Kommentar Blaumann statt Smoking

Dortmund · Wenn die Hymne der Königsklasse erklingt, kommt es zu einer wundersamen Metamorphose. Gebeugte gehen kerzengerade, Verunsicherte fühlen auf einmal ein unbändiges Selbstbewusstsein, und Unkonzentrierte zeigen urplötzlich hellwache Reaktionen.

Es scheint fast, als würde Borussia Dortmund national und international mit zwei unterschiedlichen Mannschaften antreten. In der Bundesliga hinter Paderborn und Köln auf Rang 14 abgestürzt, in der Champions League nach zwei grandiosen Auftritten gegen Arsenal und Anderlecht noch ohne Punktverlust und Gegentor.

Champions League - das ist für den BVB wie Erholungsurlaub, wobei der jetzige Trip sogar besonders schön ist. Es geht an den Bosporus. Mit einem Sieg heute bei Galatasaray Istanbul kann die Borussia einen Riesenschritt auf dem Weg in die K.o.-Runde der Königsklasse machen.

Alles prima? Nein. Denn die Gefahr ist groß, dass mit der Rückkehr in den Alltag auch die Depression wieder Einzug hält. Die Dortmunder mit ihren vielen Hochbegabten haben auf dem Feld daheim, das ihnen die Grundversorgung sichert, einen unerwünschten Begleiter, den sie nicht loswerden: Versagensangst.

Die Folgen zeigen sich Woche für Woche in der Liga: zittrige Knie, fahriges Auftreten, unerklärliche Fehler. Wer einmal in diesem reißenden Abwärtsstrudel steckt, kommt nur schwerlich wieder heraus.

Der herzerfrischende Vollgas-Fußball, den Jürgen Klopp seiner Mannschaft verordnete und der Borussia Dortmund europaweite Anerkennung bescherte, ist an seine Grenzen gestoßen. Der BVB wirkt ausgepowert, fast jeder Spieler trägt als Ballast ein Problem mit sich herum: Verletzungen, Formschwäche, WM-Müdigkeit. Und selbst der kluge und rhetorisch brillante Trainer hat noch keinen Lösungsansatz gefunden.

Der BVB muss sich vorerst von seinem kraftraubenden Überfall-Fußball verabschieden. Nicht der glatt gebügelte Smoking ist angesagt, sondern der zerknitterte Blaumann. Schnöde, schmutzige Arbeitssiege können in diesen schweren Zeiten am ehesten den Weg aus dem Tief weisen - erst in Istanbul, dann am Samstag gegen Hannover.

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