Auf dem falschen Pferd gesessen Lena Schöneborn hängt nach Rio-Pleite ein Jahr dran

RIO DE JANEIRO · 20 Minuten lang flossen die Tränen. 20 Minuten, während derer Lena Schöneborn dringend Trost brauchte und regungslos in den Armen ihres Freundes Alexander Nobis verharrte.

Der war von der Tribüne des Deodoro-Stadions heruntergeeilt, in derHand einen Beutel mit Schöneborns Laufschuhen, die sie zum Goldhatten tragen sollten. Doch ihr Traum vom zweiten Olympiasieg nach2008 war geplatzt, bevor die überragende Moderne Fünfkämpferin desletzten Jahrzehnts die Reiterstiefel gegen die Laufschuhe tauschte.Dabei hatte sie mit dem zweitbesten Fechtergebnis die Grundlage füreinen Medaillengewinn gelegt. „Mit dem Schwimmen zum Auftakt deszweiten Tages war ich dann unzufrieden und dachte, jetzt kann esnur besser werden“, sagte Schöneborn: „Aber auf dem Reitparcourswurde ich eines Besseren belehrt.“

Im Grunde hatte sie einfach nurauf dem falschen Pferd gesessen – wofür sie nichts konnte. In derEndabrechnung landete sie deshalb auf Platz 32. Indiskutabel undalles andere als ein Spiegelbild dessen, was sie sich in den vierJahren zuvor erarbeitet hatte. Geschweige denn dessen, was sie sichvorgenommen hatte nach dem 15. Olympia-Platz von London 2012. NullPunkte beim Springreiten, am liebsten wäre sie vor Enttäuschung imBoden versunken. Oder hätte das ihr zugeloste Pferd … Diesen Satzwollte sie nicht fortsetzen.

Schöneborn: „Ich werde mich hüten, zusagen, was ich mit dem Pferd vorhatte.“ Die Sache mit den liebenVierbeinern ist für die Fünfkämpfer ein Lotteriespiel. Schönebornhatte das Los „Legende“ gezogen. So der Name des Pferdes, das einwestfälisches Stammbuch hat. Zumindest die Urahnen kommen also ausDeutschland. Von Verbundenheit aber zeigte „Legende“ keine Spur. ImGegenteil: Viermal verweigerte die Fuchsstute den Absprung vorHindernissen. Nach den Regeln bedeutet das den Abbruch des Rittsund null Punkte. Schöneborn war verständlicherweise nicht gut aufdas Tier zu sprechen. Es sei „kein ehrliches Pferd“.

Was sie damitmeinte: „Es hat sich vor dem Sprung nicht anmerken lassen, dass esverweigern würde. Ein Pferd, mit dem es Spaß macht zu springen, daszieht auf den Sprung hin. Das hat es auch gemacht. Wenn es dannaber nicht abspringt, ist es unehrlich.“ Sie habe alles probiert,was ging: „Beine, Sporen und Stimme.“ Nichts half. Nicht bessererging es London-Olympiasiegerin Laura Asadauskaite aus Litauen.Auch deren Pferd bockte. Sie landete im Schlussklassement einenPlatz vor der Deutschen.

Bundestrainerin Kim Raisner standen Tränendes Mitgefühls in den Augen, als sie feststellte: „Manch einerreitet deutlich schlechter, und die Pferde springen trotzdem. Esgibt Pferde, die machen alles von alleine, bei anderen muss manmehr tun. Und trotzdem passt es nicht. Lenas war so eines.“ DassGold für Schöneborn in Reichweite war, zeigte sich an derSchlussvorstellung der australischen Olympiasiegerin ChloeEsposito, die im abschließenden Combined aus Laufen und Schießen 45Sekunden wettmachte. Größer wäre der Rückstand der Deutschen ohneReit-Nuller auch nicht gewesen. Wie Schöneborn nun ihr Pechverdauen möchte?

„Mich in die Arbeit stürzen und damit ablenken.Dann im Oktober Urlaub machen, und über alles gründlich nachdenken.“ Wie es mit ihrer Sportkarriere weitergeht, wird sich zeigen, wenndie Wunden verheilt sind, die Rio gerissen hat. „Eines ist sicher:So werde ich nicht aufhören“, sagte die Wahl-Berlinerin, die nachwie vor ihrem Stammclub SSF Bonn die Treue hält und dasWettkampfjahr 2017 auf jeden Fall an ihrer Karriere dranhängenmöchte. Bei den nächsten Olympischen Spielen 2020 in Tokio wird sienach eigener Aussage „zu 90 Prozent“ aber nicht mehr am Start sein.

Obwohl Schöneborn auch dann vom Alter her noch im Leistungszenitstehen könnte. „Vier Jahre sind eine sehr lange Zeit“, meinte die30-Jährige: „Man muss viel zurückstecken, und irgendwann muss manmit seinem Leben auch mal was anderes anfangen.“ Sprich in denBeruf einsteigen, was sie als Teilzeitarbeiterin bei einerEventagentur seit längerem vorbereitet. Völlig ausgeschlossenerscheint es nicht, dass sie doch noch einen Olympiazyklusmitnimmt.

Bei 90 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass sie vor Tokioaufhört, bleiben schließlich auch die anderen zehn Prozent. „Wiegroß war die Wahrscheinlichkeit, dass das in Rio so passiert?“,fragte die gebürtige Troisdorferin und antwortete selbst: „DieStatistik der Saison ist eine andere.“ Drei Weltcups, dasWeltcup-Finale und die WM hatte sie bestritten. Fünf Wettkämpfe aufWeltniveau, und immer war sie auf dem Podium gelandet. Nur beimAbsturz in Rio nicht.

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