Rasentennis Liebe auf den zweiten Blick

LONDON · Andrea Petkovic kann sich noch ziemlich gut an ihr erstes Rendezvous mit Wimbledon erinnern. An eine Begegnung, die eigentlich gar nichts mit Wimbledon zu tun hatte.

 Fast zehn Jahre hat Andrea Petkovic gebraucht, um gerne nach Wimbledon zu kommen.

Fast zehn Jahre hat Andrea Petkovic gebraucht, um gerne nach Wimbledon zu kommen.

Foto: AFP

2007 war es, Petkovic stand mit ihren 19 Jahren gerade erst am Beginn ihrer Laufbahn, und sie war verbannt auf die knüppelharten, staubtrockenen, holprigen Qualifikationsplätze in Roehampton. Die haben mit den sattgrünen Rasenfeldern und der ehrwürdigen Atmosphäre des All England Clubs etwa so viel zu tun wie Himmel und Hölle. "Es war das nackte Grauen", sagt Petkovic, "ich habe kaum einen Ball vernünftig getroffen. Und dachte nur: Was mache ich hier eigentlich?" Gleich in der ersten Bewerbungsrunde schied sie sang- und klanglos gegen die Japanerin Erika Takao aus, es sei ein "prägendes, definierendes Erlebnis" gewesen: "Rasentennis und ich - das ging dann gar nicht mehr."

Viele böse Niederlagen, viele niederschmetternde Frustmomente und viele schwere Rückschläge hat Petkovic sammeln müssen im Grand-Slam-Heiligtum, bevor sie jetzt im reifen Profialter von 27 Jahren "ihren Frieden mit Wimbledon gemacht hat": "Es hat ordentlich Zeit gebraucht, um den ewigen Frust wegzustecken - und auch die Wut, die ich auf dieses Turnier hatte", sagt die Darmstädterin, die nach einem 6:3, 6:1 gegen die Kolumbianerin Mariana Duque-Marino erst zum dritten Mal in der Wimbledon-Runde der letzten 32 steht.

Noch 2011 wollte sie nach einer fatalen Drittrunden-Niederlage gegen die Russin Ksenia Pervak am liebsten "alles hinschmeißen", lief über die Wimbledon-Anlage, als stünde gerade der Weltuntergang bevor, verkündete, dass sie "am liebsten nie wiederkommen" wolle.

Doch solche Flausen hat die Weltranglisten-14. längst nicht mehr im Kopf, sie weiß, dass nichts gegen erfolgreiches Petkovic-Tennis auch auf Rasen und in Wimbledon spricht. Und sie hat auch die "verfluchte Blockade" im Kopf gelöst, sie macht ganz einfach routiniert und abgeklärt ihren Job auch an der Londoner Church Road.

Fast zehn Jahre brauchte Petkovic so, um mit Wimbledon "warm zu werden", es "irgendwie auch zu genießen" und späte Zuneigung zu finden. Eine "laaaangsame Romanze" sei das, hatte sie vor einem Jahr gesagt, "Liebe auf den ersten Blick sieht sicher anders aus." Passt auch noch heute, findet Petkovic, "mein Turnier Nummer eins wird es nie werden, muss es aber auch nicht." Geholfen, die unguten Wimbledon-Gefühle zu beseitigen, hatte durchaus auch Petkovics früherer Coach Eric van Harpen.

Der joviale Holländer hatte mehr Offensivschwung und Variationen in das Spiel der Südhessin gebracht, die besonders auf den Grüns in London SW19 davon profitierte. Hinzu kam ein Lerneffekt bei Petkovic: "Ich merkte mit der Erfahrung der ganzen Jahre, dass ich viele Matches und Turniere vor Wim-bledon brauche, um in den Rhythmus zu kommen."

Wimbledon, diesen einmaligen und unverwechselbaren Tennis-Schauplatz, mochte Petkovic durchaus immer: die Pflege uralter Traditionen, die Haltung, "sich nicht dem totalen Kommerz auszuliefern". Nur versäuerten ihr die sportlichen Auftritte viel zu oft, fast immer, den Aufenthalt auf der Grün-Fläche, etwas bekümmert schaute sie da zu ihren höchst erfolgreichen Freundinnen und Wimbledon-Liebhaberinnen Angelique Kerber oder Sabine Lisicki herüber.

Aber noch ist das letzte Wörtchen in Sachen Wimbledon und Petkovic nicht gesprochen, in diesem Jahr winkt tatsächlich der erste, heiß ersehnte Vormarsch ins Achtelfinale - wenn die 27-Jährige am heutigen Freitag gegen die Kasachin Zarina Dijas gewinnt. "Inzwischen", sagt Petkovic, "schließe ich in Wimbledon gar nichts mehr aus." Inzwischen, das heißt: im neuen Wimbledon Petkovics.

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