Leipzig-Gegner Besiktas Istanbul: Steiler Aufstieg in unruhigen Zeiten

Istanbul · Schönspielerei war einmal: Besiktas Istanbul, nächster Gegner von RB Leipzig in der Champions League, hat sich zur dominanten Mannschaft des türkischen Fußballs entwickelt. Die politische Lage des Landes geht nicht spurlos am Verein vorbei.

 Cenk Tosun (l) und Ryan Babel von Besiktas Istanbul feiern einen Treffer.

Cenk Tosun (l) und Ryan Babel von Besiktas Istanbul feiern einen Treffer.

Foto: Paulo Duarte

Besiktas Istanbul war immer für Angriffsfußball bekannt. In der Vergangenheit kämpften die "Adler", am Dienstag Gastgeber gegen RB Leipzig in der Champions League, aber mit dem Ruf, in den wichtigen Spielen regelmäßig Nerven zu zeigen.

Den Titel in der Süper Lig machten deshalb meistens die zwei Stadtrivalen Fenerbahce und Galatasaray unter sich aus. Mit der Ankunft von Senol Günes im Sommer 2015 hat sich das geändert. Unter dem ehemaligen türkischen Nationaltrainer gewann das Team zweimal in Folge die Meisterschaft und ließ international aufhorchen.

In der Europa League verpasste man im vergangenen Jahr das Halbfinale nur knapp und schied im Viertelfinale gegen Olympique Lyon erst nach Elfmeterschießen aus. Zum Auftakt der diesjährigen Königsklasse gab es einen überzeugenden 3:1-Sieg beim FC Porto. "Wir sind auf ein Team mit viel Qualität getroffen", sagte Portos Verteidiger Felipe nach der Partie.

Zeitgleich mit dem sportlichen Aufstieg des Vereins durchlebt die Türkei Turbulenzen. Terroranschläge, Putschversuch, Ausnahmezustand - all das hat das Land in den letzten gut zwei Jahren geprägt. Kurz nach dem Titelgewinn im vergangenen Jahr entschieden sich mit Torjäger Mario Gomez und dem ehemaligen Münchner Jose Sosa zwei Leistungsträger zu einem Wechsel. Gomez begründete seinen Abgang zum VfL Wolfsburg mit der "politischen Situation" des Landes, Sosa seinen Wechsel zum AC Mailand damit, dass seine Ehefrau Angst habe, weiter in Istanbul zu leben, und er sich um seine Töchter sorge.

Dass die Bedenken nicht unbegründet waren, zeigte unter anderem ein schwerer Anschlag nach einer Ligapartie im vergangenen Dezember in der Nähe des Besiktas-Stadions. 44 Menschen kamen dabei ums Leben. Eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bekannte sich zu der Bluttat, die international für Entsetzen sorgte.

Besiktas gilt vor allem im Ausland als regierungskritischer Arbeiterverein. Präsident Fikret Orman widerspricht diesem Ruf und betont: "Besiktas ist ein Sportclub, kein politischer Verein." Für viele Anhänger zählt das nicht. Die Fangruppe "Carsi" ist für ihre politisch linke Einstellung bekannt und spielte im Sommer 2013 bei den Gezi-Protesten in Istanbul eine entscheidende Rolle.

Zehn Mitglieder von "Belestepe", einer weiteren Fangruppe, wurden im August nach dem Supercup zwischen Besiktas und Konyaspor verhaftet. Sie hatten während der Partie Spruchbänder gezeigt, auf denen "Nuriye und Semih sollen leben" zu lesen war. Sie unterstützten damit zwei Akademiker, die seit Monaten aus Protest gegen ihre Entlassungen aus dem Staatsdienst per Notstandsdekret im Hungerstreik sind.

Wie schwer es für den Verein sein kann, beide Seiten unter einen Hut zu bringen, zeigte sich bei der Eröffnung des neuen Stadions im April 2016: Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und mehrere AKP-Minister wurden bei der Zeremonie hofiert, Fans mussten draußen bleiben. Die damals als "Vodafone Arena" eröffnete Spielstätte heißt inzwischen "Vodafone Park" - nach einer Verfügung Erdogans, dass Stadien den Begriff "Arena" nicht mehr in ihrem Namen tragen dürfen.

Sportlich hat Besiktas den Weggang von Gomez und Sosa gut weggesteckt. Bis auf die beiden konnte der Stamm der Mannschaft gehalten werden, der Titel wurde in der vergangenen Saison souverän verteidigt. Im Sommer stießen mit dem portugiesischen Europameister Pepe, dem chilenischen Nationalspieler Gary Medel und dem spanischen Stürmer Alvaro Negredo erfahrene Spieler dazu.

Ein Zeichen dafür, dass die politische Lage in der Türkei derzeit kein Abschreckungsgrund mehr für ausländische Stars ist. Auch Jose Sosa hat es sich anders überlegt. Er kehrte kürzlich in die Türkei zurück und spielt jetzt bei Trabzonspor.

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