Interview mit Andreas Thiel "Deutschland spielt um die Medaillen"

Die deutschen Handballer sind ohne Niederlage ins WM-Achtelfinale eingezogen. "Jetzt kommen die Jungs auch ins Halbfinale" glaubt Andreas Thiel. Mit dem ehemaligen Nationaltorhüter sprach Gert auf der Heide.

 Heute und damals: Andreas Thiel als Torwarttrainer der Bayer-Frauen...

Heute und damals: Andreas Thiel als Torwarttrainer der Bayer-Frauen...

Foto: dpa

Haben Sie eine so starke deutsche Mannschaft erwartet?
Andreas Thiel: Nein. Aber es war auch nicht ganz auszuschließen. Gegen Polen muss man nicht gewinnen, kann man aber. Dasselbe gilt für Russland. Was mich überrascht hat, war der Punkt gegen Dänemark. Seit diesem Spiel gehe ich davon aus, dass die Jungs um die Medaillen spielen. Die kommen ins Halbfinale.

Kann diese recht junge Mannschaft mit dem Druck der K.o.-Spiele umgehen?
Thiel: Die wissen ja noch gar nicht, dass sie eigentlich Angst haben müssten. Womöglich ist diese Unbekümmertheit sogar ein Vorteil.

Hinter den sechs Feldspielern, die eigentlich immer beginnen, kommt vergleichsweise wenig. Kann sich das in der Endphase des Turniers noch rächen?
Thiel: Möglich, aber ganz so dramatisch sehe ich das nicht. Hendrik Pekeler ist am Kreis eine sehr gute Alternative zu Patrick Wiencek, auch Michael Kraus könnte noch eine Rolle spielen und Martin Strobel in der Rückraummitte entlasten. Mimi hat einen explosiven Wurf, den haben nicht viele, auch weltweit nicht. Den würde ich noch nicht abschreiben.

Sind Strobel und Steffen Weinhold vielleicht die größten Überraschungen im Team?
Thiel: Strobel hat immer schon einen gescheiten Handball gespielt, aber als erster Mann in der Rückraumitte blüht er auf. Beinahe noch beeindruckender finde ich, was Weinhold macht, der ja eigentlich zu klein ist, um richtige Rückraumtore zu erzielen, aber trotzdem immer weiter trifft.

Ab wann könnte man von einem Erfolg sprechen?
Thiel: Wenn du ins Viertelfinale kommst und Siebter wirst, kriegst du einen Platz in den Olympia-Qualifikationsturnieren. Das wäre schon mal gut. Aber nochmal: In einem Viertelfinale sähe ich auch gegen Katar gute Chancen.

Was hat die Mannschaft richtig gemacht in den bisherigen Spielen?
Thiel: Die decken gut. Und eine gute Abwehr bedeutet immer, dass es im Mannschaftsgefüge stimmt. Gut verteidigen heißt, die Nahtstellen zumachen. Da müssen sich immer zwei gleichzeitig wehtun, man muss sich helfen. Und vorne wurde bislang im gebundenen Spiel wirklich Handball gespielt. Wir haben ja nicht den Shooter. Ein Weinhold muss immer nah an die Abwehr, der macht kein Tor aus zehn Metern, der trifft aus achteinhalb. Bei Paul Drux auf der anderen Halbposition ist das ähnlich.

Ist Drux ein Mann, wie er häufiger ausgebildet werden müsste? Mit 19 ist er ja schon ziemlich breit und kann sich durchsetzen.
Thiel: Der Junge ist richtig, richtig gut. Ich habe ihn letztes Jahr beim Final Four in Hamburg gesehen und war von zwei Dingen beeindruckt: Er kann außergewöhnlich gut verteidigen, also antizipieren und nicht prügeln. Und vorne macht er kaum Fehler, nimmt die richtigen Würfe. Da muss sich der VfL Gummersbach mal fragen, weshalb sie den nach Berlin haben ziehen lassen. Körperlich ist Drux aber nicht mehr die Ausnahme. So sehen heute viele junge Spieler aus, wenn sie denn die Gene mitbringen. Bei mir hätten auch vier Jahre im Internat an meinem leptosomen Körper nichts geändert.

Was sagen Sie zu Ihren Nachfolgern im Tor?
Thiel: Carsten Lichtlein spielt bislang ein beeindruckendes Turnier. Ich mag den, der hat das wirklich verdient nach so vielen Jahren im Schatten der anderen.

Dämpft es Ihre Freude ein wenig, dass Deutschland nur über eine Wildcard zur WM gekommen ist?
Thiel: Man vergisst gerne, dass auch die Isländer dank einer Wildcard dabei sind. Die deutschen Medien sollten deshalb nicht nur in den eigenen Hof kacken. Außerdem: Seit Talant Dujshebaev in Spanien und Bogdan Wenta in Deutschland eingebürgert wurden, habe ich mich von dem Gedanken des lupenreinen Wettbewerbs sowieso verabschiedet. Und wenn ich Katar sehe, da spielt eine Jugoslawien-Auswahl mit vier Quoten-Kataris. Denken wir doch mal zurück: Als die dänischen Fußballer 1992 als Nachrücker zur EM durften und praktisch in Badelatschen den Titel geholt haben, wurden sie doch überall gefeiert. Das alles zusammen genommen - dann kann ich auch Wildcards vergeben. Unsere Handballer sind jetzt dabei, fertig.

Zur Person

Andreas Thiel (54) spielte zwölf Jahre für den VfL Gummersbach und absolvierte 257 Länderspiele. Nebenher beendete der "Hexer" ein Jurastudium. Heute betreibt Thiel eine Kanzlei und arbeitet zudem als Justiziar der Handball-Bundesliga.

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