You'll never walk alone" Vor 50 Jahren entstand der berühmteste Fußball-Song der Welt

KÖLN · Es war ein milder Winterabend Ende Juli dieses Jahres in Melbourne. Fast 100 000 Menschen füllten das riesige Kricket-Stadion der südaustralischen Millionenmetropole, um das erste Gastspiel des FC Liverpool zu erleben. Bevor das Freundschaftsspiel im Rahmen einer Werbetour der Engländer gegen die heimischen Kicker des FC Victoria angepfiffen wurde, erhob sich die Menschenmenge und stimmte die Hymne der Gästemannschaft an: You'll never walk alone.

 Europaweit, hier in Dortmund, ist die Hymne zum Synonym für Gemeinschaft geworden.

Europaweit, hier in Dortmund, ist die Hymne zum Synonym für Gemeinschaft geworden.

Foto: dpa

In diesen Novembertagen vor 50 Jahren wurde die Ballade mit ihren lediglich elf Textzeilen, was sie heute ist: Die Clubhymne des FC Liverpool und das berühmteste Fußballlied der Welt.

Im Jahr 1963 war es üblich, dass zur Unterhaltung der Zuschauer vor den Heimspielen der Reds an der Anfield Road die aktuelle Popmusikliste vom zehnten bis zum ersten Platz vorgelesen wurde. Der Nummer-eins-Hit wurde schließlich gespielt. Am 2. November, an dem gegen Leicester City gespielt wurde, war das "You'll never walk alone" von der Liverpooler Band Gerry & The Pacemakers. Auch zwei Wochen später, beim 2:0 gegen Fulham, erklang die sanfte Melodie und wurde von vielen im Kop, der Tribüne mit den treuesten Fans, mitgesungen.

Zwei Wochen später ereignete sich das Unvorstellbare. Nicht, dass der Hit an der Spitze der Hitliste von einer anderen Liverpooler Band, den Beatles, abgelöst worden wäre. Nein, als deren "She loves you" verklungen war, die Spieler des FC Liverpool und des FC Burnley gemessenen Schritts den Rasen betraten, skandierten die 28 000, die damals noch in den Kop passten: "Where is our song?" Der junge Mann, der für die Musik im Stadion verantwortlich war, schaltete sofort und spielte "You'll never walk alone" an. Während beide Mannschaften auf dem Spielfeld standen, stimmte das gesamte Stadion erstmals in die Ballade mit ein. Singende Fußballfans, das war bis dahin die Ausnahme. Von da an wurde es an der Anfield Road zur Tradition.

Einer der Mitsänger war der damals 19-jährige Gerry Marsden. Er war Fan der Roten und der Kopf der Band, die dieses Lied zum Hit gemacht hatte. Richard Rodgers (Musik) und Oscar Hammerstein II (Text) hatten es Anfang 1945 für das Finale des Broadway-Musicals "Carousel" komponiert. Wenig später nahm Frank Sinatra die erste von inzwischen mehr als hundert Single-Versionen auf.

Doch nicht die hörte Gerry Marsden, sondern das Original aus einer Kinoverfilmung des Musicals. In einem Interview mit dem Fußballmagazin "11Freunde" erinnerte sich der 71-Jährige, dass sich seine Bandmitglieder kaputtgelacht hätten, als er ihnen das Stück vorspielte. Man habe es dann etwas anders arrangiert und erstmals im berühmten Liverpooler Cavern Club gespielt. "Die Leute hörten auf zu tanzen. Sie starrten uns an, doch als wir fertig waren, brach ein unglaublicher Jubel los. Die Leute hatten Tränen in den Augen. Dieser Song hatte sie berührt, wo kaum ein Song hinkommt - in ihren Herzen", meinte Marsden. Zu den Club-Gästen an diesem Abend gehörte Paul McCartney. Sein Kommentar damals: "Zuerst habe ich gedacht: Jetzt seid ihr vollkommen durchgedreht. Aber jetzt weiß ich es besser: Dieses Lied ist einmalig!"

Das fand auch Bill Shankly. Der legendäre Trainer führte den FC Liverpool in jener Saison zur ersten englischen Meisterschaft seit 17 Jahren und während seiner 15-jährigen Tätigkeit zu alter Größe. Als er Gerry Marsden vor einem gemeinsamen Auftritt begrüßte, meinte Shankly zu ihm: "Ich habe euch ein Fußball-Team und ihr uns dieses Lied gegeben." Zu Hause habe er gerne sein altes Grammophon aufgebaut, die Platte der Reds-Hymne aufgelegt und so laut spielen lassen, dass die Musik durch das ganze Haus wogte, erinnert sich seine Enkeltochter Karen Gill.

Die größte Botschaft, die "You'll never walk alone" verbreite, sei die vom Glauben an die Unerschütterlichkeit des Menschen, sagt der Musikjournalist Paul du Noyer (59). Das Lied vermittle Ausdauer und Standfestigkeit, sei perfekt für einen Ort mit großer Solidarität wie Liverpool. "Das Lied gibt Menschen in einer Masse wie in Anfield ein besonderes Gefühl von Gemeinschaft und Beistand."

Bewegen kann ihn die Ballade auch heute noch, wenn er sie live im Stadion singt. Doch nicht in dem Maße, wie bei jenem Auftritt am 20. Mai 1989. Es war der Tag des FA-Cup-Finales. 100 000 Fans, zumeist aus Liverpool angereist, drängten sich im alten Wembley-Stadion. Die Reds und der Lokalrivale Everton standen sich gegenüber, fünf Wochen nach der Tragödie von Hillsborough. 96 Frauen, Männer und Kinder, allesamt Liverpool-Fans, waren beim Halbfinalspiel in Sheffield durch falsche Maßnahmen von Polizei und Ordnern zu Tode gequetscht, 766 zum Teil schwer verletzt worden.

Beängstigend sei die Stille im riesigen Oval gewesen, als er zu den Mannschaften aufs Spielfeld kam, um im Gedenken an die Opfer die Club-Hymne zu singen, erinnert sich der damals 47-jährige Gerry Marsden. "Als ich das Lied anstimmen wollte, brach ich in Tränen aus. Doch die Stimmen der Menschen erhoben sich. Sie sangen - alle. Auch die Evertonians stimmten mit ein." Seit der Hillsborough-Katastrophe krönt die Textzeile "You'll never walk alone" das Vereinswappen des FC Liverpool ebenso wie das Shankly-Tor, den an der Anfield Road gelegenen Stadioneingang.

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