Thorpe zum Coming-out: Hätte anderes Leben führen können

Sydney · Ian Thorpes angespannte Seelenlage ist ihm anzusehen. Seine Wangenknochen mahlen, er klimpert mit den Augen, nimmt sich Pausen, um die richtigen Worte zu finden. Zugegeben, die Frage des renommierten britischen Interviewers Sir Michael Parkinson ist so gar nicht Gentleman-like.

 Ian Thorpe bekennt sich zu seiner Homosexualität. Foto: Network Ten

Ian Thorpe bekennt sich zu seiner Homosexualität. Foto: Network Ten

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Sie könnte indiskreter kaum sein, auch wenn ein Interview dieser Art gewöhnlich vorher bis ins Detail abgesprochen wird. Ob denn wirklich wahr sei, dass er nicht schwul sei und er seine sexuellen Erfahrungen nur mit Frauen gemacht habe, will Parkinson im gut einstündigen TV-Interview des Senders Channel 10 von Thorpe wissen.

Australiens etwas füllig gewordene Schwimm-Ikone mit Drei-Tage-Bart antwortet zunächst wie all die Jahre zuvor: "Das ist wahr." Dann aber, nach einer Pause, schiebt Thorpe nach: "Aber ich habe lange drüber nachgedacht", verhaspelt sich dabei und sagt dann den entscheidenden Satz, für den viele Schwule und Lesben ebenfalls einen langen Anlauf brauchen: "Ich bin nicht hetero. (I'm not straight)."

Parkinson, der mit weißem Haar, Kassenbrille und blauem Anzug wie ein gütiger Großvater wirkt, setzt nach: "Sind sie nicht?" Thorpe hört ihn nicht oder will es nicht. Er will erklären, was es an Gerüchten schon so lange gab und was er ebenso lang hartnäckig dementiert hatte. Genau dadurch aber hatte der fünffache Olympiasieger, der bereits als 16-Jähriger öffentlich zu seiner Sexualität befragt worden war, eben diese Privatsache nie so recht privat halten können. Erst in den vergangenen zwei Wochen habe er sich Familie und Freunden offenbart.

Thorpe, der nach eigenen Angaben schon als 19-Jähriger Medikamente gegen Depressionen nahm, redet sich nun einiges von der Seele. Er habe große Angst vor Ablehnung gehabt, die Reaktion in seinem Umfeld sei aber eine andere gewesen. "Ich hätte ein sehr anderes Leben führen können, wenn ich mich früher geoutet hätte", sagt er traurig. Junge Menschen sollten nicht dasselbe durchmachen wie er.

Warum aber zögerte Australiens erfolgreichster Olympionike so lange mit seinem Coming-out? Es hat viel mit dem Bild zu tun, das selbst der sonst so liberale Fünfte Kontinent sich als sportverrückte Nation gerne von seinen Helden macht. "Ein Teil von mir wusste nicht, ob Australien einen schwulen Champion will." Der elffache Weltmeister gibt zu, dass er wohl selbst "eine größere Sache" daraus gemacht habe als andere.

Ein Outing bereits in den Zeiten seiner größten Erfolge zwischen 1998 und 2004 sei für ihn aber nicht infrage gekommen. Homophobe Beschimpfungen auf der Straße habe er nur schwer ertragen können, nur aus Angst vor der öffentlichen Reaktion habe er Prügeleien deswegen vermieden. "Wenn ich all diese Leute geschlagen hätte, säße ich im Gefängnis."

Attraktive Männer habe er schon registriert, aber nie daran gedacht, mit ihnen auszugehen, "weil ich Angst hatte, dass es jemand rauskriegt". Aus Sorge, enge Freunde würden öffentlich als seine Liebhaber angesehen werden, zog sich Thorpe immer weiter zurück. So hatte die australische Regenbogenpresse vor Jahren genüsslich über Fotos am Strand bei einem Urlaub spekuliert. "Ich habe immer versucht, andere zu schützen", erklärte Thorpe.

Am Ende des langen Interviews, in dem Thorpes Depressionen und seine überragenden sportlichen Erfolge Thema waren, fragt Parkinson den 31-Jährige, ob er sich nun anders, glücklicher fühle. "Wenn jeder das gesehen hat, kann ich ausatmen", antwortete Ian Thorpe. Die Luft für ein glücklicheres Leben hat er sich nun verschafft.

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