Russland will Olympia-Bann abwenden

Berlin · Nach dem Weckruf durch eine historische Strafe will die Sportgroßmacht Russland zügig Reformen einleiten und so den Bann für Olympia in Rio de Janeiro abwenden.

 Russlands Sportminister, Witali Mutko, rechnet trotz der vorläufigen Suspendierung im Doping-Skandal mit einer Teilnahme seines Landes an den Olympischen Spielen in Rio. Foto: Martin Schutt

Russlands Sportminister, Witali Mutko, rechnet trotz der vorläufigen Suspendierung im Doping-Skandal mit einer Teilnahme seines Landes an den Olympischen Spielen in Rio. Foto: Martin Schutt

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Sommerspiele 2016 ohne russische Leichtathleten - erstmals seit dem Boykott 1984? Mit diesen düsteren Gedanken wollen sich die Mächtigen in Moskau gar nicht erst befassen. Doch dann müssen den Worten schnell Taten folgen. Es kann nach den massiven Dopingverstößen im Riesenreich nur einen Rettungsanker geben: Aufklären und Aufräumen. Sonst droht in der olympischen Kernsportart ein "Rio ohne Russen".

Als Konsequenz aus dem gigantischen Dopingskandal soll die gesamte Führungsriege im russischen Leichtathletik-Verband (WFLA) ausgewechselt werden. Innerhalb der kommenden drei Monate solle es Neuwahlen geben, kündigte das russische Sportministerium laut Nachrichtenagentur Tass an. Bereits an diesem Sonntag treffen sich Sportminister Witali Mutko und der WFLA-Vorstand in Moskau zu einer Sondersitzung.

In einem ARD-"Sportschau"-Interview bezeichnete Mutko den Olympia-Ausschluss von Leichtathleten seines Landes allerdings prinzipiell als nicht möglich. "Ich schließe so einen Verlauf der Entwicklung aus, was das Verbot der Teilnahme der Sportler angeht", sagte er. Denn die Doping-Problematik sei keine der russischen Leichtathletik. Es handele sich um ein Problem der Leichtathletik in der Welt, das nicht in Russland angefangen habe.

Die russischen Chefs signalisieren dennoch Kompromissbereitschaft für Reformen. "Das NOK Russlands ist bereit zu Reformern in Übereinstimmung mit den IAAF-Forderungen und der Anti-Doping-Gesetzgebung", versicherte NOK-Präsident Alexander Schukow. Dies müsse "durchgreifend und schnell erfolgen, um unseren Athleten die Olympia-Teilnahme zu ermöglichen".

Dafür seien aber konsequente Schritte notwendig. "Alle Offiziellen, Trainer u.a., die in Doping verwickelt sind, werden zur Verantwortung gezogen und bestraft", hieß es in einer veröffentlichten Mitteilung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). "Alle gedopten Athleten werden in Übereinstimmung mit den internationalen Anti-Doping-Regeln sanktioniert", wurde gefordert. "Alle sauberen Athleten werden geschützt", wurde zugleich versichert.

Auch Mutko machte klar, dass Moskau jetzt eher auf Kooperation statt Konfrontation setzt. "Ich bin sicher, dass es gelingt, die Situation bis zu Olympia zu klären. In der russischen Leichtathletik gibt es weder mehr noch weniger Probleme als im Rest der Welt", sagte Mutko, der bereits Kontakt zum IAAF-Präsidenten aufgenommen hat. "Ich habe heute mit Sebastian Coe über die weiteren Schritte im Anti-Doping-Kampf gesprochen und hoffe, dass binnen 90 Tagen unsere Mannschaft wieder alle Rechte besitzt. Belastete Funktionäre werden unseren Verband verlassen müssen", sagte er dem TV-Sender Rossija-1.

Das IAAF-Council hatte die Gesamtrussische Leichtathletik-Föderation (WFLA) am Freitagabend vorläufig aus dem Weltverband ausgeschlossen und damit auf die gravierenden Verletzungen des Anti-Doping-Codes der WADA reagiert. Moskau darf nun bis auf weiteres keine Sportler zu internationalen Veranstaltungen mehr schicken. Das Verdikt hat eine historische Dimension: Noch nie hatte die IAAF einen nationalen Verband komplett suspendiert. Dass davon jetzt auch die "sauberen" Athleten betroffen sind, hatte für kritische Reaktionen gesorgt.

Die Sperre tritt nach IAAF-Angaben unverzüglich in Kraft und ist zunächst unbefristet, so dass sie den möglichen Olympia-Bann einschließt. 22 Council-Mitglieder stimmten für den provisorischen Ausschluss, einer votierte dagegen. Der Russe Michail Butow, Council-Mitglied und WFLA-Generalsekretär, durfte nicht abstimmen.

"Die Botschaft hätte nicht stärker sein können", meinte IAAF-Chef Coe. Der Weltverband habe die derzeit härtestmögliche Strafe gegen Russland verhängt. "Das war ein beschämender Weckruf, und wir sind uns einig, dass Betrug auf keiner Ebene toleriert werden wird."

Um wieder in die IAAF aufgenommen zu werden, müsse "die neue Föderation eine Liste mit Kriterien erfüllen", teilte die IAAF mit. In den kommenden Tagen werde der Weltverband ein vierköpfiges Inspektionsteam unter Leitung des Norwegers Rune Andersen einsetzen.

WFLA-Präsident Wadim Selitschenok schloss einen Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) nicht aus, falls die IAAF "keines unserer Argumente akzeptiert". Da ein solcher Antrag aber eventuell erst nach den Olympischen Spielen in Rio verhandelt würde, sei es am besten, "jetzt einen vernünftigen Kompromiss zu finden".

Kronzeuge Witali Stepanow und seine Frau Julia zeigten sich erleichtert, dass ihre Aussagen zum systematischen Doping in Russlands Leichtathletik durch die Ermittlungen einer unabhängigen Kommission bestätigt wurden. "Es macht uns glücklich, dass die Wahrheit im Sport etwas wert ist. Wir bereuen nichts, was wir getan haben", hieß es in einer in der ARD-"Sportschau" veröffentlichten Stellungnahme der beiden. Der ehemalige Doping-Kontrolleur Witali und die Läuferin Julia Stepanow hatten nach ihren Enthüllungen in der im Dezember 2014 ausgestrahlten ARD-Dokumentation "Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht" ihr Heimatland verlassen.

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