Champions League Leverkusen zeigt sich bedingt abwehrbereit

Leverkusen · Bayer Leverkusen erfährt beim 2:4 gegen Atlético Madrid, dass Sturm und Drang allein nicht reicht. Dem Team fehlt vor allem eines: Konstanz.

 Erstaunlich: Chicharito wundert sich hier allerdings nicht über die Qualität des Gegners, sondern über eine Rettungstat nach seinem Schuss.

Erstaunlich: Chicharito wundert sich hier allerdings nicht über die Qualität des Gegners, sondern über eine Rettungstat nach seinem Schuss.

Foto: AFP

Roger Schmidt hatte sich entschieden, das Gute aus diesem janusköpfigen Spiel herauszumeißeln. Also sagte Bayer Leverkusens Trainer nach dem 2:4 (0:2) gegen Atlético Madrid: „Wie die Mannschaft nach dem 0:2 noch einmal zurückgekommen ist, hat gezeigt, wie viel Leben und Mut in ihr steckt.“ Andererseits zeigte diese Champions-League-Partie aber auch, wie Naivität den Bayer-Talentschuppen immer wieder ausbremst.

Zeitweise sah das am Dienstag so aus, als kickten da ein paar begabte Studenten samstags auf der Wiese. Stürmisch, ungebändigt und ohne lästige Gedanken an die Defensive rannten sie auf den gegnerischen Strafraum zu, um sich dann jedes Mal wieder zu wundern: Oh, ein Gegentor. Für Augsburg und Frankfurt reicht das im Moment. Nicht aber für Atlético Madrid, den Champions-League-Finalisten von 2014 und '16. Bayer reist nun in drei Wochen mit geringen Hoffnungen zum Rückspiel, auch wenn das so natürlich niemand sagen wollte. „Wir werden das Beste geben, was wir haben“, versprach Stürmer Karim Bellarabi. Das wird kaum genug sein, um zum ersten Mal seit 2002 wieder ins Viertelfinale einzuziehen.

Im Grunde verdichtete sich in den 90 Minuten gegen die Spanier die gesamte Leverkusener Saison und womöglich auch die gesamte Zeit unter dem Trainer Schmidt. Gute Phasen, schlechte Phasen; begeisternde Aktionen, unerklärliche Fehler; jedem Auf folgt ein Ab. Bayer hat eigentlich alles – nur keine Konstanz. Auch nach zweieinhalb Jahren ist es Schmidt noch nicht gelungen, seine junge Mannschaft ins Erwachsenenalter zu führen.

„In der ersten Halbzeit waren wir sehr naiv“, räumte Julian Brandt ein. Der 20-Jährige steht mit Talenten wie Kai Havertz (17) oder Benjamin Henrichs (19) für eine vielversprechende Leverkusener Zukunft. Die Gegenwart hat jedoch schmerzhafte Lehrstunden parat, wie am Dienstag vor allem der hochgepriesene Abiturient Havertz erfahren musste, der 56 Minuten lang im Angriffszentrum kaum einen Ball behauptete, ehe er ausgewechselt wurde.

Bayer setzt konsequent auf die Jugend und brachte gegen Atlético eine Mannschaft auf den Rasen, die im Durchschnitt gut 24 Jahre alt war. Dass die Madrilenen im Schnitt drei Jahre älter waren, wirkte sich aus. Die Werkself hätte ein Korsett, eine Handreichung gebraucht, um dieser geballten Routine zu begegnen. Aber Schmidt lässt seine Rasselbande immer „mit offenem Visier“ spielen. Der Trainer hält diese Ausrichtung für alternativlos. Und manchmal klingt es so, als sei das Juvenile Selbstzweck. „Wir gehen diesen Weg mit jungen Spielern aus voller Überzeugung“, sagte Schmidt. Dass seine Mannschaft zu jung sein könnte, glaubt er nicht: „In der Gruppenphase haben wir uns ja mit denselben Leuten gegen Tottenham und Monaco behauptet.“

Atlético machte allerdings sehr schnell deutlich, dass Bayer in einem Champions-League-Achtelfinale an der Grenze seines natürlichen Lebensraums angekommen ist. Mit entschlossenen Kontern, vorgetragen von fünf, sechs Mann, wurden die Gastgeber immer wieder überrollt. In diesen Situationen wirkten sie nicht, als hätte sie jemand auf solche Attacken vorbereitet. Bayer war allenfalls bedingt abwehrbereit.

Ehe Karim Bellarabi das 0:2 durch Saul Niguez (17.) und Antoine Griezmann (25.) verkürzte (48.), hätten die Leverkusener längst höher zurückliegen müssen. Spannend wurde es erst, als Stefan Savic nach dem 1:3 durch Kevin Gameiro (59., Foulelfmeter) ein Eigentor unterlief (68.). Danach wackelte Madrid wirklich, Bayer drängte, das Publikum wachte auf, Filipe Luis klärte einen Schuss von Chicharito auf der Linie (81.). „In dieser Phase hätte das Spiel sogar noch einmal klippen können“, meinte Schmidt.

Es wäre die absurde Wende in einem eigentlich einseitigen Spiel gewesen. Augenwischerei. Vortäuschung falscher Tatsachen. Was auch immer. Und vielleicht war es ganz hilfreich, dass Fernando Torres' Treffer (86.) die Bayer-Gemeinde aus ihren Tagträumen riss. Die Realität heißt: Bundesliga, Platz acht, Champions League derzeit außer Sichtweite.

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