Fall Rehm geht weiter - DLV-Ehrenpräsident übt Kritik

Düsseldorf · Paralympics-Sieger Markus Rehm bleibt auch in einer der bittersten Stunden seiner Karriere ein fairer Sportsmann.

 Markus Rehm (l) beantwortet im Beisein von Diskus-Olympiasieger Robert Harting im Bundesleistungszentrum in Kienbaum Fragen der Medienvertreter. Foto: Rainer Jensen

Markus Rehm (l) beantwortet im Beisein von Diskus-Olympiasieger Robert Harting im Bundesleistungszentrum in Kienbaum Fragen der Medienvertreter. Foto: Rainer Jensen

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"Ich werde keine juristischen Schritte einleiten, aber ich werde alle Möglichkeiten nutzen, um nachzuweisen, dass ich mir keinen Vorteil verschafft habe", sagte der 25-jährige Leverkusener im Bundesleistungszentrum in Kienbaum, einen Tag nach seiner Nichtnominierung für die Leichtathletik-EM im August in Zürich.

Das Echo auf die Entscheidung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Rehm trotz des Titelgewinns bei den deutschen Meisterschaften in Ulm und der Erfüllung der EM-Norm nicht zu berücksichtigen, war geteilt und kontrovers. Kritik übte IAAF-Councilmitglied Helmut Digel am DLV. "Der Fehler ist im Vorfeld gemacht worden. Der DLV hätte eine Änderung der IAAF-Regel 144 beantragen können", sagte das deutsche Mitglied im Führungsgremium des Weltverbandes IAAF der dpa. "Er hätte dafür sorgen können, dass Behinderte und Nichtbehinderte keine gemeinsamen Wettkämpfe betreiben können."

Der Fall des beidbeinig amputierten Läufers Oscar Pistorius habe offen gelegt, dass es nicht sinnvoll ist, biomechanische Analysen heranzuziehen. "Die Verbände haben die regeltheoretischen Entscheidungen zu treffen. Das hat mit Inklusion oder Gegeninklusion nichts zu tun", meinte Digel. Der Südafrikaner hatte sein Startrecht bei den Olympischen Spielen 2012 in London juristisch eingeklagt, nachdem ein Gutachten durch ein Gegengutachten entkräftet wurde.

Nach dem Fall Pistorius sei im DLV-Präsidium nicht nur über einen Antrag der Änderung der IAAF-Regel diskutiert worden, sondern es habe sogar einen Entwurf gegeben. "Aber man hat gemeint, es sei falsch, wenn man als deutscher Fall vorpreschen würde", sagte DLV-Ehrenpräsident Digel, "und prompt hat man seinen Fall Rehm gehabt."

Grundlage für die Nichtnominierung des unterschenkelamputierten Weitspringers aus Leverkusen waren biomechanische Messungen. "Wenn mir nachgewiesen wird, dass ich durch die Prothese einen Vorteil hatte, lasse ich alle Weiten aus der Liste streichen und gebe den Titel zurück", sagte Rehm. "Dazu sind weitere Analysen wichtig. Wir sollten uns zusammensetzen und klären: Was will der DLV, was will ich messen lassen."

Die Entscheidung, trotz aller Bedenken gegen die Biomechanik-Studie keine rechtlichen Schritte einzuleiten, begründet er mit dem "Respekt" für die anderen Sportler: Er wolle nicht weiter für Verwirrung und Unruhe vor der EM sorgen und "fair bleiben".

Allerdings warf auch Rehms Trainerin Steffi Nerius dem DLV Versäumnisse vor. "Ich finde es schade, dass Markus dafür bestraft wird, dass der DLV es vor einem Dreivierteljahr nicht geschafft hat, die Untersuchungen einzuleiten", sagte die Speerwurf-Weltmeisterin von 2009 bei "Sky". Ein Angebot des DLV, schon am 6. Juli beim Meeting in Dillingen biomechanische Analysen seiner Sprünge machen zu lassen, konnte Rehm nicht wahrnehmen.

Der Fall ist nach dem EM-Aus weder für ihn noch für den DLV und den Deutschen Behindertensportverband (DBS) erledigt. "Es darf nicht in den Köpfen bleiben, dass ich nur wegen der Beinprothese gewonnen habe. Das wäre ein extrem falsches Bild", sagte der 25-Jährige, der "große Anteilnahme gespürt" hat und sogar von Weltmeister Lukas Podolski ("Schade, dass Du nicht dabei bist") aufgemuntert wurde.

Auch der DLV und der DBS wollen die Diskussion, ob oder wie es Chancengleichheit bei gemeinsamen Wettbewerben zwischen Behinderten und Nichtgehandicapten geben könnte, weiter führen. "Der Dialog mit dem DBS geht weiter. In Sachen Rehm werden weitere Untersuchungen angestrebt", kündigte DLV-Präsident Prokop an. Anfang September wird es eine Sitzung der gemeinsamen Arbeitsgruppe geben. Das Gremium wurde eingerichtet, als der Start des behinderten Weitspringers bei den deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten absehbar war.

Der DLV hatte als Grundlage für den negativen Bescheid an Rehm die Ergebnisse biomechanischer Messungen der Sprünge bei den nationalen Titelkämpfen am vergangenen Samstag in Ulm genommen. Die Daten ließen darauf schließen, dass Rehm durch die Karbon-Beinprothese einen unerlaubten Vorteil gehabt haben könnte. Sowohl der Springer als auch Experten halten diese Untersuchung für unzureichend.

Unterdessen hat das Internationale Paralympische Komitee (IPC) mit großer Gelassenheit auf die Nichtnominierung von Paralympics-Sieger Rehm für die EM reagiert. "Dies ist kein Rückschlag für die paralympische Bewegung. Unsere Veranstaltungen wachsen ständig, sowohl in der Qualität als auch in der Größe. Markus ist ein fantastischer Athlet, und seine Leistung war beeindruckend", sagte IPC-Sprecher Craig Spence.

Überrascht und erfreut zeigte sich Julian Howard von der Entwicklung. "Nach der politischen Brisanz war ich sicher, nur eine kleine Chance auf eine Nominierung zu haben", sagte der Karlsruher. Er wurde als dritter Weitspringer neben Christian Reif und Sebastian Bayer für die EM nominiert. "Ehrlich, ich dachte, dass der dritte Startplatz frei bleiben würde." Howard hätte aber auch eine Nominierung Rehms klaglos akzeptiert: "Ich hätte Verständnis gehabt. Man hat ihn zur Meisterschaft zugelassen und es wäre folgerichtig gewesen, ihn mit zur EM zu nehmen."

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