Löws klare Botschaft - Beifall für Chefkritiker Boateng

Leipzig · Beim Abschied aus der Heldenstadt Leipzig gab Joachim Löw seinen irritierten und angesäuerten Weltmeistern in der 27. Etage des Teamhotels eine klare Botschaft mit für die neue Titelmission.

 Vor Bundestrainer Joachim Löw und seinem Team liegt noch viel Arbeit. Foto: Jens Wolf

Vor Bundestrainer Joachim Löw und seinem Team liegt noch viel Arbeit. Foto: Jens Wolf

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"Wir wissen, dass wir da in den nächsten Monaten schon noch einige Arbeit vor uns haben, um wieder auf das Niveau wie bei der WM zu kommen", sagte der Bundestrainer nach einer Qualifikation mit Hängen und Würgen.

Der Auftritt gegen biedere Georgier hatte noch mehr Fragezeichen hinterlassen, als die Pleite zuvor in Irland. "Die EM ist wieder etwas anderes", sagte Abwehrchef und Chefkritiker Jérôme Boateng, ergänzte aber deutlich: "So wie wir heute gespielt haben, brauchen wir nicht anzutreten. Gegen ein Spitzenteam kannst du so nicht spielen. Man muss schon Klartext reden."

Der Münchner bekam beim Abschlussessen in der Nacht zum Montag einen tosenden Applaus von seinen Kollegen, da er als einziger Akteur alle zehn Quali-Spiele komplett bestritten hatte. "Das Etappenziel ist erreicht. Aber wir haben natürlich weitere Ziele und Luft nach oben", erklärte Verbandschef Wolfgang Niersbach beim Mitternachtsbuffet. Zweifel habe er nicht, ergänzte der Präsident des DFB, der für das Frankreich-Ticket an die Gruppensieger rund vier Millionen Euro Prämie ausschüttet.

Die großen Mühen und Probleme zum Qualifikationsabschluss werden die deutschen Fußball-Nationalspieler und den Bundestrainer aber noch eine ganze Weile begleiten. "Wir sind im Moment ein Boxer, der viele Treffer landet, aber nicht frühzeitig den K.o. schafft", bemühte Löw ein Bild aus einer härteren Sportart.

Um das größte Defizit herrschte im Lager des Weltmeisters Einigkeit. "Wir müssen dahin kommen, dass wir diese absolute Geilheit, ein Tor machen zu wollen, wieder haben", betonte Real-Madrid-Star Toni Kroos nach 93 zähen Minuten. Wie die Korrekturen bis zum Start der Fußball-Europameisterschaft am 10. Juni 2016 konkret aussehen sollen, wollten und konnten Trainer und Spieler nach dem mühevollen 2:1 gegen den Weltranglisten-110. Georgien nicht näher erläutern. "Der Schnitt liegt jetzt bei sieben oder acht Torchancen, die wir brauchen", beklagte Löw erneut die fehlende Effizienz des deutschen Spiels.

Dabei ist eigentlich genügend Offensivpower vorhanden. "Unsere Spieler haben schon Vollstreckerqualitäten - Marco Reus, Thomas Müller oder André Schürrle normalerweise", rätselte Löw. Doch gerade die hatten vor 43 630 unzufriedenen Fans in der ausverkaufen Arena den Punch vermissen lassen, obwohl der Gegner quasi schon in den Seilen hing.

Allein der Dortmunder Reus versemmelte in der kalten sächsischen Herbstnacht ein halbes Dutzend vorzüglicher Tormöglichkeiten. Und als Georgien-Kapitän Jaba Kankawa (53. Minute) die Elfmeter-Führung von Thomas Müller (50.) ausglich, drohte sogar die totale Blamage.

"Man hätte schon denken können, dass das nicht Georgien ist, sondern Italien oder Frankreich", bemerkte Manuel Neuer. Der Welt-Torhüter verhinderte mit zwei Weltklasse-Paraden, dass Deutschland noch in Gefahr geriet, in die Playoffs zu müssen. Erst Bayern-Stürmer Robert Lewandowski mit seinem 2:1 für Polen gegen Irland, dann Max Kruse mit dem DFB-Siegtreffer (79.) bannten schließlich diese Gefahr.

Kollege Boateng machte als Chefkritiker klar, dass einige WM-Tugenden in den 15 Monaten nach dem großen Triumph von Rio de Janeiro verloren gegangen sind. "Das kommt, wenn man einen Schritt zu wenig läuft und glaubt, es geht von alleine", bemerkte der Münchner zu den Defiziten im Zusammenspiel: "Wir müssen es hinten dann ausbaden."

Mittelfeld-Organisator Kroos, der nach dem erneuten Ausfall von Kapitän Bastian Schweinsteiger zusammen mit Ilkay Gündogan auch nicht den Schlüssel für den Georgien-Riegel fand, sieht wie Löw keine unlösbaren Probleme. "Ich kann versprechen, dass Deutschland auch bei dieser EM wieder eine sehr, sehr gute Mannschaft stellen wird mit allen Chancen." Schweinsteiger warb in einem offenen Brief an die Fans für Verständnis für die holprige Qualifikation, formulierte zugleich das klare Ziel: "1972, 1980, 1996 - bisher waren für Deutschland in Europa aller guten Dinge drei. Jetzt wollen wir mehr."

Chefcoach Löw erlebte in den zehn Quali-Spielen (sieben Siege, ein Remis, zwei Niederlagen) allerdings, wie selbst Teams mit beschränkten Möglichkeiten den berechenbar gewordenen Weltmeister in Verlegenheit stürzen konnten. "Wir haben jetzt die Gruppe gewonnen, damit können wir sicherlich zufrieden sein. Mit den letzten zwei Spielen kann ich und bin ich nicht zufrieden, das muss man mit aller Klarheit sagen. Wie wir gespielt haben gegen Irland und Georgien, das ist nicht unser Anspruch", fasste Löw die Ausscheidungsrunde zusammen.

"Es war in dieser Qualifikation so schwierig wie nie in den letzten zehn, zwölf Jahren. Der Weg war kein einfacher", gestand der Bundestrainer. An seiner grundlegenden Spielphilosophie will der 55-Jährige auch bei seinem fünften großen Turnier festhalten: Ballbesitz, Kombinationsfußball, Flexibilität. Doch das Team muss sich wieder neue, überraschende Möglichkeiten erarbeiten.

"Rein im sportlichen, im taktischen Bereich müssen wir uns schon die eine oder andere Überlegung machen", betonte Löw. Über einen echten Strafraumspieler wie Mario Gomez in seinen besten Zeiten würde er nachdenken. Zum Brechstangen-Fußball von einst wird der Weltmeister-Coach aber garantiert nicht zurückkehren: Man brauche jetzt nicht zu glauben, "dass man einen großen, kopfballstarken Spieler braucht - einen Horst Hrubesch". Dessen Zeiten sind ja auch längst vorbei.

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