DFB-Pokal-Finale Wenn nicht nur "Wölfe" heulen

BERLIN · Nach 90 Minuten heulten nicht die "Wölfe", sondern die Schwarz-Gelben - aus Frust. Jürgen Klopp schlich wie ein begossener Pudel in die Dortmunder Fankurve.

Die Abschiedsovationen der treuen Anhänger verursachten an diesem Abend keine Genugtuung in der Seele des scheidenden Kulttrainers von Borussia Dortmund. Sondern bloß Schmerz.

In der gegenüberliegenden Kurve des Stadions kannte Dieter Hecking sich selbst nicht mehr. "Ich wünschte, ich könnte meine Emotionen gelegentlich so ausleben wie der Jürgen", hatte der Wolfsburger Chefcoach vor dem Finale gesagt. Jetzt war es so weit: Hecking tobte, brüllte, ballte die Hände zu Fäusten und vollführte einen wilden Tanz inmitten seiner Cupsieger. Die obligatorische Weißbierdusche inklusive. Eine Orgie in Grün-Weiß.

Der 3:1-Triumph des VfL Wolfsburg gegen den dreimaligen Pokalgewinner wollte und musste gefeiert werden. Zunächst im mit 75 815 Zuschauern ausverkauften Olympiastadion, wo die Dortmunder selbstredend in der Überzahl waren. Wo aber nach den Treffern des Clubs aus der VW-Stadt grün-weiße Fähnchen in Zuschauerblöcken auftauchten, in denen keiner sie vermutet hätte. Und nicht zuletzt feierten die Spieler, die den ersten Pokal der Vereinsgeschichte für den VfL holten und damit den zweiten Titel für die "Wölfe" nach der Meisterschaft von 2009 unter Felix Magath.

Bis sechs Uhr morgens zauberte die Mannschaft im Kreuzberger Szene-Club Spindler & Klatt, und als die Spieler gestern um 12.31 Uhr jenen Hauptbahnhof erreichten, durch den versehentlich schon der eine oder andere Zug durchgebraust ist, da wirkte der Pokal unversehrter als dessen Gewinner. Sie trugen dunkle Sonnenbrillen.

Jürgen Klopp hätte seine Augen im Stahlbad der Emotionen unmittelbar nach dem verpassten zweiten Pokaltriumph seiner Sieben-Jahres-Ära sicher auch gerne verborgen. Ging nicht. Und aus seiner Haut konnte er auch nicht. Ein Zoff mit ARD-Moderator Gerhard Delling in der Spielanalyse kurz nach der Partie war die Folge. Per Mertesackers legendäres Eistonnen-Interview lässt grüßen.

Dellings aufmunternd geäußerte kölsche Weisheit "Es ist so wie es ist" konterte Klopp mit Vollgas: "Sie haken das einfach so ab. Das ist das Geile an Ihrem Job." Einmal in Rage, legte er voller Ironie nach: "Sie glauben doch nicht, dass Sie in fünf Minuten noch ein bisschen Mitleid mit uns haben."

Die Häme der Boulevard-Blätter konnte nicht ausbleiben. Sie titeln: "Kloppo, Kloppe, Klappe!" (BZ) und "Tschüs, Pott" (Bild). Schlagzeilen sind Geschmackssache. Unstrittig ist hingegen, dass der "Pöhler" wieder mal weit übers Ziel hinausschoss - wie Marco Reus, als er nach 18 Minuten des Endspiels das 2:0 und damit die Vorentscheidung für die Schwarz-Gelben vergeigte.

Eine halbe Stunde nach der Eskapade vor den ARD-Kameras äußerte Klopp sich in den Katakomben des Olympiastadions relativierend. "Ich habe Übung im Niederlagen verarbeiten, aber bin immer noch weit davon entfernt, es gut hinzukriegen", sagte der 47-Jährige. Ihm war schlicht zum Heulen zumute. "Auf doofe Fragen gebe ich doofe Antworten. Deshalb sage ich dazu besser nichts", meinte er zu einem Journalisten, der wissen wollte, ob für ihn ein Wechsel zu Schalke 04 infrage käme. Um einen Einblick in sein aufgewühltes Innenleben anzuschließen: "Es ist genauso eine Herausforderung, solche Fragen zu beantworten, wie die Niederlage zu verdauen."

Dabei war sie ehrenwert. Das Finale war das beste seit dem 5:2 der Dortmunder gegen München 2012 und eines der hochklassigsten der 72-jährigen Pokalgeschichte. Und ein Spiegelbild der Bundesliga-Saison. Einerseits die technisch brillanten Wolfsburger: gut gestaffelt, kombinationssicher und in den entscheidenden Momenten eiskalt. Mit einem Kevin de Bruyne in Weltklasseform, als Dreh- und Angelpunkt im VfL-Spiel trotz seiner erst 23 Jahre.

Andererseits die Dortmunder, anfangs in ihrem Offensivdrang kaum zu bremsen. Vor allem nicht der superschnelle Aubameyang, Schütze des frühen 1:0 für den dreimaligen Cupsieger. "In den ersten 20 Minuten hat man gesehen, was uns noch fehlt: die Erfahrung in Finals. Unser Passspiel war nicht so sauber wie normalerweise", analysierte Hecking. Und meinte: "Wenn wir 0:2 hinten liegen, dann kommen wir nicht als strahlender Sieger zurück."

Warum Dortmund trotz eines furiosen Starts scheiterte? Das Finale war das Spiegelbild der Saison, die zu einer Achterbahnfahrt geraten ist. Mit genialen Momenten und unglaublichen Tiefpunkten, Verletzungen, und viel, teilweise unerklärlichem Pech. "Am Ende fehlte immer so ein Zentimeter am Fuß", haderte Klopp mit den Mängeln im Abschluss. Zudem blieb der Elfmeterpfiff nach einem Foul an Aubameyang kurz vor der Halbzeitpause aus.

Vielleicht war Klopps Motivationszauber im siebten Jahre aufgebraucht, jedenfalls verlässt er den BVB ohne Abschiedstitel. Sein Nachfolger Thomas Tuchel hat den Vorteil, mit einer etwas geringeren Hypothek in die Zeit nach dem von vielen Fans zum Messias verklärten Trainer zu starten.

Den packten die Gefühle immer mehr, je später die Stunde schlug. "Der Schmerz kommt gerade so richtig", ließ er mit belegter Stimme wissen: "Ich versuche, den Spielern meinen Dank auszudrücken und stelle fest, dass es sehr wehtut, loszulassen."

In der Nacht heulten dann auch die "Wölfe" - jedoch vor Glück.

Die Final-Statistik

Dortmund: Langerak - Durm (68. Blaszczykowski), Subotic, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Kehl (68. Piszczek) - Mchitarjan, Kagawa, Reus (79. Immobile) - Aubameyang.

Wolfsburg: Benaglio - Vieirinha, Naldo, Klose, Rodriguez - Arnold (81. Schürrle), Luiz Gustavo - Perisic (74. Guilavogui), De Bruyne, Caligiuri (85. Träsch) - Dost.

Schiedsrichter: Felix Brych (München)

Tore: 1:0 Aubameyang (5.), 1:1 Luiz Gustavo (22.), 1:2 De Bruyne (33.), 1:3 Dost (38.)

Zuschauer: 75 815 (ausverkauft)

Beste Spieler: Benaglio, Naldo, Claigiuri - Aubameyang, Kagawa

Gelbe Karten: Mchitarjan (2), Schmelzer - De Bruyne (2), Vieirinha (2)

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