gewesen.

Die Angst vor einer Kündigung oder anderen Problemen mit dem Arbeitgeber kennen viele Amateurkicker. Dabei raten Mediziner zum Freizeitsport. "In der Gesamtbetrachtung profitieren die meisten Menschen eher von der Bewegung, als dass sie eine gesundheitliche Beeinträchtigung erleiden. Ich denke, dass es auch für den Hobbykicker auf ein individuelles Belastungsmaß ankommt", sagt Dr. Jens Enneper, der als Orthopäde mit jener U21-Nationalmannschaft arbeitete, aus der 2014 sechs Spieler Weltmeister für Deutschland wurden.

Von einer Profikarriere träumte auch Dominik Stommel. Er stand kurz davor. Der gebürtige Bonner spielte bereits in der U 23 des FC Schalke 04. Nach einem Foulspiel plagten den Studenten aus Wesseling jedoch Knieprobleme. Eine mehrwöchige Pause brachte keinen Fortschritt. Eine MRT-Untersuchung ergab, dass sein Außenmeniskus mehrfach gerissen war. Eine schwere Verletzung, die auch durch eine OP und professionelle Betreuung seitens der medizinischen Abteilung der "Königsblauen" nicht aus der Welt zu schaffen war. Auch nach der Reha entzündete sich das Knie von Stommel immer wieder. Bei zu hoher Belastung kam es zu Wassereinlagerungen. Es hatte sich ein Knochen-Ödem gebildet. Sechs Monate Pause waren die Folge.

In dieser Zeit suchte Stommel Kniespezialisten in ganz Deutschland auf: Hamburg, Gelsenkirchen, Köln und Augsburg. Man riet dem Spieler, nicht weiter unter so hoher Belastung zu spielen. Die Diagnose war bitter, aber: "Für mich war es eine Erleichterung, endlich zu wissen, was für eine Verletzung vorliegt", erzählt Stommel: "Immerhin lag es nicht an mir, sondern an einem Folgeschaden, der durchaus vorkommen kann."

Nach einer langen Pause, traute sich der 23-Jährige wieder zurück auf den Fußballplatz. Er schloss sich dem A-Ligisten SSV Berzdorf an. Hier geht er nun ein- bis zweimal die Woche zum Training, statt sechsmal wie bei Schalke. Die geringere Belastung kommt seinem Knie zu Gute. Stommel ist "einfach nur froh, dass ich heute wieder beschwerdefrei spielen kann".

Jan Meller würde gerne auf Kreisebene spielen. Mit 16 erlitt der heute 27-Jährige seinen ersten Kreuzbandriss. Im Abstand von wenigen Jahren kamen noch zwei weitere Risse der Kreuzbänder hinzu. Meller hörte auf mit der schönsten Nebensache der Welt.

Rückblickend glaubt Meller, sei eine besser Behandlung möglich gewesen: "Eine ambulante Physiotherapie wäre sinnvoll gewesen. Doch mir wurde das nie angeboten." Ihm fehlt das Fußballspielen. "Der Gemeinschaftsgedanke lässt mich nicht los, ich habe die Mannschaft vermisst, vor allem das Teamgefühl", sagt der ehemalige Spieler von Hertha Buschhoven. Sein Wunsch, auf den Fußballplatz zurückzukehren, ist groß. Die Vernunft sagt "nein".

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