Im Zeitraffer: Dramatischer Jahresabschluss für Löws Team

Hannover · Diese Woche im Ausnahmezustand wird keiner im Kreise der Fußball-Nationalmannschaft jemals vergessen. Gleich zwei Schockereignisse erleben die Weltmeister in Paris und Hannover.

 Die deutschen Fußball-Nationalspieler sind wieder zu Hause. Foto: Philipp von Ditfurth

Die deutschen Fußball-Nationalspieler sind wieder zu Hause. Foto: Philipp von Ditfurth

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Zum Jahresabschluss wollten sich die deutschen Weltmeister auf das EM-Jahr 2016 einstimmen. Die Vorfreude auf die Länderspiel-Klassiker gegen Frankreich und die Niederlande war groß, als Bundestrainer Joachim Löw mit seinem Team am Montag vergangener Woche in München zusammenkam. Niemand ahnte, welche dramatischen Tage vor Spielern, Trainern und Betreuern liegen würden.

MONTAG, 9. November: Mit Werbeaufnahmen für die EM 2016 startet das Team um Kapitän Schweinsteiger in die finale Länderspielwoche 2015. Selbst die pausierenden Mesut Özil und Toni Kroos sind dafür nach München angereist. Am Abend kommt die Nachricht vom Rücktritt des DFB-Präsidenten. Bundestrainer Joachim Löw äußert sich darüber "sehr betroffen" vor dem Teamhotel: "Wolfgang (Niersbach) war ein fantastischer Mensch und ein fantastischer Präsident für uns."

DIENSTAG, 10. November: Teammanager Oliver Bierhoff wünscht sich bei der ersten Pressekonferenz der Woche "beherzte Auftritte" gegen den EM-Gastgeber Frankreich und den Erzrivalen Holland. Löw verzichtet aufs Training. Die von Englischen Wochen geschlauchten Spieler sollen Kraft tanken. Keiner ahnt, wofür sie diese am Ende brauchen werden.

MITTWOCH, 11. November: An einem traumhaften Herbsttag trainieren die 24 Akteure im Aufgebot erstmals auf der Anlage des FC Bayern. "Wir wollen Spaß haben und die Atmosphäre aufsaugen", sagt Thomas Müller am Tag vor der Abreise des DFB-Teams zum EM-Probelauf in Paris.

DONNERSTAG, 12. November: Nach der Ankunft in Frankreich äußert sich Löw vor der internationalen Presse voller Vorfreude auf die anstehenden zwei Partien: "Frankreich, Holland - das sind zwei große Namen im Weltfußball." Er will "testen", "sehen" und "probieren" für die EM. Am Abend trainiert das Team im riesigen Stade de France.

FREITAG, 13. November: Schreck in der Morgenstunde: Die Mannschaft muss wegen einer Bombendrohung das Hotel räumen, vertreibt sich die Zeit danach auf der Tennisanlage von Roland Garros. Spürhunde finden in der Luxusherberge im Stadtteil Boulogne nichts - Entwarnung. Um 21.00 Uhr erfolgt der Anpfiff im Stade de France. Mit zwei Donnerschlägen, die sich als Explosionen herausstellen, beginnt die dramatische Nacht. "Wir sind alle erschüttert und schockiert", sagt Bundestrainer Löw kurz nach dem 0:2 gegen die Équipe tricolore.

SAMSTAG, 14. November: Bis zum frühen Morgen harren Spieler, Trainer, Betreuer im Kabinentrakt aus. An Schlaf ist nicht zu denken angesichts der Bilder des Grauens aus Paris, der Nachrichten von mehr als 100 Toten. Im Morgengrauen geht es mit Polizeieskorte und Blaulicht aus Saint-Denis zum Flughafen Charles de Gaulle. Ursprünglich sollte das Team erst am Sonntag von Paris nach Hannover fliegen. Jetzt geht es mit einer Sondermaschine nach Frankfurt/Main. Löw schickt die übernächtigten und fertigen Spieler nach der Landung heim. Sie sollen "erstmal durchatmen und bei ihren Liebsten sein können", begründet Bierhoff.

SONNTAG, 15. November: Die Spieler und auch Löw sind unter dem Eindruck der Erlebnisse von Paris spontan gegen eine Austragung des Holland-Spiels. "Am Morgen danach hatte ich das Gefühl, dass das Spiel nicht stattfinden kann und soll", wird Löw einen Tag später sagen. In einer Telefonkonferenz mit der DFB-Spitze verständigt sich die Sportliche Leitung dann doch darauf, gegen die Niederländer anzutreten. "Es darf nicht sein, dass der Terror siegt", betont DFB-Interimschef Rainer Koch.

MONTAG, 16. November: Noch 18 Spieler kommen mittags in der Sportschule Barsinghausen zusammen. Löw und Bierhoff treten vor die Medien. Der Bundestrainer ist emotional, will nichts zu sportlichen Dingen sagen. Der 55-Jährige äußert sich erstmals über die "schreckliche, entsetzliche und für uns alle schockierende Nacht" in Paris. Vom Spiel in Hannover soll "eine klare Botschaft" ausgehen, sagt Löw. Es sei "ein klares Symbol für Freiheit und Demokratie". Um 18.00 Uhr trainiert die Mannschaft in Barsinghausen, es regnet. Das Quartier ist abgeriegelt, schwer bewaffnete Polizisten sichern ab.

DIENSTAG, 17. November: Die gewohnten Spieltagsabläufe sollen im Quartier einen Hauch von Normalität schaffen. Die Spieler wissen, dass das Länderspiel "extrem schwierig sein wird", wie Ilkay Gündogan berichtet. In einem DFB-Video bekennt der Dortmunder die Ängste der Spieler, die Bedenken, "weil wir letztendlich keine Maschinen sind, sondern auch Menschen mit Gefühlen". Als Profis setzen sie sich am Abend trotzdem in den Bus, der sie zum Stadion bringen soll.

Kurz davor wird dieser von der Polizei gestoppt. Das Stadion wird bedroht, das Spiel ist abgesagt. Die Mannschaft wird "an einen sicheren Ort gebracht", wie der Medienchef twittert. Der Bus kehrt mit Löw und anderen Teammitgliedern später nach Barsinghausen zurück. Die Rückreise der Spieler wird organisiert, läuft sofort an. "Dass unsere Mannschaft innerhalb von vier Tagen zweimal so ein tragisches Erlebnis miterleben muss, war in meiner Vorstellungskraft nicht möglich", sagte DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball bei einer Pressekonferenz im niedersächsischen Innenministerium.

MITTWOCH, 18. November: "Alle Spieler sind - größtenteils bereits gestern Abend - abgereist und wohlbehalten zu Hause angekommen", teilt das DFB-Team am Morgen mit. Im Vereinsalltag werden Müller und Co. die extremste Woche mit der Nationalmannschaft verarbeiten und überwinden müssen. Das nächste Länderspiel ist weit weg, es findet am 26. März in Berlin gegen England statt. Was bis dahin sein wird, weiß keiner. Aktuell gilt das vorläufige Schlusswort von Delegationsleiter Rauball: "Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in allen Facetten eine andere Wendung genommen hat."

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