Zaunkletterer begründeten "eisernen" Weihnachtschor

Berlin · Um 19.00 Uhr geht das Flutlicht aus, Tausende Kerzen werden gezündet, die Eiserne Hymne erklingt. Seit Jahren ist es so Brauch beim traditionellen Weihnachtssingen des 1. FC Union Berlin im Stadion an der Alten Försterei.

 Weihnachtssingen in der alten Försterei wurde zu einer Kultveranstaltung. Foto: Oliver Mehlis

Weihnachtssingen in der alten Försterei wurde zu einer Kultveranstaltung. Foto: Oliver Mehlis

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Wenige Minuten später stimmt der größte Weihnachtschor Deutschlands nun schon zum zwölften Male sein erstes Liedchen an. "Das ist für mich der Augenblick, in dem ich eine Entenpelle kriege. Der Moment ist einfach genial", schwärmt Torsten Eisenbeiser. Der Mann vom Fanclub "Alt-Unioner" begründete 2003 mit 88 Gleichgesinnten ungeahnt eine Tradition, die heute selbst in Australien und Südamerika eine Faszination auslöst. Selbst der britische "Guardian" schrieb im Vorjahr von "ungewöhnlichen Fans mit einer außergewöhnlichen Weihnachtstradition".

Die 89 Anhänger der "Eisernen" waren vor elf Jahren über verschlossene Stadion-Tore geklettert, um nach in einer frustrierenden Halbserie auf dem Abstiegsplatz ein wenig Trost zu finden und im Freundes-Kreis die "Stille Nacht" in den Köpenicker Himmel zu schmettern. "Keiner hat damals daran gedacht, dass wir jemals solche Dimensionen erreichen", gibt er zu.

Die Frage, wie viele Fans diesmal ins Stadion strömen werden, stellt sich nicht. Im Vorjahr war die Veranstaltung nach jährlichen Verdopplungsraten an ihre Grenzen gekommen, Hunderte Anhänger mit rot-weißen Schals mussten unverrichteter Dinge vorzeitig den Heimweg antreten, weil das von den Fans selbst gebaute Stadion aus allen Nähten platzte. "So ging es nicht weiter, wir mussten uns was einfallen lassen", berichtete Eisenbeiser.

Nach Umfragen unter den 12 000 "eisernen" Mitgliedern entschied sich sein Fan-Club für einen Kompromiss: Alle Union-Mitglieder erhielten ein Gratis-Ticket, für alle anderen wurden fünf Euro Eintritt fällig, die dem Nachwuchs zugute kommen. Bereits vier Wochen vor dem Event waren alle 27 500 zur Verfügung stehenden Tickets vergriffen. "Aus die Maus, nichts geht mehr. Anreise ohne Ticket ist zwecklos", meint Eisenbeiser, der glaubt, dass auch der angekündigte Regen die Stimmung nicht trüben wird: "Wir haben auch Eisregen und Schneemassen überstanden." Karten-Bestellungen kamen unter anderem aus Schweden, Dänemark, England, Schweiz, Österreich und den Niederlanden.

Trotz des zu erwartenden Überschusses aus dem Catering kann der Chef-Organisator die von einigen Ultras geäußerte Kritik an einer "Kommerz-Veranstaltung" nicht nachvollziehen. "Auch wenn wir 20 Euro verlangt hätten, wären alle Tickets weggegangen. Und wir versuchen auch nicht, über Souvenir-Verkäufe zusätzliches Geld zu verdienen", meint Eisenbeiser. Über Ebay wurden vier Karten bereits für 100 Euro angeboten.

Die Faszination der Veranstaltung hat inzwischen in ganz Deutschland Nachahmer gefunden. Am 4. Advent trafen sich Schalker Fans im ehrwürdigen Parkstadion, auch bei 1860 München, Erzgebirge Aue oder Alemannia Aachen gibt es inzwischen ähnliche Weihnachtssingen. Doch fünfstelligen Teilnehmerzahlen konnte bisher kein anderer Verein verbuchen.

Wie schon 2003 im engsten Kreis werden auch diesmal Glühwein und Bratwurst angeboten, Kinder erhalten kleine Geschenke von Weihnachtsmännern, die sonst auf der Waldseite im Ultra-Block stehen. Die roten Weihnachtsmann-Mützen sind heute wie damals beliebtes Utensil bei dem Sängertreffen, bei dem hartgesottene Union-Fans wieder neben Omas und Opas mit ihren Enkeln stehen. Auch sind viele dabei, die sonst gar nicht zum Fußball gehen oder den Blau-Weißen von Hertha BSC die Daumen drücken. Union-Eigengewächs Christopher Quiring wird sich ebenso unter die Sänger mischen wie die Ex-Unioner Christian Stuff oder Jan Glinker, die sich auf ewig mit ihrem früheren Verein verbunden fühlen.

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