GA-Sportlerwahl Baldé ist Sportler des Monats März

BONN · Rennrollstuhlfahrer Alhassane Baldé ist von den Lesern des General-Anzeigers zum Sportler des Monats März 2017 gewählt worden – vor Handballer René Lönenbach und Basketballer Julian Gamble. Künftig orientiert er sich stärker in Richtung Citymarathons.

Alhassane Baldé orientiert sich gerade neu. Weltklasse auf der Kunststoffbahn ist der dreimalige Paralympics-Teilnehmer seit Jahren. Seinen deutschen Rekord über 1500 Meter hat er erst kürzlich in Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten verbessert. Eine Medaille über diese Distanz bei der Leichtathletik-WM der Behinderten im Juli ist sein Saisonziel.

Doch der Rennrollstuhlfahrer der SSF Bonn ist ein Mann, der neue Herausforderungen liebt. „Ich will auf jeden Fall noch näher an die Weltspitze heran“, sagt er mit Blick auf die Paralympischen Spiele 2020 in Tokio. Aber da ist noch ein Ziel, das den 31-Jährigen immer mehr reizt: „Ich werde in Zukunft häufiger bei großen Citymarathons antreten.“ London und Seoul stehen im April binnen sieben Tagen auf seinem Wettkampfplan.

So gesehen kommt die Auszeichnung als GA-Sportler des Monats März 2017 für den Paralympics-Sechsten von Rio de Janeiro just in einem Moment, da er zu neuen Ufern aufbricht. 35 Prozent der Leser dieser Zeitung haben ihn drei Jahre nach seinem ersten Monatssieg zum zweiten Mal an Position eins der regionalen Sportler-Charts gewählt – knapp vor Handballer René Lönenbach von der HSG Rheinbach/Wormersdorf (33) und Basketball-Profi Julian Gamble (15). „Das ist cool. Sehr cool“, sagte Baldé, als er von seinem Erfolg erfuhr. Insgesamt 1494 gültige Stimmen wurden registriert.

Noch ein paar Tage, dann muss er seine sieben Sachen packen. „Rennrollstuhl, Räder, Ersatzräder, normaler Alltagsrollstuhl und Werkzeug – da kommen schnell 30 Kilogramm zusammen“, zählt Baldé auf, was er zunächst zum Marathon nach London mitnimmt. Nach dem dortigen Rennen am 23. April muss die ganze Chose unbeschadet nach Seoul gebracht werden. In Südkoreas Metropole startet der Bonner nur sechs Tage später erneut über die klassische 42,195-Kilometer-Distanz. „Als Rennrolli ist das möglich, weil die orthopädische Belastung nicht so extrem ist wie bei Marathonläufern“, erklärt Baldé.

Eine umso größere Rolle spielt das Material. Es muss im besten Zustand sein, damit er konkurrenzfähig an den Start gehen kann. „Alles muss sehr sorgfältig eingepackt werden“, sagt der Weltreisende in Sachen Rennrollstuhlfahren. Im Lauf der Zeit hat er seine „Erfahrungen gemacht, was gut funktioniert und was nicht“. Und Routine für die Verpackung der wertvollen Technik entwickelt.

„Es kam öfter vor, dass der Rennrollstuhl verzogen und verbogen irgendwo ankam“, erzählt Baldé. Seine Lösung: „Deswegen transportiere ich ihn inzwischen immer in einer Kiste.“ Klingt ähnlich anspruchsvoll wie die Aufgabe, ein Springpferd heil vom Rodderberg nach Rio zu bringen. Oder Rennfahrzeuge für ihre Einsätze quer durch die Welt zu fliegen.

Für den Bonner Ausnahmekönner in der Formel 1 des Behindertensports geht es nun also in die englische Hauptstadt. London ist ein Magnet für die weltbesten Läufer und Rollis. „Sportlich gibt es nichts attraktiveres. Außerdem sind die Marathonrennen generell lukrativ, weil es bei ihnen inzwischen auch für uns ordentliche Preisgelder zu gewinnen gibt“, erläutert Baldé.

Die Rennrollstuhlwettbewerbe sind in die World-Marathon-Majors-Serie aufgenommen worden, zu der neben London die Veranstaltungen in Tokio, Boston, Berlin, Chicago und New York zählen. Immerhin erhält der Gesamtsieger im Rollstuhl 50 000 Dollar, somit ein Zehntel des Preisgeldes für den besten Läufer. Jeder Einzelsieg eines Rollis ist mit zwischen 10 000 und 20 000 Dollar dotiert. Als Folge steigt die Leistungsdichte: Das Gros der Rennen wird erst im Endspurt entschieden.

„Mein Ziel sind vorerst Top-Ten-Platzierungen, damit ich zu den weiteren Majors-Rennen eingeladen werde“, sagt Baldé. Noch ist er ein Stück von den Besten entfernt. Doch er hofft, die Lücke nach und nach zu schließen.

Dabei setzt der Bonner weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Marcel Hug. Der Schweizer ist ebenso 31 Jahre alt wie der Deutsche, beide verstehen sich blendend und trainieren im Jahresverlauf mehrere Wochen gemeinsam – meist an Hugs Wohnort in der Nähe von Luzern. „Er ist aktuell der Weltbeste im Rennrollstuhl“, sagt Baldé über seinen Freund, den Dominator auf allen Strecken von 800 Metern bis Marathon. Und: „Ich profitiere sehr von ihm.“ Baldés Können wiederum bringt die SSF-Trainingsgruppe nach vorne, der sich auch die frühere Rollstuhlbasketball-Nationalspielerin Annika Zeyen angeschlossen hat.

Obwohl es für den Angestellten der Bundesagentur für Arbeit „schlicht ein Traum wäre, mich als Profi auf die Spiele 2020 in Tokio vorzubereiten“: An die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt irgendwann allein mit seiner Rennleidenschaft bestreiten zu können, glaubt Baldé nicht. Trotz der fortschreitenden Professionalisierung in seinem Sport. Und trotz seiner Neuorientierung.

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