Interview mit Peter Neururer Der Kult-Trainer über seine Liebe zum 1. FC Köln, das liebe Geld und die Ohnmacht an der Seitenlinie

BONN · Peter Neururers Augen sprühen vor Temperament. Und wer nicht tief mit einem anderen Herzensverein verwurzelt ist, der läuft nach einem Gespräch mit dem 59 Jahre alten Kult-Trainer Gefahr, ein Fan des VfL Bochum zu werden. Mit Peter Neururer sprach GA-Sportchef Berthold Mertes.

 Peter Neururer, wie er leibt und lebt: Gestenreich, diskussionsfreudig und auch mal entspannt - aber nie mundtot.

Peter Neururer, wie er leibt und lebt: Gestenreich, diskussionsfreudig und auch mal entspannt - aber nie mundtot.

Foto: Ingo Otto

Neururers Begeisterung fürdiesen Verein „tief im Westen“, wie Ruhrpott-Rockstar Herbert Grönemeyer inseiner Hymne an die Heimat dichtete, wirkt ansteckend. Angesichts aktuellerVerbindlichkeiten in Höhe von 7,5 Millionen Euro hat sich der 1848 gegründeteTraditionsclub keine wirklich aufstiegstaugliche Mannschaft zusammenstellenkönnen. Doch Neururer arbeitet Schritt für Schritt an der Bundesliga-Rückkehrmit seinem Herzensclub.

Im Gespräch mit Berthold Mertes erklärt er, warum ernach überstandenem Herzinfarkt wieder auf die Trainerbank zurückkehrte, was ihnmit dem 1. FC Köln verbindet, und warum der Einfluss der Trainer auf dasSpielgeschehen – auch der eines Pep Guardiola – grundsätzlich überschätzt wird.

Herr Neururer, nach Ihrem Friseurbesuch von Anfang Oktober ist das wohl meine letzte Chance, Ihnen einmal im Leben mit der längeren Haarpracht gegenüberzusitzen …
Peter Neururer: Nach 20 Jahren ist mal wieder jemand auf die unglaublich originelle Idee gekommen, das Thema mit den langen Haaren wieder hochzukochen. Aber das gehört zum Geschäft - so oberflächlich ist unsere Welt.

Dann schnell zur Sache: der VfL Bochum und Peter Neururer, das passt vom Image her wie Pott und Deckel. Was empfinden Sie, wenn bei den Heimspielen kurz vor dem Anpfiff die Zuschauer die Grönemeyer-Songtextzeile "Du und dein VfL" grölen?
Neururer: Heimat. Ansonsten wäre ich ja nicht hier.

Sie sind ein Kind des Ruhrgebiets, geboren in Marl. Wie ist Ihre besondere Liebe zu diesem Club entstanden?
Neururer: 2001 bin ich zum ersten Mal zum VfL Bochum gekommen. Damals war der Verein in einer Luxussituation. Mein Vorgänger Bernard Dietz war nicht beurlaubt worden, er hatte einfach aufgehört. Es ging darum, den Aufstieg in die Bundesliga zu realisieren. Ich habe den VfL und seinen damaligen Präsidenten Werner Altegoer kennengelernt.

Er war eine herausragende Persönlichkeit - ein Patriarch im positiven Sinne, der für sein Volk, also seine Mannschaft und seine Mitarbeiter, alles getan hat. Der selbst Prügel eingesteckt hat, um seine Leute zu schützen. So etwas gab es. Damals habe ich den Verein lieben gelernt.

Erzählen Sie mehr von der einzigen Ihrer insgesamt 14 Trainerstationen im Profifußball, die länger als zwei Jahre dauerte.
Neururer: Ich war an den glücklichsten Stunden des Vereins mitbeteiligt. Auf der anderen Seite waren es meine Fehlentscheidungen, die 2005 zum Abstieg führten. Obwohl ich noch einen Vertrag hatte, bin ich gegangen, wegen des Gefühls: Ich kann dem Verein nichts mehr geben, also trete ich zurück. Trotzdem gab es die Schlagzeile: „Neururer rausgeflogen“.

An Ihrer Beliebtheit hat sich nichts geändert. Ihre offene Art kam damals und kommt auch heute bei den Fans in Bochum an – dort, wo laut Grönemeyer „das Herz noch zählt, nicht das große Geld“. Ist das mehr als ein Klischee?
Neururer: Ich denke schon. Ich bin zurückgekommen als derjenige, der den Verein lieben gelernt hat und bin der einzige, der öffentlich bekennen darf, auch Schalke-Mitglied zu sein. Man nimmt es mir ab, weil ich dazu stehe, mit beiden Vereinen emotional stark verbunden zu sein.

Der 1. FC Köln ist Ihr dritter Lieblingsclub?
Neururer:Eigentlich der erste, wenn ich biografisch vorgehe. Mit Schalke verbindet michvor allem, den Grundstein für das Überleben in der zweiten Liga gelegt zuhaben, mit Bochum das Erreichen des Uefa-Pokals.

Und mit dem FC?
Neururer: Der FC war meine erste Liebe. Als Kind habe ichdie Overath-Elf in den weißen Trikots noch vor der Bundesliga-Gründung in derOberliga West gegen Hamborn 07 gesehen. Von dem Moment an war ich FC-Fan undwährend meines Studiums in Köln mehr am Geißbockheim als an der Sporthochschule.Deswegen habe ich auch ein bisschen länger studiert.

Ihre beste Erinnerung an die Zeit als FC-Trainer von April 1996 bis September 1997?
Neururer: Holger Gaißmayers entscheidendes Tor zum Klassenerhaltim letzten Spiel der Saison 95/96 bei Hansa Rostock.

Ihre jetzige Aufgabe beim VfL Bochum habenSie im April 2013 am Abgrund zur dritten Liga angetreten – ein sehr undankbarerMoment. Warum haben Sie sich das nach ihrem Herzinfarkt, den sie im Juni 2012beim Golfspielen erlitten hatten, noch angetan?
Neururer: Ohne die Verbundenheit mit dem VfL wäre ich niemalszurückgekommen. Der Verein hätte ansonsten keinen Trainer mit gewissenQualitäten verpflichten können, weil jeder, der normal denkt, sagte: ich bindoch nicht derjenige, der mit Bochum in die dritte Liga absteigt. Das wolltesich keiner antun. Für mich aber war es der Weg zurück. Mit glücklichemAusgang.

Ihr Team spielt derzeit attraktiver, alses die sechs 1:1-Unentschieden im eigenen Stadion aussagen, warzwischenzeitlich sogar Tabellenführer. Ist der Wiederaufstieg drin?
Neururer: In dieser Saison, realistisch betrachtet: nein. Wir haben eineMannschaft, die funktioniert und vor allem auswärts jeden Gegner in der zweitenLiga schlagen kann. Aber wir können auchgegen jeden verlieren, weil unsere Mannschaft quantitativ knapp bemessen ist;wir haben nicht auf jeder Position gleichwertigen Ersatz. Wir müssen den Spagatzwischen dem Enthusiasmus, den wir leben, und einer schnell wachsenden Erwartungshaltunghinkriegen.

"Der VfL Bochumgehört immer noch zu den ersten 15 der ewigen Bundesligatabelle"

Eine Frage des Geldes, oder?
Neururer: Wir haben nicht einen Centan Ablöse bezahlt und weniger Geld zur Verfügung als der Schnitt der Vereine inder zweiten Liga. Deshalb kommt schon mal ein 0:5 heraus, bei dem der Gegnerbezeichnenderweise Heidenheim heißt, also ein Club mit besserenwirtschaftlichen Voraussetzungen.

Ist die Nische zwischen Schalke undDortmund überhaupt groß genug für den VfL, um dauerhaft in der ersten Liga zuspielen?
Neururer: Klar doch, nur leider im Augenblick noch nicht. Der VfL Bochumgehört immer noch zu den ersten 15 der ewigen Bundesligatabelle. Und ich binüberzeugt davon, dass wir dauerhaft knapp 30000 Zuschauer ins Stadion bekommenkönnen.

Talente wie Leon Goretzka oder WeltmeisterChristoph Kramer müssen Sie regelmäßig abgeben. Die Freiburger zum Beispiel schaffen es, junge Spielerhoch zu bringen und eine Zeit lang zu halten, obwohl sie auch geringere finanzielle Mittel haben als andere Vereine.Warum kann Bochum das nicht?
Neururer:Weil Bochum nicht in der ersten Liga spielt. Dort könnten wir sie halten

Also gibt es keine Alternative zum Aufstieg, oder?
Neururer: Auf Dauer nicht. Wenn wir wieder auf das Niveaukommen wollen, wo wir in der ewigen Bundesligatabelle stehen, dann gibt es nurdas eine Ziel.

Sie arbeiten sehr stark über Emotionen.Wie sieht Ihr Gesamtkonzept auf dem Weg dorthin aus?
Neururer: Ich arbeite grundlegend mit den Konzepten, die der Verein mirvorgibt. Beim Begriff "Konzepttrainer" kriege übrigens ich einen dicken Hals.Das ist der größte Blödsinn aller Zeiten.

"Ich meine, dass ich dasgewisse Etwas mehr herauszukitzeln kann"

Warum?
Neururer: Ich habe auch ein Konzept. Aber wenn ich das beim VfL Bochum vorschlage,dann sagt der Vorstand mir: Lieber Trainer, das Konzept können wir nichtbezahlen. Ich möchte auch Fußball spielen wie Barça in besten Zeiten. Ich kannauch so trainieren, das ist überhaupt kein Problem.

Aber die Qualität ist eineganz andere. Nicht die des Trainings, aber die der abgelieferten Inhalte. Weildie Qualität der Spieler nicht da ist. Ein Trainer mit einem eigenen Konzeptist der absolute Schwachsinn. Das Konzept gibt der Verein vor. Selbstverständlichsollte der Trainer einen Plan haben, das Konzept umzusetzen - nachsportwissenschaftlichen und medizinischen Grundsätzen.

Und die Motivationsebene?
Neururer: Ich meine sagen zu können, dass ich dazu im Stande bin, dasgewisse Etwas mehr herauszukitzeln. Aber was daraus oft gemacht wird, um Gotteswillen ...

Was zum Beispiel?
Neururer: Wir spielten mit dem VfL gegen Bayern München und ich dachte mirfür die Spielersitzung etwas Besonderes aus. Wir gewannen, also hatte es gefruchtet.Der eine oder andere Journalist, der den Typen Neururer länger verfolgt hatte,schrieb dann: Der hat studiert, der hat auch Sportpsychologie gemacht, also ister plötzlich der große Psychologe.

Und bei einer Negativserie?
Neururer: Dann wird bei der gleichen Ansprache aus dem großen Psychologenein Sprücheklopfer. Damit lebe ich seit über 20 Jahren gut. Das soll so bleibenwie es ist.

Sie haben das Image einesFeuerwehrmanns, obwohl Sie mit dem VfLBochum und dem 1. FC Saarbrücken in die erste Liga aufgestiegen sind. Stört Siedas?
Neururer: Schafft man irgendwo den Klassenerhalt, dann ist man der Retteroder der Feuerwehrmann. Man hat genauso etwas positiv bewältigt wie bei einemTitelgewinn. Übrigens ist es für michpersönlich mehr wert als eine Meisterschaft oder ein Aufstieg, wenn man mit demVfL Bochum den Uefa-Pokal erreicht. Aber Klischees bleiben haften, ich kanndamit gut leben. Mediale Botschaften, im positiven wie im negativen,interessieren mich nicht mehr. Null.

Schadet die Aufregung an der Seitenlinie Ihrem Herzen nicht?
Neururer: Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, das fehltemir. Und so doll is dat mit dieser Aufregung ja gar nicht. Ich bin dainzwischen ganz relaxt.

Wie schaffen Sie das?
Neururer: Man muss sich die Wirkung klarmachen. Stell direin Spiel bei Borussia Dortmund oder auf Schalke vor. Und den Trainer, der amRand läuft, hin und her. Der rumgestikuliert und rumschreit. Der macht das, um sich abzureagieren.

Aber auch, um die Mannschaft zu führen, oder?
Neururer: Verstanden wird das sowieso nicht, egal was du dareinschreist. Du bist chancenlos.

Also kommen die Signale kaum an, auch wenn da ein Pep Guardiola fuchtelt?
Neururer: Ich glaube nicht. Aber soll doch jeder machen, waser für richtig hält. Wenn ich mirvorstelle, ich wäre Spieler, und sehe den Alten fortwährend rauf und runter laufen, gestikulierend. Nach fünf Minuten sag‘ ich:was will der überhaupt? Ich verstehe ihn ja sowieso nicht.

Wie groß ist denn die Einflussmöglichkeit eines Trainers auf das Spiel?
Neururer: Klar habe ich ein paar Zeichen, um mit einem Spieler etwas zu verabreden. Aber ichhabe als Trainer draußen so gut wie keinen Einfluss. Ob man jetzt einen Sprintam Rand macht oder gestikuliert und macht und tut. Das ist nicht schlimm, aberes soll sich keiner einbilden, dass er damit seiner Mannschaft hilft. Das ist nicht der Fall.

Sondern?
Neururer: Das hatWirkung auf die Haupttribüne. Die Leute denken: Boah, der Trainer ist aberengagiert, der geht aber mit, motiviert seine Elf. Es ist aber lediglich eineSache des Auslebens. Ich war früher genauso. Nur: eine Effektivität ist dabeinicht erkennbar.

Wie schützen Sie Herz und Seele?
Neururer: Brauche ich gar nicht. Mir geht es wunderbar.Dagegen fehlte mir während meiner Trainerabstinenz einfach etwas.

Was?
Neururer: Jeden Morgen aufzustehen, mit einem Pfeifen aufden Lippen zum Fußball zu fahren. Das hat eine ganze Weile gefehlt, auch wennich für Sport 1 einen tollen Job als Fernsehexperte machen darf und dadurch auchmit dem Fußball unterwegs bin. Vom Herzen und der Gesinnung bin ich aber nochabsoluter Trainer.

Obwohl Sie es doch auch verstehen, andere Sonnenseiten des Lebens zu genießen?
Neururer: Ja, aber hier ein Golfturnier und da eine Harley-Tour,das war mir zu wenig. Dafür bin ich weiterhin zu fit.

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