Bonner Radprofi Christian Knees Auf der Straße nach Rio

BONN · 16 Grad, ein paar Wolken, die Straßen trocken und wenig los auf der im Sommer überfüllten Ferieninsel. Mallorca ist in diesen Tagen noch fest in spanischer Hand.

 Sieht gute Chancen, sich über das Zeitfahren für Olympia zu qualifizieren: Der Bonner Christian Knees.

Sieht gute Chancen, sich über das Zeitfahren für Olympia zu qualifizieren: Der Bonner Christian Knees.

Foto: dpa

Das milde Klima, die Ruhe und das überschaubare Verkehrsaufkommen im Tramuntana-Gebirge - dort, wo sonst Reisebusse halsbrecherisch über schmale Serpentinen 1000 Höhenmeter überwinden - bieten ideale Voraussetzungen für die Kletterer auf zwei Rädern. Das britische Team Sky um Olympiasieger Bradley Wiggins, Chris Froome, Tour-Sieger von 2013, und den Bonner Christian Knees bereitet sich hier traditionell auf die Rennsaison vor.

Der 33-jährige Knees, der seit 2011 im schwarz-blauen Sky-Trikot fährt, hat gerade seinen Vertrag um ein Jahr verlängert. Der Abschied von Zuhause - die Hälfte des Jahres sitzt er bei Rennen rund um den Globus im Sattel - fiel ihm diesmal noch etwas schwerer als sonst. Im November wurde er Vater einer Tochter. "Es ist nicht einfach, die Familie zurückzulassen. Man ist in diesen Tagen oft mit den Gedanken daheim. Ich habe größten Respekt vor der Leistung meiner Frau, die ja praktisch allein mit dem Nachwuchs klarkommen muss", so der Radprofi.

Nach der zehntägigen Vorbereitung auf der Insel geht's kurz nach Hause, bevor Ende Januar die Rennsaison losgeht, auch auf Mallorca. Die Mallorca-Challenge umfasst vier Eintages-Rennen in Serie, der Aufgalopp für ein strapaziöses Jahr mit Klassikern wie Mailand - San Remo, Paris - Roubaix, der Flandern-Rundfahrt oder den Höhepunkten Giro d'Italia, Tour de France und Spanien-Rundfahrt. Die Kilometer, die andere im Jahr mit dem Auto zurücklegen, spult der 1,94 m große Knees - ob bei Hitze auf Flachetappen oder Schneeregen im Gebirge - mit dem körpereigenen Antrieb herunter.

"Leidensfähig sein", nennt der Bonner, der einst beim VfL Rheinbach mit dem Radsport begann, als eine herausragende Eigenschaft. "Du gehst an Grenzen, du musst Schmerzen ignorieren können. Aber ich mache es ja gerne. Niemand muss mir in den Hintern treten, damit ich aufs Rad steige." Und gut bezahlt wird's auch noch.

Im britischen Team gilt der lange Bonner als "Mister Zuverlässig" - man schätzt seine Erfahrung und seine strategische Kompetenz. Seine Aufgaben? "Das tun, was der Mannschaft hilft. Führungsarbeit leisten, Ausreißer einfangen, die Spitzenfahrer aus dem Wind halten. Ich bin als Road-Kapitän der verlängerte Arm der sportlichen Leitung und kann Entscheidungen ohne Rücksprache mit den Teamchefs treffen." Sieben Mal, zuletzt 2012, ist Knees bislang die Tour de France - das berühmteste Radrennen der Welt - gefahren. Auch ihn hat dieser Mythos schon in Kindheitstagen gepackt. "Da will man als junger Radrennfahrer irgendwann hin. Aber nur vergleichsweise wenige schaffen es. Wenn man irgendwo eingeladen ist und die Leute erfahren, dass man Radrennfahrer ist, kommt als erstes die Frage: Na, auch schon mal die Tour gefahren? Wenn man dann antwortet: Ja, ein paar Mal, dann kann man zuschauen, wie die Kinnladen fallen."

2013, beim Sieg seines Teamkollegen Chris Froome zum 100-jährigen Tour-Jubiläum und im Vorjahr, als der Italiener Vincenzo Nibali in den Radsport-Olymp aufstieg, fehlte Knees. Die Sky-Mannschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, in einem Fünfjahreszeitraum zum weltbesten Radteam aufzusteigen, ist so hochkarätig besetzt, dass sie auch zwei Teams auf die "große Schleife" schicken könnte. Knees: "Es ist extrem schwer, in diesem Team einen Tour-Platz zu ergattern. Aber ich will auf jeden Fall noch einmal nach Paris."

Vielleicht sogar irgendwann in einem deutschen Rennstall. Mit Giant-Alpecin gibt es erstmals seit fünf Jahren wieder ein Team, das mit deutscher Lizenz fährt und mit Marcel Kittel und John Degenkolb zwei in den letzten Jahren außergewöhnlich erfolgreiche Fahrer in seinen Reihen hat. Mit Bora-Argon, im Vorjahr als NetApp-Endura unterwegs, erhielt ein zweiter deutscher Rennstall per Wildcard eine Tour-Startgenehmigung. "Ich fühle mich bei Sky sehr wohl, aber ich würde mich auch darüber freuen, wenn es noch einmal mit einem deutschen Team klappen würde", sagt Knees.

Wie viele andere, spürt auch er die Aufbruchstimmung, die in Radsport-Deutschland um sich greift. Die Erfolge der letzten Jahre, aber auch die klaren Positionen, die die jungen Protagonisten wie Degenkolb, Kittel oder André Greipel gegen Doping beziehen, haben den Radsport - vorerst - aus der Schmuddelecke geführt. Die ARD beendet nach drei Jahren ihre Sendepause und steigt wieder in die Live-Berichterstattung von der Tour ein. "Der Radsport besitzt mittlerweile eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Doping", nirgendwo wird mehr kontrolliert", sagt Knees, der in Jugendzeiten die großen Skandale um Festina und Marco Pantani erlebte. "Das hat mich sensibilisiert.Vielleicht hatte ich auch das Glück, dass mich niemand in den Sumpf hineingezogen hat."

Mit 33 ist er inzwischen im besten Radprofi-Alter, ein paar Jahre will er dranhängen, und ein großes Ziel hat er noch auf seinem Karriere-Wunschzettel: Olympia. Rio 2016 - diesen Traum will er sich erfüllen. Wie, das weiß er genau. "Es werden fünf Fahrer für das olympische Straßenrennen und zwei für das Zeitfahren nominiert. Tony Martin ist die unbestrittene Nummer eins im Zeitfahren, ich sehe mich als Nummer zwei. Da kommt ansonsten kaum noch einer in Frage", sagt Knees, der seine Qualitäten im Kampf gegen die Uhr schon unter Beweis gestellt hat. Bei der Junioren-WM 1999 gewann er Bronze im Einzelzeitfahren.

Bis Olympia in Rio sind es noch eineinhalb Jahre, dazwischen liegen Zehntausende von Trainings- und Rennkilometern und jede Menge körperlicher Qualen. Einen Tag, an dem er seine Rennmaschine verflucht oder am liebsten gegen die Wand geworfen hätte, hat es aber noch nie gegeben. "Radfahren ist mein Leben. Für mich gibt's kein genialeres Fortbewegungsmittel."

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