Kolumne zur Fußball-Bundesliga Der 3. Bundesliga-Spieltag stand im Zeichen der Freiheit

Bonn · Die Schiedsrichter haben mehr Zeit zur Regelauslegung – dank des Videobeweises. Überhaupt stand der dritte Spieltag der Fußball-Bundesliga im Zeichen zusätzlicher Freiheiten. Unsere Liga-Kolumne hat wieder Spektakuläres, Kurioses und Anekdoten dabei.

 Dafür ist der Videobeweis da: Das böse Foul an Marcel Schmelzer wurde zurecht mit der Roten Karte bedacht.

Dafür ist der Videobeweis da: Das böse Foul an Marcel Schmelzer wurde zurecht mit der Roten Karte bedacht.

Foto: AFP

Die Gesten der Ratlosigkeit, mit denen Jannik Vestergaard die Gladbacher Niederlage gegen Frankfurt untermalte, waren von beeindruckender Vielfalt. Zu Beginn der kleinen Fragerunde schwieg Borussias dänischer Defensivhüne zwar erst mal zehn Sekunden, dafür offenbarte er parallel dazu ein großes mimisches Repertoire – von tief zerfurchter Stirn über rollende Augen bis hin zur hervorschnellenden Zunge. Irgendwann sprach Vestergaard dann auch, schob dabei seine blonde Mähne zur Seite, rieb sich intensiv den Hals. Und richtig in Fahrt kam er, als es um Robert Kampka ging.

Der Schiedsrichter aus Mainz, im Hauptberuf Stabsarzt bei der Bundeswehr, nahm sich am Wochenende die Freiheit, Gladbachern und Frankfurtern eine fast achtminütige Nachspielzeit zu injizieren. Als Mittel gegen akute Fallsucht auf der Schlussgeraden von Fußballspielen, zur Ausrottung der schwer in Mode gekommenen Gattung ‚Sterbender Schwan‘.

Die Bundesligatrainer hätten diese Unsitte intern oft moniert, berichtete Niko Kovac. Kampkas Acht-Minuten-Zugabe fand der Eintracht-Coach, der nach dem Schlusspfiff zur Diskussion mit dem Referee schritt, dann aber doch „ziemlich viel“. Im Gegensatz zu Vestergaard, der zürnte: „In den letzten Jahren haben einige Mannschaften angefangen, viel Zeit zu schinden. Mit gefühlt zehn Verletzten pro Spiel, die zehn Sekunden nach ihrer Behandlung wieder herumspringen. Deshalb war das die richtige Entscheidung des Schiedsrichters. Ich hoffe, dass es in Zukunft viele so halten wie er.“

Positives vom Videoschiedsrichter

Positiv in Erscheinung traten nach dem heftigen Schluckauf zum Saisonstart diesmal auch die Videoschiedsrichter. Die Rote Karte gegen den Freiburger Yoric Ravet für seinen Tritt in die Wade von BVB-Mann Marcel Schmelzer kam zunächst im gelben Mäntelchen daher. Bis der Unparteiische Benjamin Cortus Rücksprache mit seinen aufmerksamen Helfern in Köln hielt und das Strafmaß gegen Ravet erhöhte.

Runter vom Platz mit Videobeweis – das Breisgau erlebte die Premiere, ein goldener Rahmen für Ravets Rot wird sich da sicher finden. „Ich habe gehört, dass man die Karte geben kann. Dafür ist der Videobeweis da“, bekundete Freiburgs Christian Günter einsichtig. Kaum hatte Cortus den Franzosen Ravet zum Duschen geschickt, applaudierte SC-Coach Christian Streich hämisch. „Ich habe nicht dem Schiedsrichter Beifall gezollt“, sagte Streich später, „sondern einem anderen.“ Und zwar Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc, mit dem er sich zuvor schon am Spielfeldrand gekäbbelt hatte. Das wollte Streich schon noch klarstellen – so viel Freiheit muss sein.

Torvorlage vom Balljungen

Sehr frei lebte 200 Kilometer nordwestlich ein 13-jähriger Balljunge seinen Job aus. Indem er das Spielgerät dem Hoffenheimer Andrej Kramaric derart blitzschnell zuwarf, dass Weltmeister Mats Hummels Hören und Sehen verging – und die Bayern-Pleite im Kraichgau Gestalt annahm. Das freute unter anderem die Leipziger, deren Freitagssieg in Hamburg sie so mit Verzögerung an den Münchnern vorbeiziehen ließ. Ganz ohne Turboeinwurf kam dabei Timo Werner bei seinem rasenden Sturmlauf vor dem entscheidenden 2:0 aus. „Ich glaube, es läuft ganz gut zur Zeit“, untertrieb Deutschlands neuer Angriffsstolz danach.

Ausgesprochen großzügig offenbarte sich in Wolfsburg Felix Uduokhai: Anstatt den Ball in heikler Lage ins Toraus hüpfen zu lassen, passte der VfL-Verteidiger lieber in Hannoversche Beine. Mit der Hacke verschaffte der Österreicher Martin Harnik dem Aufsteiger so schließlich einen Punkt – für die Frankfurter gab es für das 1:0 in Gladbach davon gleich drei. Dank Kevin-Prince Boateng, dem König der freien Interpretation.

Boatengs großes Mitgefühl

„Wir sind elf Neuzugänge mit 480 Sprachen in der Mannschaft“, beschrieb Eintrachts Neuankömmling von UD Las Palmas die jüngsten Umwälzungen im Kader der defensivstarken Hessen. Und sein erstes Bundesligator seit 1316 Tagen feierte der unkonventionelle Angreifer mit einer Botschaft in eigener Sache.

Unter seinem Trikot trug der Deutsch-Ghanaer ein T-Shirt, auf dem der Name des Ajax-Spielers Abdelhak Nouri gedruckt war – und das Boateng nach seinem Siegtreffer freilegte. Nouri hatte Anfang Juli bei einem Testspiel gegen Werder Bremen eine Herzattacke erlitten, konnte zwar reanimiert werden, trug aber bleibende Hirnschäden davon.

Weder kenne er Nouri persönlich noch dessen Familie, erwähnte Boateng. Doch das ist einem Typen wie ihm auch egal. „Das Schicksal dieses Riesentalents hat mich mitfühlen lassen“, sagte der 30-Jährige, der im Berliner Problemviertel Wedding aufgewachsen ist. Er wolle etwas zurückgeben und zeigen, dass er für den Jungen bete. Das Hemd mit Nouris Namen will Boateng die ganze Saison unter seinem Trikot tragen.

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