Russisches Staatsdoping Olympia-Teilnahme fraglich

Toronto · Das IOC will die „härtest möglichen Sanktionen“ gegen den russischen Sport. Zu schockierend sind die Erkenntnisse der WADA-Ermittler über jahrelanges Staatsdoping. Kurz vor den Olympischen Spielen in Rio ist aber noch unklar, wie die Strafen ausfallen könnten.

Droht Russlands Sportlern nach dem Doping-Beben das Olympia-Aus? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) will nach dem Bericht der Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA über staatlich gesteuertes Doping im russischen Leistungssport schnell entscheiden - und kündigt bereits die „härtest möglichen Sanktionen“ an.

„Die Ergebnisse des Berichts zeigen einen schockierenden und beispiellosen Angriff auf die Integrität des Sports und die Olympischen Spiele“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach am Montag. Daher wird das IOC nicht zögern, die härtest möglichen Sanktionen gegen jede beteiligte Person oder Organisation zu ergreifen.“ Wie die genau aussehen ist unklar. Bei den Leichtathleten verhängten die Sportverbände die Höchststrafe: die russischen Sportler dürfen nicht nach Rio.

Die Vorwürfe sind erdrückend: Manipulierte Dopingproben, erschwindelte Medaillen und konspirative Hilfe durch den Geheimdienst. Russland hat nach Ansicht der WADA-Ermittler jahrelang Doping im Spitzensport staatlich geschützt und gefördert. Zwischen 2012 und 2015 seien 643 positive Doping-Proben russischer Athleten in rund 30 Sportarten verschwunden - und sind damit negativ geworden.

Die Ermittlungen hätten zudem gravierende Beweise für die Verwicklung staatlicher Stellen in den Sportbetrug erbracht, sagte WADA-Chefermittler Richard McLaren am Montag in Toronto. Betroffen seien neben den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 auch die Leichtathletik-WM 2013 in Moskau und die Schwimm-WM 2015 in Kasan.

Das russische Sportministerium habe die Manipulationen „geleitet, kontrolliert und überwacht“, sagte McLaren. Auch der russische Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum der russischen Top-Athleten, CSP, seien an den Betrügereien aktiv beteiligt gewesen. Das Doping-Beben bringt das IOC drei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele arg in Bedrängnis.

Bereits am Dienstag werde die IOC-Exekutive zu einer Telefonkonferenz einberufen und vorläufige Maßnahmen und Sanktionen im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Rio besprechen. Bislang hat Bach einen kompletten Ausschluss Russlands von Olympia abgelehnt. Vor dem Bericht hatte Bach - selbst Fecht-Olympiasieger von 1976 - betont, das IOC müsse die Balance zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit finden. „Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhalten anderer bestraft werden.“

Empfehlungen der WADA-Ermittler für Sanktionen gegen russische Sportler und Verbände gab McLaren nicht. Sein Job sei es gewesen, Fakten zu sammeln und zusammenzustellen, nicht aber Empfehlungen zu geben. Die WADA empfiehlt dem IOC den Komplettausschluss zu prüfen, zudem sollten russischen Regierungsvertretern der Zugang zu Wettkämpfen untersagt werden.

Die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur NADA fordert weiter den Komplettausschluss russischer Athleten. „Der McLaren-Report lässt nur einen Schluss zu: Die NADA fordert das Internationale Olympische Komitee auf, dafür zu sorgen, dass russische Sportlerinnen und Sportler nicht zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro zugelassen werden“, sagte NADA-Chefin Andrea Gotzmann.

Der Deutsche Olympische Sportbund schließt eine komplette Sperre für Russland nicht aus. „Das Ausmaß der nun bestätigten Vorwürfe ist schockierend“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Da es sich offenbar um staatlich gelenkte, systematische Vertuschung von Doping und um Betrug handelt, müssen zweifelsohne entsprechende Sanktionen verhängt werden bis hin zum möglichen Ausschluss weiterer Sportarten oder sogar des gesamten russischen NOKs.“

McLaren und sein Team hatten für ihren Bericht tausende Daten und Dokumente ausgewertet, auch gelöschte Dateien seien wiederhergestellt worden. Zudem seien Interviews mit Zeugen geführt worden, auch mit Grigori Rodschenkow, dem ehemalige Chef des russischen Doping-Kontrolllabors. Er gilt als Kronzeuge und hatte die Untersuchung der WADA erst ins Rollen gebracht.

Rodschenkow, der sich inzwischen in die USA abgesetzt hat, habe sich als glaubwürdiger Zeuge erwiesen, sagte McLaren. Der Russe hatte behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingproben russischer Athleten zusammen mit der Anti-Doping-Agentur Rusada sowie dem Geheimdienst auf Anordnung des Staates vertuscht habe. 15 der russischen Medaillengewinner in Sotschi seien gedopt gewesen.

Der Vorsitzende des Sportausschusses im russischen Parlament, Dmitri Swischtschjow, forderte Haft für Rodschenkow. „Internationale Organisationen glauben Verleumdern und Schurken wie Rodschenkow, der erklärt hat, selbst (Doping-)Proben ausgetauscht zu haben“, sagte Swischtschjow, der Agentur Tass. „Er sollte festgenommen und an unsere Justiz ausgeliefert werden.“ Die WADA liefere keine Beweise.

Russische Leichtathleten erwarten in dieser Woche eine Sportgerichts-Entscheidung über ihre Teilnahme an den Sommerspielen. „Wir hoffen, dass dieser Bericht nicht die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs beeinflusst“, sagte der Chef des Leichathletikverbandes WFLA, Dmitri Schljachtin, der Agentur R-Sport.

Formell müssten die internationalen Sportverbände in jeder Sportart eine Entscheidung treffen. In der Leichtathletik hat der Weltverband IAAF bereits die russischen Athleten von Olympia ausgeschlossen. Eine mögliche Variante könnte sich auch aus dem Vorgehen bei den Gewichthebern ergeben. Die zahlreichen Dopingfälle dort haben zu ersten Konsequenzen durch den Weltverband IWF geführt.

Nach der Veröffentlichung des Reports hat die Welt-Anti-Doping-Agentur sieben Empfehlungen für den Umgang mit den Ergebnissen formuliert.

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