Olympia DOSB-Präsident Hörmann: "Das IOC war nicht der Verursacher"

Rio de Janeiro · DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat seinen Vorgänger und heutigen IOC-Chef Thomas Bach im Doping-Skandal um Russland verteidigt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur bekräftigt er seine Meinung und kritisiert die Welt-Anti-Doping-Agentur.

 DOSB Präsident Alfons Hörmann übte scharfe Kritik an der WADA.

DOSB Präsident Alfons Hörmann übte scharfe Kritik an der WADA.

Foto: Michael Kappeler

DOSB-Präsident Alfons Hörmann bleibt dabei. Das Internationale Olymische Komitee hat in der Doping-Affäre um Russland richtig entschieden - nämlich gegen den Komplettausschluss von den Olympischen Spielen in Rio. Dafür kritisiert er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur die Welt-Anti-Doping-Agentur und wirft ihr "Versagen" vor.

Nach dem Doping-Skandal um Russland und den Konsequenzen daraus: Können Sie sich vorstellen, dass sich viele Menschen von den Olympischen Spielen abwenden?

Alfons Hörmann: Dass in der aktuellen Stimmungslage mancher sehr kritisch hinterfragt, ist nachvollziehbar. Ich hoffe aber, dass mit dem Beginn der Spiele in Rio die zahlreichen schönen Seiten des Sports wieder im Mittelpunkt stehen. Ist doch die olympische Idee in der aktuellen, durchaus schwierigen Lage der Welt wichtiger denn je - Grenzen überwinden, Brücken bauen und die Jugend der Welt friedlich vereinen.

Stecken die Olympischen Spiele nach dem Skandal um russisches Staatsdoping nun in einer Glaubwürdigkeitskrise?

Hörmann: Natürlich schaden diese völlig inakzeptablen Szenarien in Russland dem Sport genauso wie die unglaubliche Mischung aus Doping und Korruption im Leichtathletik-Weltverband IAAF. Auch die gesamte FIFA-Krise trübt den Glauben an die Werte des Sports.

Und hat das IOC alles richtig gemacht?

Hörmann: Das IOC war in keinem dieser Vorgänge Verursacher, sondern hat nun die schwierige und wichtige Aufgabe, diese zweifelsohne sehr komplizierte Lage unter einem enormen Zeitdruck erfolgreich zu meistern. Es müssen dringend die Lehren gezogen werden aus dem, was passiert ist; vor allem in Russland, aber auch im gesamten Weltsport. Auch und gerade bei der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, die nun plötzlich die Rolle des Anklägers übernimmt, obwohl sie selbst wohl auch massive Fehler gemacht hat. Ich wundere mich, was in dieser Hinsicht zuletzt medial kommuniziert wurde, weil zwischen Ursache und Wirkung in der aktuellen Krise nicht mehr unterschieden wird.

Wie meinen Sie das?

Hörmann: Nach der Entscheidung zu Russlands eingeschränkter Olympia-Teilnahme wird nun seit Tagen nur noch das IOC kritisiert. Wenig bemängelt wird das Versagen der für den weltweiten Anti-Doping-Kampf zuständigen WADA, die offensichtlich seit Jahren entsprechende Hinweise über die haarsträubenden Praktiken in Russland hatte und bis Dezember vergangenen Jahres nichts dagegen unternommen hat. Die ganze Angelegenheit hätte also viel früher in der notwendigen Ruhe und Präzision geklärt werden können.

Was werfen Sie der WADA konkret vor?

Hörmann: Vergessen scheint zu sein, dass die WADA gemäß des McLaren-Reports das "Kunststück" fertig gebracht hat, den ehemaligen Leiter des Doping-Kontrolllabors bei den Winterspielen 2014 in Sotschi, Grigorij Rodschenkow, zehn Tage vorher offiziell zu informieren, dass eine außerordentliche Kontrolle seines Labors und des russischen Systems erfolgen wird - mit den zwischenzeitlich bekannten Auswirkungen der Vertuschung von Proben und Ergebnissen. Nicht ohne Grund haben gerade Athleten-Kommissionen die WADA seit langem zu einer Korrektur der Vorgehensweise aufgefordert - leider bislang wohl vergeblich.

Wäre ein kompletter Ausschluss Russlands von den Rio-Spielen nicht dennoch konsequenter und richtiger gewesen?

Hörmann: Ich verstehe die Empörung über das Staatsdoping in Russland und teile sie vollkommen, um das noch einmal unmissverständlich klar zu stellen. Dennoch appelliere ich, die Entscheidung des IOC differenziert zu betrachten. Das IOC hat für Russland keine Startberechtigungen wie in allen Ländern erteilt, sondern den Weltverbänden die Entscheidung auf der Basis von deren Zuständigkeit und anhand klarer Kriterien übertragen. Die russischen Athleten müssen saubere Dopingkontrollen aus nicht-russischen Laboren vorweisen. Damit wurde eine Kollektivstrafe vermieden. Jeder Sportler hat ein Recht darauf, dass sein Fall individuell beurteilt wird. Dass diejenigen, die die Kriterien nicht erfüllen, gesperrt werden müssen, steht für uns alle außer Frage und ich kann nur an die Weltverbände appellieren, sowohl die Prüfungen als auch die notwendigen Sperren von Schuldigen konsequent umzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass sie das tun und den Kritikern beweisen, dass sie ihrer großen Verantwortung für den Sport gerecht werden.

Aber was hätte gegen einen Komplettausschluss gesprochen?

Hörmann: Nehmen wir einfach mal an, das IOC hätte sich für einen ausnahmslosen Bann entschieden, dann wären danach wohl dutzendweise russische Athleten vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS gezogen. Und einige Tage später hätte der CAS unter dem Aspekt der Chancengleichheit mit allen anderen Sportlern weltweit möglicherweise zahlreichen Athleten mit sauberen Dopingkontrollen aus nicht-russischen Laboren gegen den Beschluss des IOC die Startberechtigung für Rio erteilt. Damit wäre die Beschlusslage des IOC dann mit etwas zeitlicher Verzögerung gegenüber dem jetzigen Status wohl ebenfalls massiv kritisiert worden.

Sie haben explizit den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach gelobt. Es gibt viele, die das anders sehen und polemisch meinen, das IOC gehe den Bach runter. Selbst die DOSB-Athletenkommission war für den Komplettausschluss. Fühlen Sie sich da nicht etwas alleine?

Hörmann: Keineswegs und ich halte die IOC-Entscheidung, wie oben dargelegt, für nachvollziehbar. Allerdings muss man in einem solch komplexen Thema einfach auch andere Meinungen akzeptieren - das gilt in alle Richtungen. Da kann und muss es "die eine Stimme des Sports" schlichtweg nicht geben.

Dass die DOSB-Athletenkommission anders denkt ist akzeptabel?

Hörmann: Wer sich zum Beispiel mit der Stimmungslage im gesamten deutschen Team und unter den internationalen Athleten beschäftigt, kann erkennen, wie vielschichtig und auch sehr differenziert argumentiert wurde. Es gab die harten Verfechter von "Russland raus", aber in der Mehrheit doch eindeutig diejenigen, die eine ausgewogenere Form der Entscheidung im Sinne der Sportler gefordert haben. Die mediale Berichterstattung hat dieses Bild des weltweiten Sports leider nur sehr bedingt wiedergegeben. Klar ist jedoch auch: Der Weltsport muss sich nach Rio neu sortieren, es muss neu gedacht und gehandelt werden. Ein "Weiter so" kann und darf es nicht geben.

Thomas Bach ist drei Jahre im Amt und hat unter anderem die Reformagenda 2020 auf den Weg gebracht. Sind sein Ansehen und seine Autorität im Zuge der Russland-Causa beschädigt worden?

Hörmann: Das wird davon abhängen, wie der IOC-Beschluss von den Weltverbänden umgesetzt wird und ob das zu einem erkennbar akzeptablen russischen Team bei den Rio-Spielen führt.

Werden Sie russischen Medaillengewinnern Applaus spenden?

Hörmann: Wenn ich davon überzeugt bin, dass diejenigen sich ihren Erfolg über einen klaren Nachweis einer qualitativ vergleichbaren Doping-Testsituation wie alle anderen Athleten auf der Welt erarbeitet haben, dann ja. Sonst nein.

ZUR PERSON: Alfons Hörmann (55) ist seit Dezember 2013 DOSB-Präsident und war davor unter andern Präsident des Deutschen Skiverbandes (2005-2013).

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