Wimbeldon Die Königin findet ihre Meisterin

LONDON · Angelique Kerber legt beim Sieg über Maria Scharapowa einen Gala-Auftritt hin. Auch Sabine Lisicki ist in Wimbeldon weiter und steht im Viertelfinale.

Immer lauter und immer schriller wurden die Schreie von Maria Scharapowa, als das epische Tennis-Duell auf dem Centre Court Wimbledons seinem dramatischen Ende zustrebte. Mit aller Kraft und Leidenschaft wehrte sich die hohe Turnierfavoritin gegen den Knockout an jener Stätte, an der sie vor zehn Jahren als Teenagerin ein sensationelles Siegesmärchen in die Geschichtsbücher geschrieben hatte. Doch an diesem 1. Juli 2014 fand die Frau für die gewissen Grand Slam-Momente selbst eine Meisterin - keine andere als die überragende Kämpferin Angelique Kerber. Deutschlands Nummer eins gewann das bisher beste Turnierspiel in der Damenkonkurrenz nach 157 aufwühlenden Minuten mit 7:6 (7:4), 4:6 und 6:4 und sicherte sich mit diesem famosen Coup das Viertelfinal-Ticket gegen Kanadas aufstrebenden Star Eugenie Bouchard. "Es ist unglaublich, dass ich Maria hier geschlagen habe", sagte die tüchtige Kielerin hinterher, "ich habe immer meine Konzentration behalten, immer an den Sieg geglaubt."

Was sie vor allem auszeichnete an diesem strahlenden Nachmittag, zeigte sie selbst beim Abgang von der heiligen Wimbledon-Wiese, da tippte sich Kerber drei, vier Mal auf das Herz - Symbol für ihren unermüdlichen Fight, für die beinahe unglaubliche Moral und Standfestigkeit, die sie in diesem Weltklasse-Showdown bewies.

Als hätte das verrückte Nervenspiel Kerbers mit dem sage und schreibe siebten verwandelten Matchball nicht schon ausgereicht, sorgte auch Sabine Lisicki bei ihrem 6:3, 3:6, 6:4-Erfolg über die Kasachin Jaroslawa Schwedowa für aufwühlende Spannungsmomente, aber auch für Sorgenfalten bei ihren Fans. Wegen Rückenbeschwerden musste Lisicki im Schluss-Akt des Dreiteilers auf Court 3 mehrfach behandelt werden und hoffte später selbst auf ein "kleines Wunder", um rechtzeitig für das Spiel heute gegen die Weltranglisten-Dritte Simona Halep fit zu werden. "Ich werde alles tun, um auf den Platz zu gehen", sagte Lisicki, die sich ins Viertelfinale rumpelte wie am Abend zuvor die deutschen Fußballer gegen Algerien. Gewännen Lisicki und Kerber ihre Matches, wäre zweierlei klar: Ein deutsches Halbfinalduell und, wie im Vorjahr, eine deutsche Finalistin beim wichtigsten Turnier des Wanderzirkus.

Wo Lisicki holperte und stolperte, verdiente sich Kerber für ihren Galaauftritt auf dem Centre Court die Note Eins mit Ausrufezeichen. "Das war ein Gänsehauterlebnis, ein Match zum Verrücktwerden auf der Tribüne, aber auch zum Verlieben", sagte Kerbers Trainer Benjamin Ebrahimzadeh, den es wie 15 000 Fans bei vielen der Ballwechsel regelrecht von den Sitzen riss. Von der ersten bis zur letzten Sekunde drückte Kerbers Körpersprache den Willen, den Vorsatz aus, Tennis-Königin Scharapowa zu bezwingen - und dafür ans körperliche und mentale Limit zu gehen. Nichts konnte die 26-Jährige in ihrem Sturm, Drang und Elan erschüttern, unbeirrbar stellte sie sich der mächtigen Herausforderung gegen Scharapowa, die nach ihrem Pariser Grand-Slam-Triumph auch hier als die eigentlich stärkste Anwärterin auf den Höchstpreis gehandelt wurde. "Wie sie das durchgezogen hat, war einfach nur klasse", sagte Fed- Cup-Chefin Barbara Rittner.

Und das galt verschärft und mit Extralob für den Thriller, der sich im dritten und letzten Satz entfaltete. Schon bei einer 5:2 und 40:30-Führung hatte Kerber den ersten Matchball bei Scharapowas Aufschlag, doch die Russin zeigte in diesem Moment und danach, warum sie eine Championspielerin ist: Unter Druck wächst die bestverdienende Sportlerin des Planeten noch immer über sich hinaus, und so wehrte sie nicht nur diesen Siegpunkt Kerbers ab, sondern später bei 4:5 noch einmal fünf weitere Matchbälle. Fast immer mit Schlägen, die punktgenau saßen und auf die Linie klatschten.

Doch Kerber spielte an diesem Tag auch auf einem Niveau, das man zuletzt selten von ihr gesehen hatte. Und sie blieb fast unnatürlich kühl, machte einfach weiter, immer weiter. Bis sie dann beim siebten Matchball doch die vielleicht größte Turnierüberraschung auf das Tennisgrün gezaubert hatte, den Sturz der eisernen Maria. "Ich habe mich nur noch auf mich konzentriert, alles ausgeblendet. Und versucht, den nächsten Punkt zu machen", sagte Kerber, die in der Terminhatz dieses Wimbledon-Turniers nicht die geringste Zeit hatte, diesen Triumph zu genießen. Schon heute wartet nun die 20-jährige Bouchard, die in Paris zuletzt im Halbfinale gestanden hatte: "Eine verdammt schwere Aufgabe" werde das, sagte Kerber, "aber ich bin bereit".

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