Interview mit früherem Reporter Marcel Reif: "Der Fußball verabschiedet sich von den Fans"

BONN · Sportkommentator Marcel Reif spricht im GA-Interview über die Bundesliga, die ausufernde Kommerzialisierung und den 1. FC Köln.

Er war Deutschlands bekanntester Fernseh-Reporter und polarisierte wie kaum ein anderer. Die einen hassten Marcel Reif und seine Art der Kommentierung, die anderen liebten ihn. Nach seinem Abschied vom Reporterplatz hat er in einem Buch über seine Beziehung zum Fußball geschrieben. Der 68-Jährige befürchtet, dass der Sport sich von den Fans verabschiedet. Mit Reif sprach GA-Mitarbeiter Thomas Lipke.

Herr Reif, in Ihrem Buch "Nachspielzeit - ein Leben mit dem Fußball" beschreiben Sie, wie viel Ihnen der Fußball bedeutet. Mit welchem Gefühl blicken Sie derzeit auf die Bundesliga?

Marcel Reif: Mit gemischten Gefühlen. Der Fußball selbst ist nicht unbedingt schlechter geworden, allerdings muss man sich drumherum einiges schönreden. Denn hinter dem FC Bayern kommt erstmal lange Zeit gar nichts mehr.

19 Punkte Vorsprung - und der Rest der Liga spielt im Mittelmaß oder gegen den Abstieg. Das kann der Liga doch nicht gut tun.

Reif: Natürlich nicht. Obgleich sich an dem Muster, "Jeder kann Jeden schlagen - außer die Bayern" eigentlich nichts geändert hat. Nur dass die Bayern inzwischen auch qualitätsmäßig nicht mehr in diese Liga gehören. Denn der Rest spielt überwiegend Mittelmaß. Es besteht eine gewisse Beliebigkeit, und es ist natürlich immer schlecht, wenn du ein Gesetz hast, das nicht mehr für alle gilt. Und für den Rekordmeister gelten offensichtlich andere Gesetze.

Bedeutet dies also, dass ein Abschied der Bayern aus der Liga gar kein unrealistischer Gedanke ist?

Reif: Das Problem ist, dass die Liga und der FC Bayern andere Ziele haben. Dem einen geht es um die Champions League, den anderen um Platz zwei. Aber dieses Phänomen ist nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in anderen Ligen zu beobachten: In Spanien sind es zweieinhalb Topclubs, in Italien zwei, in Frankreich einer. Nur in England sind es fünf oder sechs.

Also würde eine Super Liga mehr Sinn machen als eine Nations League?

Reif: Wissen Sie, ich habe immer gesagt, wenn die jede Woche aufeinandertreffen, ist es irgendwann auch nicht mehr interessant. Doch auf mittlere Sicht scheint dieses Konstrukt unabwendbar. Ob das wirklich auch sinnvoll ist, weiß ich nicht. Aber es macht ja auch nicht wirklich Sinn, wenn die anderen Vereine eine B-Elf nach München schicken, weil sie wissen dass sie sowieso keine Chance haben werden und die Punkte woanders holen müssen.

Sie sind ein großer Kritiker des Fußballkommerz' und äußerten auch über die Vergabe der TV-Rechte ihren Unmut. Nun haben wir die Bayern auf der einen, die Montagsspiele auf der anderen Seite, welche die Attraktivität für den Fan auch nicht gerade steigern. In Dortmund blieben 27.000 Menschen der Partie gegen Augsburg fern und in Frankfurt flogen Tennisbälle auf den Rasen. Bewegt der Fußball sich immer weiter von den Fans weg?

Reif: Meiner Meinung nach wurde um die fünf Montagsspiele ein viel zu großer Bohei gemacht, genauso wie um den Halbzeitauftritt von Helene Fischer beim Pokalendspiel. Da finden Stellvertreterkämpfe statt. Wenn das die schlimmsten Auswüchse sind, haben wir es gut getroffen.

Aber es gibt eine Entfremdung, oder finden Sie nicht?

Reif: Der Fan merkt, dass der Fußball, so wie er sich jetzt weiterentwickelt, nicht mehr der Fußball ist, der er mal war. Das lässt sich aber auch nicht mehr zurückdrehen. Dafür hängt ein zu großer Rattenschwanz dran. Die Medien zahlen einen zu großen Betrag. Den möchten sie natürlich auch wieder einfahren. Die echten Fans merken, dass der Fußball sie eigentlich nicht mehr braucht. Vielleicht würde sich das Ganze wieder etwas normalisieren, wenn die Spitzenclubs tatsächlich nicht mehr in der Liga mitspielen würden. Denn dann brauchen wir auch keine Montagsspiele mehr.

Reif über 50+1 und den FC

Ein weiteres heikles Thema bei den Fans ist die 50+1 Regel.

Reif: Auch hier finden Machtkämpfe statt. Wenn du dagegen bist, nimm' 1860 München. Ein Verein der von einem Scheich in den sportlichen Ruin getrieben wurde. Doch auf der anderen Seite hast du Paris St. Germain. Ein Verein, den das Geld aus Katar zu einem Aspirant auf den Champions-League-Titel machen soll. Du musst das als Verein und Liga nicht mitmachen wollen, dann darf man sich aber auch nicht beschweren, wenn abgesehen vom FC Bayern München die Bundesliga in Europa bald keine Rolle mehr spielen wird. Ein Wort zu Hannover: Es kann nicht sein, dass die Ultras auf einmal die Vorherrschaft in einem Verein für sich beanspruchen. Das ist unverhältnismäßig.

In der Spitze dürfen derzeit sechs Vereine auf der europäischen Fußballbühne spielen. Würden Sie sagen, dass der 1.FC Köln ein Opfer des Zirkus ist? Auch der SC Freiburg stieg nach seiner Europa-League Teilnahme ab.

Reif: Das ist der Preis des Erfolgs. Der Fluch der guten Tat. Natürlich ist es immer schwer, diese hohe Belastung zu kompensieren. Auch Leipzig und Hoffenheim hatten ihre Probleme. Letztendlich möchtest du dich aber auch belohnen, sonst musst darauf verzichten. Das liegt aber nicht an der Struktur des Systems, das ist eher menschlich. Wenn die Bayern dagegen mittwochs nicht antreten müssten, hätten sie Entzugserscheinungen.

Für Köln scheint der Klassenerhalt inzwischen unmöglich. Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass dieses Kunststück noch gelingt?

Reif: Der FC gestaltet das tragisch heroisch. Immer wenn man denkt, jetzt ist es vorbei, kommt ein gutes Spiel, das die Hoffnungen wieder weckt.

Als Sie 2016 den Kommentatorenplatz bei Sky räumten, dachte man, dass sie nicht mehr zurückkehren würden. Nun kommentieren Sie bald doch wieder. Nämlich die Topspiele der Champions League auf dem Schweizer Sender Teleclub. Wie kam es dazu?

Reif: Man hat mich gefragt und gesagt, dass es wirklich nur die Topspiele plus das Finale seien. Noch mehr, dass ich mir die Spiele aussuchen könne. Da muss ich gestehen, dass ich nicht Nein sagen konnte. Aber es werden auch wirklich nur zehn oder elf Partien sein.

Marcel Reif und Günther Jauch kommentieren den "Torfall von Madrid"

Daneben arbeiten Sie auch als Experte für Sport1. Gibt es für Sie kein Leben ohne Fußball?

Reif: Der Fußball macht mir nach wie vor Spaß. Warum sollte ich das, was mich das ganze Leben über begleitet hat, plötzlich nicht mehr wollen? Ich bin des Fußballs nicht überdrüssig.

An welchem Punkt sehen Sie die Bundesliga in fünf Jahren?

Reif: Auf dem Wege der Trennung von den Bayern, die 50+1 Regel ist aufgehoben. Die Fankultur wird sich weiter verschoben haben und der Fußball wird immer mehr ein Event sein, vergleichbar mit den Sportereignissen in den USA. Dennoch wird der Fußball prima sein, und die 15-Minuten-Pause besteht auch noch.

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