Triumph des Tüftlers Thomas Röhler ist der Filigrantechniker unter den Speerwerfern

Berlin · Europameister Thomas Röhler gilt als Perfektionist und Filigrantechniker bei den Weltklassespeerwerfern. GA- Sportchef Berthold Mertes stellt den Ausnahmeathleten vor.

Wenn der Speer von Europameister Thomas Röhler dort landen würde, wo er hinzielt, dann gäbe es regelmäßig Tote bei Leichtathletikveranstaltungen. Der Punkt, den er am Donnerstagabend bei seinem EM-Triumph anvisierte, war ein Zuschauer im weißen Shirt auf der gegenüberliegenden Seite des Olympiastadions. Die Zieltechnik ist das Erfolgsrezept des Olympiasiegers aus Jena, des Perfektionisten in puncto Technik im Team der erfolgsverwöhnten deutschen Speerwerfer.

Glücklicherweise für den Mann in Weiß auf den Zuschauerrängen fliegen die Speere von heute nicht mehr so weit wie jene der 1970er und 1980er Jahre. Aus Sicherheitsgründen wurde der Schwerpunkt der Fluggeräte so verlagert, dass sie schneller absinken, nachdem der Potsdamer Uwe Hohn beim Olympischen Tag im Ost-Berliner Jahnstadion den „ewigen Weltrekord“ von 104,80 Meter aufgestellt hatte. Weiter als die Länge eines Fußballfeldes, das schien zu gefährlich. Seit 1996 sind die 98,48 Meter des Tschechen Jan Zelezny mit dem "neuen Speer" unübertroffen.

„Ich suche mir einen markanten Punkt aus im Stadion, um den optimalen Abflugwinkel einzustellen und einzuhalten“, erläuterte Röhler in einem ZDF-Beitrag kurz vor der EM seine Methode: „Damit der Speer in eine perfekte Flugbahn gelenkt wird.“ Ausgetüftelt hat Röhler das mit seinem langjährigen Trainer Harro Schwuchow. Beim Einwerfen sucht er seine Zielscheibe – bestmöglich angepasst an die herrschenden Windbedingungen.

Röhler gilt als Filigrantechniker unter den deutschen Speerwerfern. Der 1,91 Meter-Mann, der mit seinen 82 Kilogramm Körpergewicht eher wie ein Mittelstreckenläufer daherkommt, ist unter allen Weltklassewerfern der mit besonders viel Gefühl für den Speer. Und mit höchstem Sachverstand. Sein Tüftler-Gen ist begehrt; im Auftrag eines renommierten Speerherstellers arbeitet der Jenaer an der Entwicklung des Sportgeräts mit.

Hinzu kommt die fortwährende Diskussion mit den Disziplinkollegen, die ihre Erkenntnisse jederzeit freundschaftlich austauschen. Tatsächlich jederzeit.. Das ging in Berlin sogar so weit, dass sich der zweitplatzierte Andreas Hofmann vor dem letzten Durchgang noch Tipps vom Führenden geben ließ. „Besser macht uns“, glaubt Röhler, „dass wir uns untereinander austauschen, vor dem sechsten Versuch nochmal darüber reden, wie die Teile fliegen – und nicht blind drauflos werfen.“ Der 26-Jährige findet: „Wir machen das immer im Training, wir machen das immer im Wettkampf - warum hätten wir in Berlin damit aufhören sollen? Im Endeffekt waren wir ja hier, um einen deutschen Speerwurfsieg zu erzielen." Sie seien „Konkurrenten im Wettkampf, aber Freunde außerhalb“, sagte Hofmann. Er blieb mit 87,60 Meter Zweiter hinter Röhler (89,74).

Für den Europameister war der Tag nach dem Triumph „komplett fremdbestimmt“. Als am Nachmittag von der ARD im Olympiastadion seine Expertenmeinung zum Speerwurf von Siebenkämpferin Carolin Schäfer gefragt war, sagte er: „Ich lebe sozusagen im Shuttle.“ Gerne eilte der Thüringer von einem Medientermin zum nächsten. „Weil wir alle wissen, wie wichtig diese EM für den jeden deutschen Athleten und auch für die gesamte Leichtathletik ist.“ Als „Flaggfigur der Sportart“ sehe er sich in der Pflicht.

Es ist kein Wunder, dass Röhler, der seit Januar 2018 in der Athletenkommission des Weltverbandes IAAF Verantwortung übernommen hat, höchst erleichtert wirkte. Zumal für ihn als Olympiasieger eine EM-Saison den Charakter eines Zwischenjahres hat: „Deshalb haben wir einen Spagat gewagt und Dinge probiert, die wir in Richtung Olympia 2020 tun wollen.“ Am Bewegungsablauf gebastelt, mehr Zuglänge in die Würfe gebracht, mehr Krafttraining in die Saison gezogen. „Kurzum: E

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