Profis in der Warteschleife Letzte Ausfahrt Duisburg

DUISBURG · Im VDV-Sommercamp rennen Fußballprofis ohne Job für einen neuen Vertrag. Ein Plan B fehlt den meisten. Ihre Handys sind niemals aus. Zumindest nicht in diesen ungewissen Zeiten. Ständige Erreichbarkeit ist für Andrew Sinkala (33) und Alassane Ouedraogo (31) so unerlässlich wie Schnee für eine zünftige Schlittenpartie. Sie warten auf einen Anruf, auf den entscheidenden.

 Wohin führt der Weg? Christian Rahn (Nr. 10, bei einem VDV-Testspiel) hat in Regensburg angeheuert. Und der Rest? Repro: GA

Wohin führt der Weg? Christian Rahn (Nr. 10, bei einem VDV-Testspiel) hat in Regensburg angeheuert. Und der Rest? Repro: GA

Und tatsächlich, das Mobilteil bimmelt. Ouedraogo nimmt das Gespräch an, flüchtet aus dem Raum, kommt wieder. Er strahlt. "Da waren die Bayern dran", sagt der frühere Nationalspieler Burkina Fasos, "aber ich habe ihnen abgesagt. Sie wollten mir einen Dreijahresvertrag geben, ich wollte aber nur für ein Jahr unterschreiben."

Seinen Humor hat Ouedraogo nicht verloren. Was verwundert, denn die Zeiten sind trist. Ouedraogo und Sinkala sind Fußballer, Profis in der Warteschleife. Sie suchen Arbeit. Die beiden Afrikaner, früher in Diensten des 1. FC Köln, sind durchs Rost gefallen. Sie gehören zu einer Gruppe Spieler, die in diesem Sommer ihren Job verloren haben. Kein Verein wollte sie. Zu alt, die falsche Position.

Doch abfinden wollen sie sich nicht mit ihrer Arbeitslosigkeit. In der Sportschule Wedau, unter der Obhut der VDV, der Vereinigung für Vertragsfußballer, trainieren sie einen Sommer lang. Täglich. Knapp 30 Übriggebliebene sind es in diesem Jahr. Über Testspiele wollen sie sich empfehlen, zurück ins Rampenlicht oder zumindest raus aus der Untätigkeit. Aufhören ist für sie keine Alternative.

Die meisten können es sich schlicht nicht leisten. Natürlich gibt es Unterschiede. Ein Spieler wie Christian Rahn etwa, sagt VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky, habe finanziell eine "Komfortzone". "Ich habe Rücklagen", sagt auch Rahn. Das unterscheidet ihn von einer Vielzahl von Kollegen. Rund ein Viertel aller Profis sind nach ihrer Karriere überschuldet, schätzt Baranowsky. Darunter große Namen. Nur etwa zehn Prozent hätten ausgesorgt.

Der gebürtige Hamburger Rahn, ein gelernter Automobilkaufmann, ist der erste deutsche Ex-Nationalspieler, der das Angebot der VDV in Anspruch genommen hat. Fünf Länderspiele hat der Mann für die linke Bahn gemacht, damals unter Rudi Völler. Nun ist sein Vertrag bei Bundesliga-Aufsteiger Greuther Fürth nicht verlängert worden. Die Situation ist neu für ihn. "Ich habe nie gedacht, dass ich mal ohne Job dastehe."

So ist er im Sommercamp der VDV gelandet, einer Art Assessment-Center für Fußballer. "Solch eine Situation ist unbefriedigend", sagt Rahn, "man hofft natürlich, nie hierher zu müssen." Lange hat seine Camp-Karriere nicht gedauert, gerade mal drei Wochen. Zwei Tage vor dem Saisonstart am vergangenen Wochenende ist er bei Zweitliga-Aufsteiger Jahn Regensburg untergekommen.

Ein Glücksfall für ihn. So kann er mit seiner Frau Nicole und TochterAlicia im nahen Nürnberg wohnen bleiben. Gut, finanzielle Abstriche habe er zwar machen müssen. Aber das Gefühl, wieder benötigt zu werden, ist zurück. "Die Erleichterung ist groß", sagt Rahn. Raus aus dem Camp, rein in den Verein, so sollte es bestenfalls sein.

Doch die Erinnerungen an die quälende Zeit ohne Job bleiben. Rahn beklagt den "Jugendwahn" der Vereine. Der 33-Jährige war in Duisburg das Aushängeschild einer Gruppe ältere Spieler, jenseits der 30, die sich fit genug fühlen für eine neue Aufgabe. Aber keinen Job bekommen. Die Vereine sparen.

Und dann gibt es die Spieler, die den U-23-Mannschaften der großen Vereine entwachsen sind und plötzlich auf der Straße stehen. Viele ohne Ausbildung. Die Zukunftsaussichten sind mau. Frank Günzel kennt das Problem. Er will helfen. Nicht mit Streicheleinheiten, sondern mit harten Fakten. "Laufbahnberater" nennt sich Günzel, der zunächst von den Spielern im Camp ein Profil erstellt.

Dann wird Tacheles geredet. Das Problem der Kicker ist immer das gleiche. Falsche Freunde, windige Berater, ehrgeizige Eltern, Schulterklopfer. Das führt zu einem Mangel an Realitätsbewusstsein. Eine Ausbildung? Wozu? "Einige von ihnen haben nicht mal einen Hauptschulabschluss", sagt Baranowsky. Plan B? Fehlt.

Rund 50 Prozent aller Profifußballer gehören der VDV an. Zu wenig, findet Christian Rahn, der Ex-Camper. Schließlich habe er in Duisburg "professionelle Bedingungen" vorgefunden. Nach Wochen des Alleine-im-Wald-Laufens hat er sich hier die nötige Fitness geholt für die neue Aufgabe in Regensburg. Aus diesem Grund hat auch Alassane Ouedraogo, zuletzt bei Fortuna Köln unter Vertrag, Kumpel Andrew Sinkala (zuletzt Augsburg) für das Camp begeistert. Dort herrschten bessere Bedingungen als in vielen seiner bisherigen Vereine, sagt Ouedraogo. Laktattests, Medizinchecks, Leistungsdiagnostik. Das hat seinen Preis. Auf 100.000 Euro belaufen sich die Kosten für das Camp.

Der Tagesablauf der Camp-Kicker unterscheidet sich kaum von jenen der Profis in Festanstellung. Zwei Mal am Tag steht Training auf dem Programm, gelegentlich ein Testspiel. Zapfenstreich ist um elf. Alkohol und Glücksspiele sind untersagt, beinahe wie bei Pennälern im Landschulheim. Selbst die Playstation im Aufenthaltsraum des 15-stöckigen Wohnturms wurde abgeschafft. Zu viel Ablenkung. "Wir", betont Baranowsky, "legen Wert auf Disziplin. Keiner soll das Sommercamp mit Wasserskifahren verwechseln."

Die Sorge ist unbegründet. Nur wenige Testpartien bleiben den Profis, um sich zu zeigen. Bezeichnungen wie der "FC Arbeitslos", wie eine Zeitung fröhlich spöttelte, kommen nicht gut an bei den Kickern um Camp-Coach Ralf "Katze" Zumdick, zuletzt im Iran tätig, und Torwarttrainer Georg Koch. In den dunkelblauen Trikots der VDV laufen sie als Team auf, dabei kämpft jeder für sich. Die Stimmung, sagt Baranowsky, sei dennoch gut. Zumindest am Anfang. "Wenn das Trainingscamp dem Ende zugeht, kann es schon mal umschlagen."

Bis zum 21. September rennen die Profis in Duisburg um einen neuen Vertrag. 80 Prozent, meint Baranowsky, kommen irgendwo unter. Und der Rest? "Wir raten ihnen zu einer Ausbildung oder einem Fernstudium", sagt Baranowsky. Davon ist Andrew Sinkala ein ganzes Stück entfernt. Manchmal gehe es sehr schnell mit einem neuen Verein, das habe er schon erlebt. So wie bei Christian Rahn, der in Regensburg gleich wieder Zweitligaluft schnuppern darf. Erstes Spiel, erster Einsatz. Und das gleich über 90 Minuten gegen 1860 München in der Allianz-Arena. Mehr als 45 000 Zuschauer, Derbystimmung. "Das hatte was", sagt Rahn trotz des 0:1.

Rahn ist zurück in der Zukunft. Für ihn sei das VDV-Camp das Sprungbrett gewesen. "Ich habe es nie als Strafe, sondern als Chance angesehen." So wie Andrew Sinkala. "Ich mache mir keine Sorgen, die Vereine spielen auf Zeit." Er hofft auf einen Club in Deutschland. Womöglich heißt es aber für ihn: letzte Ausfahrt Ausland. Sinkala wartet. Ein Anruf genügt. Sein Handy ist niemals aus.

VDV-Sommercamp

1987 gegründet, richtet die Vereinigung für Vertragsfußballer (VDV) seit 2003 das Sommercamp in der Sportschule Wedau aus. Die Spielergewerkschaft unterstützt rund 1300 Profis in Deutschland. Für die Aufnahme ins Camp ist die Dauer der VDV-Mitgliedschaft sowie die frühere Spielklasse der Fußballer ausschlaggebend.

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