Interview mit Walter Schneeloch und Christoph Niessen "Mehr Einfluss für den Sport"

BONN · LSB-Spitzenfunktionäre kritisieren zu viel Politik im Spitzensport und zu wenig Unterstützung auf lokaler Ebene.

 Ernstes Gespräch über wichtige Anliegen der Sportorganisationen: LSB-Präsident Walter Schneeloch und Christoph Niessen stellen sich den Fragen von Berthold Mertes und Simon Bartsch.

Ernstes Gespräch über wichtige Anliegen der Sportorganisationen: LSB-Präsident Walter Schneeloch und Christoph Niessen stellen sich den Fragen von Berthold Mertes und Simon Bartsch.

Foto: Henry

Walter Schneeloch kommt von der Basis. Der ehrenamtliche Präsident des Landessportbundes NRW war Fußballer beim TuS Lindlar. Der 67-Jährige kritisiert die sportfeindliche Ausrichtung von Kommunen in Zeiten knapper Kassen. Wenig Unterstützung des Sports an der Basis auf der einen Seite, zu viel Einmischung der Politik in die Spitzensportförderung auf der anderen, das jedenfalls meint der hauptamtliche LSB-Vorstandsvorsitzenden Christoph Niessen aus Bonn. Über diese Themen sprachen Berthold Mertes und Simon Bartsch mit den Top-Sportfunktionären des Landes.

Herr Schneeloch, Herr Niessen, auch wenn die Realität oft anders aussieht: Sport steht als einziges Schulfach vom ersten bis zum 13. Schuljahr verpflichtend mit mindestens drei Schulstunden pro Woche im Lehrplan. Warum ist Sport so wichtig?
Schneeloch: Der Alltag fordert die Kinder körperlich überhaupt nicht mehr. Hier muss in den Schulen ein ganz anderer Ausgleich geschaffen werden. Wir haben dafür die Formel : "3 + 2 + x" entwickelt. Über die drei verpflichtenden Stunden Sportunterricht hinaus steht die zwei für zusätzliche Stunden im offenen Ganztag, die möglichst von unseren Sportvereinen angeboten werden sollen. Und das x steht für alle zusätzlichen Angebote unserer Vereine.

Was lehrt der Sport?
Niessen: Wo lernen Kinder sonst noch, sich unterzuordnen, einzuordnen, Disziplin zu halten und gemeinsam auf einen Erfolg hinzuarbeiten? Trainer sind oft Vorbilder, sie werden als Leitfiguren wahrgenommen.
Schneeloch: Im Sport werden Dinge vermittelt, die junge Menschen in der Persönlichkeitsentwicklung weiterbringen. Nehmen Sie beispielsweise die Fecht-Olympiasiegerin Britta Heidemann, die ein hervorragendes Studium hinter sich gebracht hat. Sie sagt selbst, dass sie das nur schaffen konnte, weil sie hervorragende Eigenschaften wie Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin im Sport erworben hat.

Sie haben eine Offensive "Sport & Bildung in NRW" gestartet. Was steckt dahinter?
Schneeloch: Wir wollen verdeutlichen, dass in unseren rund 19 500 Sportvereinen durch Bewegung, Spiel und Sport tägliche Bildungsarbeit stattfindet, zum Beispiel im Training oder Wettkampf. Hier werden Kompetenzen entwickelt von Teamfähigkeit über Selbstvertrauen bis zur Übernahme von Verantwortung. Kurzum: Der organisierte Sport leistet einen wertvollen Beitrag zur Bildung der Menschen in NRW.

Wie erreichen Sie als Institution mit der Zentrale in Duisburg die kleinen Vereine im weiten Land?
Niessen: Durch überzeugende Konzepte für alle Altersklassen, aber auch personelle Unterstützung. So finanzieren wir zum Beispiel für unser Programm "NRW bewegt seine Kinder" über 70 dezentral angesiedelte Fachkräfte. Diese haben die Aufgabe, den Vereinen zu helfen, in die Schulen reinzukommen. Sie kooperieren mit den Schulverwaltungen. Die Kunst dabei ist, das Ehrenamt mit dem hoch organisierten Schulsystem zu verzahnen.

Was muss ich als Verein mit Nachwuchssorgen tun, um an das Reservoir der Schulen heranzukommen?
Schneeloch: Ich muss über den Sportbund an die Fachkraft herantreten.

Das heißt konkret, wenn beispielsweise der Judo-Club Beuel einen Schulpartner sucht?
Niessen: Er fragt den Stadtsportbund: Wir möchten gerne am Kardinal-Frings-Gymnasium was machen, könnt Ihr bitte einen Kontakt herstellen?

Sehen Sie Effekte?
Schneeloch: Vereine, die aktiv mit Schulen zusammenarbeiten, haben im Vergleich zu anderen keine Mitgliedersorgen. Dort liegt die Zukunft unserer Sportvereine. Wir können die Ganztagsschule nicht mehr wegdiskutieren.

Bleiben wir in Bonn: Wie ist der Sport politisch in der Bundesstadt aufgestellt?
Schneeloch: Wir würden uns als LSB wünschen, dass die anderen Stadtsportbünde so gut aufgestellt wären wie der Stadtsportbund hier mit Michael Scharf. Etwa in Köln - es wäre schön, wenn dort mit dem neuen Vorstand, der seit zwei Wochen im Amt ist, ein bisschen mehr Kontinuität und ein wenig politische Schlagkraft hineinkommt. Denn ich befürchte, dass die Missverhältnisse in Köln noch gravierender sind als in Bonn.

Was meinen Sie damit?
Schneeloch: Die Wertschätzung des Sports abseits des 1. FC Köln. Ein Beispiel: In Weiden ist eine Dreifachhalle für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen. Abgesehen von der Frage, ob das menschenwürdig ist, zeigt sich daran, welchen Wert der Sportunterricht in Köln hat. Ich habe die Sorge, dass das ganz schnell die Runde macht - und Schulsporthallen für die Unterbringung von Flüchtlingen herhalten müssen.

Welche Alternativen gibt es?
Schneeloch: Ich kann von Verwaltungsleuten wohl ein bisschen Kreativität erwarten. Es gibt bestimmt ausreichend leerstehende Räumlichkeiten. In einem Museum stehen beispielsweise tote Gegenstände, die man zur Seite räumen kann. Aber hier nimmt man den Menschen den Raum, den sie dringend für Bewegung, Spiel und Sport brauchen. Wenn ich sehe, dass in Bonn vier Bäder geschlossen werden, weil Bonn "XXL-Bäder ausgestattet" ist, was mein Freund Jürgen Nimptsch von sich gegeben hat, dann schreit das einfach nur so zum Himmel.

Und in Köln?
Schneeloch: Da ist die Situation nicht anders. Da heißt es, es stünden andere Hallen zur Verfügung. Standen die etwa bislang leer? Gibt es in Köln wirklich einen Überfluss an Sporthallen? Das kann niemand behaupten.

Herr Niessen, Sie unterstützen den Stadtsportbund Bonn argumentativ in der Diskussion um die Sportpauschale. Warum?
Niessen: Das sind 900 000 Euro im Jahr, die als Zuweisung des Landes an die Stadt fließen. Die entscheidet dann, was sie damit macht. Der Stadtsportbund Bonn ist daran aber nicht beteiligt, obwohl die Gelder auch für den Bau und Erhalt von Vereinssportstätten vorgesehen sind. Es kommt leider immer wieder vor, dass Kämmerer versuchen, diese Sportpauschalen zu vereinnahmen. Zum Beispiel für Schulsanierungen. Dafür gibt es aber eine Schulpauschale. Es gibt sogar Kämmerer, die das Geld zur Haushaltssanierung verwendet haben.

Gestritten wird auf Bundesebene über die Spitzensportförderung. Als Curling kürzlich daraus gestrichen wurde, war der Aufschrei groß, obwohl in Deutschland nur 500 Menschen diesen Sport betreiben und er nur bei Olympia öffentliche Aufmerksamkeit genießt. Teilen Sie das Entsetzen vieler Funktionäre?
Niessen: Natürlich sagen alle: Wir wollen alles weiter fördern, das ist deutsche Tradition, das haben wir schon immer so gemacht und wir wollen in möglichst vielen Sportarten Medaillen gewinnen. Dann sage ich: Schön, aber ich muss mich entscheiden, was ich will. Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht verändern, in erster Linie das Geld für Spitzensportförderung, dann muss ich die Erfolgserwartungen heruntersetzen.

Oder effizienter arbeiten ...
Niessen: Es gibt noch Potenziale, die erschlossen werden können. Gelingt das nicht, muss ich mich auf bestimmte Sportarten konzentrieren. Alles andere ist naiv.

Welche Effizienzreserven gibt es denn nach Ihrer Einschätzung?
Niessen: Grundsätzlich sind wir gut ausgestattet in Deutschland, wir kommen auf in der Summe 250 bis 300 Millionen Euro Spitzen- bzw. Leistungssportförderung aus Bundes- und Landesmitteln. Außerdem gibt es 1000 staatliche Vollzeit-Arbeitsplätze im deutschen Sport: bei der Bundeswehr, beim Zoll, bei der Polizei.

Und wie können die Reserven erschlossen werden, damit sich die Rückentwicklung der letzten 20 Jahre von 82 Olympia-Medaillen in Barcelona 1992 auf 44 in London 2012 nicht fortsetzt?
Niessen: Dazu müsste der Deutsche Olympische Sportbund eindeutig die Führungsinstrumente in die Hand bekommen.

Hat er die nicht?
Niessen: Solange es nötig ist, dass der Spitzenverband zum Bundesinnenministerium laufen muss, wenn es um die Förderung geht, hat er das nicht.Wenn der DOSB "links herum" sagt, findet das BMI schon mal "rechts herum" besser. Kein Cent dieser Gelder wird in der Praxis vom DOSB vergeben. BMI und Bundesverwaltungsamt vergeben die Gelder und prüfen die Mittelverwendung. Der DOSB hat einfach nicht den nötigen Zugriff.

Sie fordern also mehr Einfluss. Behindert die Bürokratie im deutschen Spitzensport?
Niessen: Wir kritisieren nicht ein bürokratisches Verfahren, sondern ungeklärte Zuständigkeiten. Wer wird gefragt, wenn die Erfolge ausbleiben? Die Sportverbände. Die zentrale Frage ist doch: Ist das Bundesinnenministerium für die Spitzensportsteuerung zuständig oder der DOSB? Meine klare Aussage: Es müsste der DOSB sein.

Wer kann denn die Zuständigkeiten klären?
Schneeloch: Entscheidend ist der Bundesinnenminister.

Der könnte also sagen: Mein Ministerium hält sich hier oder da etwas zurück?
Schneeloch: Richtig.

Zu den Personen

Walter Schneeloch (67) wurde 1947 in Bensberg geboren. Der Sportfunktionär wurde 1986 in das Amt des Dezernenten für Schul- und Vereinssport beim Regierungspräsidenten Köln berufen. 1989 bis 2005 war er Beigeordneter der Stadt Gummersbach. Seit 2005 ist Schneeloch Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen (LSB NRW) und seit 2006 Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Christoph Niessen (45) ist seit 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen (LSB). Seine Laufbahn begann der ehemalige Student der Sporthochschule Köln 1997 als Referent für Vereinsentwicklung beim LSB, zwischen 1999 und 2007 führte er den Landessportbund von Rheinland-Pfalz, anschließend war er Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada). Christoph Niessen wohnt in Bonn.

Sport & Bildung

Der Landessportbund Nordrhein-Westfalen hat 2014 die Offensive "Sport & Bildung" gestartet. Die folgenden vier Programme sollen den Sport in allen Facetten und für alle Generationen fördern:

  • NRW bewegt seine Kinder: Die Bewegungschancen für Kinder sollen auch durch die Zusammenarbeit zwischen Ganztagsschulen und Vereinen optimiert werden.
  • Bewegt gesund bleiben in NRW: Angebote aus den Bereichen Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation sollen die Lebensqualität verbessern.
  • Bewegt älter werden in NRW: Durch spezielle Bewegungsangebote werden mehr Sport und Bewegung im Alter der Bevölkerung angestrebt.
  • Spitzensport fördern in NRW: Ziel ist es, die Chancen von jungen talentierten Athleten im Leistungssport durch wirksame Fördermaßnahmen zu erhöhen. Für Vereinsvorstände ist ein Online-Beratungssystem eingerichtet worden (www.vibss.de). Der LSB bietet aber auch Schulungen an.

Informationen: www.lsb-nrw.de

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