Erst Martin-Gelb, dann Vierkampf um den Thron

Utrecht · Die "Großen Vier" versprechen ein Spektakel in den Bergen, das erste Gelbe Trikot liegt aber für Tony Martin bereit. Wenn am Samstag die 102. Tour de France in Utrecht losrollt, soll für den dreimaligen Zeitfahr-Weltmeister ein Kindheitstraum in Erfüllung gehen.

 Tony Martin will zum Tour-Auftakt das Gelbe Trikot gewinnen. Foto: Arne Dedert

Tony Martin will zum Tour-Auftakt das Gelbe Trikot gewinnen. Foto: Arne Dedert

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"Dieses Trikot fehlt mir noch in meiner Erfolgsgeschichte. So eine Chance kommt nicht mehr oft", sagt Martin. Der 30-Jährige geht als großer Favorit in das 13,8 Kilometer lange Einzelzeitfahren und könnte nach Marcel Kittel in den Jahren 2013 und 2014 für den dritten deutschen Auftaktsieg in Serie sorgen.

Seit Dienstag ist Martin bereits in Utrecht und bereitet sich bei schweißtreibenden 36 Grad vor. Nach einer ersten Inspektion der Strecke ist er zuversichtlich: "Der Kurs ist nicht zu verwinkelt und wird sich auch mit hohen Geschwindigkeiten noch ganz gut fahren lassen. Jetzt will ich auf die Rampe", sagt Martin, der bei seinem angestrebten Sieg am ehesten Fabian Cancellara (Schweiz) und Tom Dumoulin (Niederlande) fürchten muss.

Ein Martin-Sieg wäre der passende Start einer Tour, auf der wieder zunehmend deutsch gesprochen wird. Erstmals seit 2008 sind wieder zwei deutsche Mannschaften (Giant-Alpecin und Bora-Argon) am Start, auch die ARD gibt dem einstigen Skandalrennen nach dreijähriger Sendepause eine Bewährungschance. Wohl auch, weil die deutschen Fahrer nach 13 Etappensiegen in den vergangenen beiden Jahren wieder sportlich attraktiv sind.

Doch diesmal fehlt der Hauptdarsteller: Der achtmalige Tagessieger Kittel wurde wegen fehlender Form von seinem Giant-Alpecin-Team nicht nominiert, was der sympathische Thüringer und seine Entourage mit scharfen Worten kommentierten. Sogar ein baldiger Teamwechsel des Top-Sprinters scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Kittels Erfolgsstory soll John Degenkolb fortschreiben. Nach seinen sensationellen Klassikersiegen bei Mailand-San Remo und Paris-Roubaix will der Frankfurter nun seinen ersten Tour-Etappensieg. Auch das Grüne Trikot ist nach dem Kittel-Aus eine Option. Bei den flachen Sprints ist der sechsmalige Tagessieger André Greipel eine feste Größe.

Nur beim Gesamtsieg werden die deutschen Fahrer weiter keine Rolle spielen. Wenn es auf der 3360 Kilometer langen Route ins Hochgebirge geht, stehen die "Großen Vier" im Mittelpunkt. Beim Aufeinandertreffen von Vorjahressieger Vincenzo Nibali, 2013-Champion Christopher Froome, Giro-Triumphator Alberto Contador und Kletterspezialist Nairo Quintana könnte es zum größten Tour-Spektakel seit Jahrzehnten kommen.

Dafür ist auch das Streckenprofil bestens geeignet. Sieben Hochgebirgsetappen mit dem Showdown im Radsport-Mekka Alpe d'Huez warten auf die Fahrer. Für die Zeitfahrer gibt es neben dem Auftakt nur noch ein Mannschaftszeitfahren über 28 Kilometer. So wenige Kilometer im Kampf gegen die Uhr gab es seit der Einführung des Zeitfahrens im Jahr 1934 nicht mehr. Doch auch die Klassikerspezialisten kommen bei der Zielankunft an der Mur von Huy oder auf der Kopfsteinpflaster-Etappe nach Cambrai auf ihre Kosten.

Noch im vergangenen Jahr war das Rennen von Langeweile geprägt, weil Nibali die Gegner wegen diverser Stürze ausgegangen waren. Froome schied mit einem Handgelenkbruch aus, Contador mit einem Schienbeinbruch. In diesem Jahr hat der Spanier Großes vor. Als erster Radprofi seit Marco Pantani 1998 will Contador das Double aus Giro und Tour gewinnen. "Es ist mein großer Traum, daran würden sich die Leute noch lange erinnern", sagt Contador, der seit seinem Dopingfall 2010 aber gerade in Frankreich nicht mehr an alte Glanztaten anknüpfen konnte.

In dieser Saison hat der Madrilene neben Froome den stärksten Eindruck hinterlassen. Davon kann bei Nibali nicht die Rede sein, erst bei den italienischen Meisterschaften am vergangenen Wochenende gelang ihm der erste Sieg. Dazu kam die ungewisse Zukunft seines Skandal-Teams Astana. Nach fünf Dopingfällen zum Ende der Saison 2014 und weiteren Verdächtigungen wollte der Weltverband UCI für die Mannschaft um den höchst umstrittenen Teamchef Alexander Winokurow ein Fahrverbot erwirken - ohne Erfolg.

So ganz befreit hat sich der Radsport vom leidigen Doping-Thema noch nicht. Und dass das dunkelste Kapitel wieder in Erinnerung gerufen wird, dafür sorgt allein schon die Anwesenheit von Lance Armstrong. Der lebenslang gesperrte Hochleistungsdoper kehrt auf die große Bühne zurück und nimmt an einem von Ex-Fußballer Geoff Thomas initiierten Charity-Rennen teil, was UCI-Chef Brian Cookson "respektlos" findet.

Verkörpert Armstrong die Vergangenheit, so setzen die Franzosen auf die Zukunft. Und die heißt Thibaut Pinot (25) und Romain Bardet (24), die schon im vergangenen Jahr mit Platz drei und sechs für Lichtblicke sorgten. Dass 30 Jahre nach Bernard Hinault aber wieder ein Franzose die Tour gewinnt, ist unwahrscheinlich. "Da reicht unser Motor nicht für aus", meint Hinault.

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