Matchball verwandelt, Medaille in Reichweite Deutschland erreicht das Halbfinale der Handball-WM

Köln · Deutschland hat Kroatien 22:21 geschlagen und zieht ins WM-Halbfinale ein. Es war ein Krimi bis zum Schluss. Gegen Spanien geht es jetzt noch um Platz eins in der Gruppe.

Die deutschen Handballer haben den Matchball verwandelt. Durch den 22:21 (11:11)-Erfolg gegen Kroatien gestern Abend in Köln hat sich die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop für das WM-Halbfinale am Freitag in Hamburg qualifiziert. Vorzeitig. Im letzten Hauptrundenspiel am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) gegen Spanien geht es jetzt noch um Platz eins in der Gruppe.

„Einfach geil“, meinte Fabian Wiede, der „Man oft he match“. „Das war ein hart umkämpftes Spiel. Wir sind sehr happy, dass wir im Halbfinale sind", sagte Kai Häfner.

Das Hauptziel ist damit erreicht – Deutschland spielt um eine Medaille. Das nächste Ziel: das Finale am Sonntag im dänischen Herning. Aber egal, wie es weitergeht, diese WM ist schon jetzt ein Erfolg. Wirtschaftlich bestanden daran ohnehin keine Zweifel, sportlich sehr wohl. Nach dem enttäuschenden Abschneiden bei der EM 2018 in Kroatien war das Halbfinale eine mutige Zielsetzung.

Das 26:29 gegen Brasilien am Tag zuvor hatte die kleine große Sport-Nation Kroatien kalt erwischt. Es passt nicht zum Selbstverständnis des 4,2-Millionen-Völkchens, das Vize-Weltmeister im Fußball, Olympiasieger im Handball, Weltcup-Gewinner im Skifahren (Kostelic) und einen Wimbledon-Triumphator im Tennis (Ivanisevic) hervorbrachte, gegen das Handball-Schwellenland Brasilien zu verlieren. „Das hatten wir nicht erwartet“, sagte Kapitän Domagoj Duvnjak vom THW Kiel nach der ersten Turnierniederlage.

Ein weiterer Rückschlag traf die Kroaten am Montagmorgen. Spielmacher Luka Cindric vom polnischen Meister Kielce hatte sich gegen Brasilien so ernsthaft verletzt, dass er für den Rest der WM ausfällt. Bundestrainer Christian Prokop konnte diesmal hingegen wieder auf Steffen Weinhold zurückgreifen. Der Linkshänder aus dem rechten Rückraum musste seit dem Ende der Vorrunde wegen einer Adduktorenzerrung pausieren. Allerdings begann Fabian Wiede auf Halbrechts.

Dass die Kroaten Nehmerqualitäten haben, bewiesen sie gleich zu Beginn. Offensiv deckten sie gegen Spielmacher Martin Strobel, störten dadurch das deutsche Spiel nachhaltig und gingen mit 2:0 in Führung. Wie so oft hievte sich das DHB-Team über Abwehraktionen ins Spiel. Ein Block von Patrick Wiencek (5.), ein wenig mit den Armen Richtung Publikum gefuchtelt – das wirkte wie Riechsalz. Als Andreas Wolff in der 8. Minute einen Siebenmeter von Zlatko Horvat hielt, kochte die Halle. Hendrik Pekeler erzielte das 3:3.

Das Spiel hätte sich womöglich eingependelt, wenn Strobel nicht nach neun Minuten unglücklich bei einem Zweikampf gestürzt wäre. Minutenlang wurde der Regisseur behandelt, ehe ihn Sanitäter aus der Halle trugen. Anschließend wurde Strobel ins Krankenhaus gefahren. Verdacht auf Kreuzbandriss, WM beendet.

Die Zuschauer verharrten dennoch trotzig im Feiermodus, in den sie die „Höhner“ eine Stunde vor Spielbeginn versetzt hatten. Kurz riss die kölsche Kapelle „Wenn nicht jetzt, wann dann“, ihren WM-Song von 2007, an, dann präsentierte sie ihren neuen WM-Schlager, in dem es irgendwie darum geht, die Welt anzuhalten, um Geschichte zu schreiben. Das könnte jetzt tatsächlich in Herning passieren.

Meistens übernahm Fabian Wiede nun den Job in der Rückraummitte. Das Angriffsspiel wurde etwas zwingender. Nach 25 Minuten erzielte Wiencek das 10:8 – die erste Zwei-Tore-Führung. Allerdings gelang es keiner Mannschaft, mal über mehrere Minuten strukturiert zu agieren. Technische Fehler (Steffen Fäth, Patrick Groetzki), freie Würfe vergeben (Uwe Gensheimer, Groetzki), Deutschland zweimal in doppelter Unterzahl: Wild-West-Handball im Westen Deutschlands. Kroatien zog mit 11:10 in Front, ehe Wiede vor der Halbzeit zumindest noch den Ausgleich erzielte.

Nach der Pause die Frage: Wie lange reicht bei Kroatien, das die Pleite gegen Brasilien tags zuvor in Kopf und Knochen hatte, die Kraft? Die deutsche Mannschaft konnte sich schließlich einen Tag länger erholen. Antwort: lange. Prokop nutzte längst die Breite des Kaders, hatte Matthias Musche, Kai Häfner, Jannik Kohlbacher und Fabian Böhm gebracht. Als Wiede nach 46 Minuten die erste Drei-Tore-Führung zum 18:15 erzielte, schien das ein Statement zu sein. Doch Kroatiens Trainer Lino Cervar nahm eine Auszeit. Es half, seine Mannschaft ging mit 19:18 in Führung.

Es blieb ein Krimi, bis Uwe Gensheimer nach 59:20 Minuten von ganz links weit in den Kreis sprang, lange in der Luft blieb - und zum 22:20 traf. Die Entscheidung, auch wenn Kroatien noch einmal verkürzte und in allerletzter Sekunde einen direkten Freiwurf von hinter der Mittellinie nicht nutzen konnte. Abpfiff, Halbfinale, Spielerknäuel, „Oh, wie ist das schön“.

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