Lara hat schwer zu tragen Das G-A-Team testet Voltigieren beim Reitverein Bruchhausen

Bruchhausen · Das G-A-Team testet Sportarten in Bonn und der Region. In dieser Folge probiert GA-Redakteur Nicolas Ottersbach in schickem Gewand die Sportart Voltigieren beim Reitverein Bruchhausen.

„Du bist aber ganz schön hässlich.“ Die vierjährige Josefine ist ganz schön ehrlich. Es dauert keine fünf Minuten, da ist das erste Urteil auf dem Reitplatz des Reitvereins Bruchhausen gefällt. Gold-glitzernde Leggins und ein lilafarbener Stretch-Body kommen wohl nicht so gut an. Dabei wollte ich mir doch nur ein Vorbild am mehrfachen Voltigier-Weltmeister Kai Vorberg nehmen. Der trägt immer aufwendige Kostüme bei seinen Auftritten. Alles hauteng, so wie ein Turnanzug.

Ohnehin ähnelt Voltigieren dem Turnen doch sehr. Bevor es mit den ersten Übungen losgehen kann, machen sich die Sportler warm. Josefine rennt direkt los. Zwei, drei Runden auf dem sandigen Reitplatz. Durch die Hufe der Pferde ist er umgepflügt, ab und zu liegen kleinere Steine herum. So wird schon das Laufen zum Balanceakt. Wie soll das dann erst funktionieren, wenn sich auch noch das Pferd unter den Füßen bewegt? „Einfach nicht runterfallen“, sagt Josefine. Guter Tipp.

„Voltigierer fallen wirklich nicht vom Pferd“, versichert Marie Arnolds. Die 26-Jährige trainiert die „Voltis“ seit einigen Jahren, hat sich die Erfahrung dafür selbst angeeignet. Erst beim Spring- und Dressurreiten, dann beim Voltigieren. Ein Helm oder Schutzkleidung? „Halt dich oben fest, dann passiert nichts. Das bekommen doch selbst die Kleinsten hin.“ Leggins, Turnschläppchen und ein Sportoberteil reichten als Grundausrüstung aus.

Auf Charlotto wird trainiert

Um überhaupt ein Gefühl für Höhe und Bewegung zu kriegen, ist die erste Station der Voltigierbock. Charlotto ist knapp 1,60 Meter hoch, eine auf ein Metallgestell geschweißte Blechtonne, mit Filz umwickelt. Auf ihrem Kopf trägt sie ein Einhorn aus Alufolie. Aufgestiegen wird über ein kleines Trampolin. An den beiden Griffen auf dem Rücken von Charlotto festhalten, dreimal anspringen und dann mit aller Kraft festkrallen. Arnolds drückt noch einmal nach, dann habe ich einen festen Sitz. Vorerst.

Denn worauf es jetzt ankommt sind die Bewegungsabläufe. Als Grundfiguren gelten die Mühle – sich einmal komplett auf dem Pferd mit gestreckten Beinen drehen, freihändiges Knien, auf Händen und Knien eine Bank bilden sowie die Fahne, bei der zusätzlich ein Bein nach hinten weggestreckt wird. Die Standwaage ist ähnlich, nur dass man nicht kniet, sondern auf einem Bein steht. Bis dahin alles kein Problem. Doch dann kommt Lara.

Ihr tiefbraunes Fell glänzt fast so sehr wie die goldene Leggins. Lara ist die Alleskönnerin im Stall des Reitvereins, der noch acht andere Pferde hat. Mit ihren 22 Jahren ist die Zweibrücker Stute so erfahren wie keine andere. „Mit ihr machen wir auch unser therapeutisches Reiten, Lara ist sehr zahm“, sagt Arnolds. Therapeutisches Reiten? „Ja, ein Drittel unserer knapp 150 Mitglieder hat ein Handicap.“ Die Philosophie dahinter: Jedem das Reiten ermöglichen. Für einen Mann, der an Multipler Sklerose erkrankt ist und nicht mehr eigenständig gehen kann, gibt es sogar einen Seilzug, um ihn auf Laras Rücken zu heben. „Dadurch bleibt er tatsächlich länger beweglich, weil beim Reiten alle Muskelpartien angesprochen werden“, erklärt Arnolds. Auch der Preis spielt eine wichtige Rolle. Reitunterricht kostet 30 Euro im Monat, der Mitgliedsbeitrag liegt bei 30 Euro im Jahr. Wer das ausrechnet kommt zu dem Schluss, dass es ohne Spenden und Ehrenamtliche nicht geht. Acht Pferde leiht Vereinsvorsitzender Mike Hentschel den Sportlern aus, der Verein kümmert sich um die Pflege der Tiere. „So kann man bei uns auch mitmachen, wenn man nicht so viel Geld hat“, sagt Hentschel.

Challenge: Einfach nicht runterfallen

Irgendwie haben mir diese Sätze Mut gemacht. Jetzt will ich auf's Pferd. Lara geht an einem Seil – der Longe – im Kreis. Im Schritt springe ich dreimal an und lande erstaunlicherweise direkt auf ihrem Rücken. Auch die Übungen funktionieren gut. Zwar ist alles etwas wackelig und kostet Überwindung. Doch der Zuspruch von Marie Arnolds hilft. Und sie motiviert mich einen freihändigen Stand auszuprobieren. „Wenn du das Gleichgewicht verlierst, springe vom Pferd weg.“ Von Fallen ist keine Rede. Konzentration. Erst auf die Knie, dann auf die Füße. Bei jedem Schritt von Lara rutsche ich ein bisschen. „Lass die Hände los, drücke sie gegeneinander und richte dich auf!“ Applaus.

In diesem Moment scheint die Zeit stillzustehen. An den Fußsohlen spüre ich jede Bewegung, jedes Zucken von Lara. Trotz meiner Unsicherheit bleibt sie ruhig. Der Blick geht geradeaus, die gestreckten Arme helfen das Gleichgewicht zu halten. Die Knie sind leicht angewinkelt. Die Beine nach einer Stunde Training weich. Aber die Aufregung überspielt alles. Angst? Ein bisschen. Immer an Josefine denken: Einfach nicht runterfallen.

Und dann ist auch schon alles vorbei. Josefine ist zufrieden mit meiner Leistung. Vor allem will sie aber endlich Voltigieren. Denn während ich auf Lara herumgeturnt bin, mussten die Kinder auf Übungsbock Charlotto umsatteln. „Das ist nicht so cool.“ Josefine hat wieder Recht.

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