Kommentar Griff in die Psychokiste

Die Saison beginnt nicht erst am Freitag. Sie hat schon lange vorher begonnen - mit der Jagd nach frischem Personal, dem Einstudieren neuer Spielsysteme, aber auch mit Nadelstichen und Psychospielchen.

Den Rivalen verunsichern, ihn aus der Ruhe bringen, das ist mittlerweile Teil des Matchplans. Die Bayern haben es auch darin zur Meisterschaft gebracht.

Ob man über diesen Titel glücklich sein kann, ist eine andere Frage. Karl-Heinz Rummenigge hat den Bogen überspannt, als er Details aus dem Vertrag des Dortmunders Marco Reus ganz unbekümmert öffentlich ausplauderte. Dass ihm die Schurkenrolle im Transfertheater des Sommers zuteilwurde, dürfte dem Bayern-Boss herzlich egal gewesen sein. Seine Absicht war es, die Borussen aus der Fassung zu bringen. Nimmt man die verbalen Eruptionen, die die Aussagen in Dortmund auslösten, zum Gradmesser, lässt sich konstatieren: Ziel erreicht.

Ob Marco Reus tatsächlich von seiner 25-Millionen-Ausstiegsklausel Gebrauch macht, in Dortmund verlängert, nach München oder ins Ausland wechselt, wird sich spätestens am Ende der Saison entscheiden. Die Bayern haben mit ihrer bewusst geplanten Aktion der aufmüpfigen Borussia ein monatelanges Medienthema ans Bein gebunden, das den Betriebsfrieden beim BVB empfindlich stören kann.

Womöglich ist der Griff in die Psychokiste aber auch eine Reaktion auf den bedenklichen Leerstand im eigenen Luxusladen. Die Langzeit-Verletzungen ihrer Topstars tun den Bayern weh. Ein 19-Punkte-Vorsprung wie in der vergangenen Saison ist diesmal nicht zu erwarten. Die Konkurrenz hat personell aufgerüstet, zudem macht der Blick in die Historie den Rivalen Hoffnung: Schließlich waren die Münchner immer dann zu packen, wenn ihre Spieler von einer schlauchenden WM zurückkehrten.

Dass der Liga Langeweile droht, ist nicht zu befürchten. Auch die anderen Vereine haben spannende Geschichten zu erzählen. Löst Leverkusen die Dortmunder als erster Bayern-Verfolger ab, schafft Keller Schalke oder doch Schalke Keller, wie bewältigt Mainz die Zeit nach Thomas Tuchel, wie viel Schaaf steckt schon in Eintracht Frankfurt, halten die Kölner die Klasse? Die Liga der Weltmeister ist viel zu interessant, um nur nach München oder Dortmund zu schauen.

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