Mittelfeldspieler Thiago ist Hoffnungsträger der Bayern Ein Auswärtsspiel dahoam

BARCELONA · Thiago Alcántara do Nascimento, kurz Thiago, richtet den Blick nach ganz oben auf den dritten Rang des Camp Nou. Kaum eine andere Fußballarena in der Welt ist höher und steiler als die Heimat des FC Barcelona. Nicht dass Thiago staunen würde, er kennt sich bestens aus hier. Er freut sich.

 Die Richtung im Bayernspiel gibt Thiago gerne an. Heute Abend gegen Barcelona wird viel von seiner Leistung abhängen. FOTO: AP

Die Richtung im Bayernspiel gibt Thiago gerne an. Heute Abend gegen Barcelona wird viel von seiner Leistung abhängen. FOTO: AP

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Vor knapp zwei Jahren wechselte er aus der katalanischen in die bayerische Metropole. Jetzt freut sich der 24-Jährige, ebenso wie sein Trainer, auf ein Auswärtsspiel dahoam.

Abschlusstraining vor dem Champions-League-Halbfinale FC Barcelona gegen Bayern München: Selbst das Dehnen scheint Thiago Spaß zu machen. Im Mittelkreis grinst er während des Aufwärmens. Dann endlich kommt der Ball ins Spiel. Sicher bugsiert er ihn beim "Sieben gegen zwei" immer wieder zum Mitspieler. Einer wie er muss nicht in die Mitte.

Die Bayern hoffen aktuell nicht auf Arjen Robben und allenfalls noch ein ganz klein wenig auf Franck Ribéry. Fürs Rückspiel. Wenn da Hoffnung ist - auf eine Chance gegen die derzeit mal wieder unwiderstehlichen Spanier und auf eine goldene Zukunft überhaupt -, dann ist Thiago der Grund. Seine Leistung beim furiosen 6:1 gegen den FC Porto hat die Sicht auf den Spanier verändert.

Es lief die 75. Minute im Viertelfinalrückspiel gegen Porto, als Thiago in höchstem Tempo den Ball annahm, sich durch zwei Gegenspieler schlängelte, auch einen dritten stehen ließ und längst Robert Lewandowski in der Mitte identifiziert hatte, ehe er flankte. Es wurde nichts aus dieser Szene, aber man bekam eine Ahnung davon, weshalb Pep Guardiola, als er im Sommer 2013 bei den Bayern anheuerte, nur einen Spieler wollte. "Thiago oder nix", sagte der Trainer damals.

Wenn in den vergangenen zwei Jahren über Thiago berichtet wurde, fiel fast immer das Wort "Riss". Zuerst riss das Syndesmoseband, dann dreimal das Innenband im rechten Knie. Insgesamt 15 Monate fiel der Hoffnungsträger aus, und über die Behandlung entzündete sich nicht zuletzt Pep Guardiolas Streit mit "Doc" Müller-Wohlfahrt. Jetzt, nur wenige Wochen nach Thiagos Comeback am 4. April in Dortmund, wird "Riss" nur noch im Zusammenhang mit "Abwehr aufreißen" erwähnt.

Der Mittelfeldspieler ist ein Achter oder auch Zehner, der mit einem Dribbling oder einem Pass ganze Defensivverbünde aushebeln kann. Michael Reschke, der früher für Bayer Leverkusen und jetzt als Technischer Direktor für die Bayern scoutet, sagte über ihn: "Er hat Hände in den Füßen." Soll heißen: eine extrem ausgeprägte Feinmotorik. Mehr Lob für einen Techniker geht nicht.

Dabei ist Thiago kein Klischee-Techniker, kein Seelchen, das beim kleinsten Windhauch umfällt. "Er hat ein überragendes Selbstbewusstsein und keine Angst", weiß Guardiola. Auch nicht vor Druck, wie er nach dem 1:3 in Porto herrschte. Als die Angelegenheit schließlich mit 6:1 korrigiert worden war, gab Thiago zu Protokoll: "Für solche Spiele sind wir geboren."

Es sind wohl die Gene des Vaters, die da durchschlagen. Schließlich war Mazinho 1994 Weltmeister mit Brasilien. Sein Talent gab er auch an Thiagos kleinen Bruder Rafinha weiter, der aktuell im Kader von Barcelona steht. Noch heute wird die Geschichte erzählt, wie Mazinho in der Nachwuchsschmiede des FC Barcelona, "La Masia", die Ausbildung des Älteren verfolgte: auf den Steinstufen sitzend, Kreuzworträtsel lösend. Übermäßig talentierter Fußballer mit sechs Buschstaben? Thiago, wer sonst?

25 Millionen Euro zahlte der FC Bayern für Thiago. Das ist ziemlich viel für einen, der mehr ein Versprechen als ein Stammspieler war. Als er kam, standen 68 Erstligaeinsätze in vier Jahren und fünf Länderspiele in der Vita. Aber Thiago galt als der Mann, der eines Tages vielleicht die Strategen Xavi und Iniesta beerben könnte.

Heute gilt Thiago erneut als potenzieller Erbe - allerdings bei den Bayern. Ribéry, Robben, Schweinsteiger und Lahm, die Führungsfiguren der vergangenen Jahre, haben allesamt eine Drei vorne stehen, wenn das Alter genannt wird. Sie werden vielleicht immer mal wieder wichtig sein, können aber keine Ära mehr prägen. Thiago, am 11. April 24 geworden, könnte das.

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